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Prostitution - „Wir setzen männliche Sexualität mit Gewalt gleich“

Über das Prostitutionsgewerbe kursieren zahlreiche Mythen. Werden die Huren auf Deutschlands Straßen wirklich alle zu ihrem Job gezwungen? Wünschen ihre Freier tatsächlich wilden Sex, bei dem sie ihre Partnerin unterdrücken? Eine Spurensuche

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Wenn Männer sich eine Frau in einem Bordell aussuchen, dann wollen sie mit ihr roughen, wilden Sex haben. Das, was sie bei ihrer eigenen Frau nicht bekommen. Sie wollen penetrieren, unterdrücken. So ist das gängige Klischee, wenn in Betroffenheitsmanier über das schlimme Schicksal von Prostituierten gesprochen wird. Wenn in deutschen Kriminalfilmen Huren und der Straßenstrich zum Thema gemacht werden, dann geht es um Frauen, die aus den verschiedensten Gründen zum Sex gegen Bezahlung gedrängt werden, um gewalttätige Zuhälter, um Zwangsprostituierte.

Die gemeine Realität ist eine andere. Die Vorstellung, dass Männer in den meisten Fällen zu einer Hure gingen, um Gewalt auszuüben, ist falsch. So zumindest hat es die Soziologin Christiane Howe in ihren Recherchen vor Ort beobachtet: Ein Gang ins Freudenhaus bedeutet für die Freier dagegen häufig Überwindung: „Im Bordell hat die Sexarbeiterin die Hausmacht, sie bestimmt, sie legt die Regeln fest. Dass Frauen die komplette Verfügungsgewalt über ihren Körper abgeben, wenn sie für Sex Geld bekommen“, sei ein grotesker Fehlschluss. Und der basiert vor allem darauf, „dass wir männliche Sexualität mit Gewalt gleichsetzen“.

Die Freier, die Howe im Bordell begegneten, waren oft schüchterne Typen. Im Puff geht es nicht um ihre Lust, sondern um seine. Nach dem Motto: Sie macht, er lässt machen. Für eine Studie ließen Dieter Kleiber und Doris Velten 1994 über 600 Freier befragen, welche Praxis am meisten gewünscht wurde. Das Ergebnis: Sie, aktiv, oral. Auf dem zweiten Platz lag der klassische Geschlechtsverkehr. Die Freier wollen also nicht die Passivität, die Verfügungsgewalt. „Sie freuen sich daran, dass es direkt zur Sache geht, sie endlich einmal begehrt werden und nicht dem alltäglichen Leistungsdruck ausgesetzt sind“, folgert Howe.

Manche Freier, wenn auch die wenigsten, ziehen denn auch den schnellen, billigen Straßenstrich zum Vollzug vor. Hier, an der Kurfürstenstraße in Berlin, die so gar nichts gemein hat mit ihrem großen und glänzenden Namensvetter, dem Kurfürstendamm, stehen die ärmsten Dirnen der Stadt. „Eigentlich zähle ich sie nicht einmal zu den Prostituierten“, sagt Pastor Fuhr. Es sind Frauen, die von der Not getrieben diesen Job ausüben. Sie tun das weder routiniert noch geschäftsmäßig. Die Mädchen, die traditionsgemäß in der Nähe von Fuhrs Apostelkirche stehen, sind Drogenabhängige, die das Geld für den nächsten Schuss brauchen.

Wenn Pastor Fuhr vor die Haustür tritt, muss er darauf achten, dass er nicht an einem Kondom hängen bleibt. Fuhr lebt seit 20 Jahren in dem Gemeindehaus der evangelischen Kirche. Nachts dringen schon einmal lautstarke Streitereien zwischen Frauen, Freiern und Zuhältern an seine und die Ohren seiner vier Kinder. In der Straße vor seinem Haus vollziehen sie den Akt im Auto, in Häuserecken oder in der Nische hinter der Kirche. „Es gibt keinen Ort, wo es nicht möglich wäre“, sagt Fuhr. Vor ein paar Jahren gab es einmal einen Swingerclub um die Ecke. Das sei besser gewesen. Leiser und weniger dreckig. Aber die Freier ziehen es vor, die Huren in ihrem eigenen Auto mitzunehmen. Das ist ihr Reich, da sind sie der Chef.

Wie viele Sex-Arbeiterinnen es in Deutschland gibt, ist statistisch kaum zu erfassen – viel zu unterschiedlich sind die Arbeitsstrukturen, in denen die Frauen arbeiten: Manche erledigen ihren Job Vollzeit, andere Teilzeit, manche auch nur, wenn es mal in der Haushaltskasse dürftig aussieht. Beratungs- und andere Anlaufstellen sprechen für Berlin von 8000 Frauen, von denen fast alle in Wohnungen arbeiten. Bordelle, Laufhäuser, Clubs mit Sauna und Wellnessbereich und auch der Straßenstrich gehören zum deutlich kleineren Teil der Szene. In der Hauptstadt gibt es kein Rotlichtgebiet, keinen abgegrenzten Sperrbezirk.

Zudem berichten sowohl Pastor Fuhr als auch die Soziologin Howe von einer hohen Fluktuation der Frauen. Zu Messezeiten etwa kämen mehr von ihnen, auch aus umliegenden Städten oder dem Ausland, die dann wieder gingen. Auf Deutschland hochgerechnet könnten es also zwischen 40.000 oder auch 60.000 Prostituierte sein – genaues weiß man nicht. Ihre Dienste nehmen etwa 18 bis 20 Prozent aller deutschen Männer in Anspruch. Zahlenmäßig unklar ist auch, wie es sich bei den Zuhältern verhält – welche der Frauen überhaupt mit einem Kuppler zusammen arbeiten – und vor allem wie. Die Berufsbeschreibung changiert, vom Bewacher oder Manager bis hin zum Freund ist alles möglich.

Auch die Zusammensetzung der Gruppen von Frauen, die in den Straßen um Pastor Fuhrs Apostelkirche stehen, hat sich gewandelt und ist heute sehr heterogen. Einst waren es vor allem die drogenabhängigen und unorganisierten Prostituierten, die hier arbeiteten. Seit Öffnung des Schengenraumes im Jahr 2009 ist die Zahl der Frauen deutlich angewachsen, die Räume auf der Straße werden enger. Die Konkurrenz kam zunächst vor allem aus Polen, nun sind es Bulgarinnen und Ungarinnen, die es in den Westen zieht, beobachtet Pastor Fuhr. Sie haben häufig schon in ihren Heimatländern als Prostituierte gearbeitet und „arbeiten zielstrebiger, fassen die Männer schneller an, gehen distanzloser zur Sache.“ In den ersten Jahren boten sie sich selbst für einen Minimallohn dar: 10 Euro kostete der Oralverkehr zeitweise. Das war konkurrenzlos billig. Heute aber normalisieren sich die Preise wieder. 25 bis 35 Euro müssen die Freier im Schnitt wieder ausgeben – klassischer Geschlechtsverkehr kostet 20 Euro mehr.

Wer solche Preise verlangt, der lässt für einen Aufpreis auch schon einmal das Kondom weg. Fuhrs Kirche und die umliegenden Sozialstationen bieten deswegen vor allem Aids-präventive Maßnahmen an für die Mädchen, die mit Trippelschritten am Straßenrand hin- und hermarschieren. Viele von ihnen halten an diesem regnerischen Wintertag denselben pinken Regenschirm in der Hand. Wie freiwillig Prostituierte ihren Job machen, ist die große Frage, die die Gesellschaft umtreibt. Während es bei der Polizei heißt, ein großer Teil der Frauen würde dieses Geschäft zwangsweise ausführen – sei es durch Menschenhändler, Zuhälter, die eigene Armut oder Drogensucht dazu gedrängt – finden sich bei der Recherche in der Szene, unter Beratungsstellen, Sexarbeiterinnen und Wissenschaftlern eher gegenteilige Berichte.

Andere Regeln, in einem anderen Business, kommentiert denn auch Vanessa Eden die Arbeit der Frauen auf dem Straßenstrich. Eden, die eigentlich anders heißt, ist eine ehemalige Escortdame aus Bayreuth. Gerade erschien ihr Buch „Warum Männer 2000 Euro für eine Nacht bezahlen“. Mit 24 Jahren begann sie als Callgirl in der Schweiz zu arbeiten, ein paar Tage in einem Bordell waren auch dabei. Das aber war für sie nicht das Richtige. Ihre Arbeit als Edelprostituierte dagegen machte ihr immer Spaß. Sie empfinde es als ein „Privileg von uns Frauen, dass wir überhaupt für Sex Geld verlangen können“. Bevor sich Vanessa Eden mit ihren Kunden in feinen Restaurants und Hotels traf, forderte sie von den Männern Angaben über sich selbst. Sie erließ Beschränkungen über das Alter, Gewicht, verlangte eine Vorlaufzeit von zwei Wochen, eine Anzahlung vom Kunden und ein Foto des Mannes, mit dem sie den Abend verbringen würde.

Heute ärgert sie sich noch immer darüber, wie ihr Beruf in den Medien dargestellt wird: „Wenn ein Mann sein Geld damit verdienen würde, Frauen zu beglücken, würde man sagen:  ‚Jetzt macht er sein Hobby zum Beruf.‘“ Ihm würde man nie unterstellen, dass er sich unterwerfe. Arrogant findet sie es, Frauen vorzuhalten, sie täten den Job gezwungenermaßen und ungerne. Dieses „Verächtliche“ stecke tief in der Geschichte der Prostitution und sei ein Zeichen des Ungleichgewichts zwischen Männern und Frauen. „Wenn Frauen ihre Sexualität frei ausleben, wird ganz deutlich, dass sie schon immer diskreditiert wurden, unabhängig davon, ob sie Geld dafür verlangen oder nicht.“
Suchtkrank oder depressiv dürfe man nicht sein, wenn man sich für den Job entscheide, die Entscheidung müsse bewusst und freiwillig geschehen. „Psychische Stabilität ist das A und O“, findet Eden. Sie kenne einige Frauen, die am Wochenende in ein Bordell zum Arbeiten gingen, wie andere Frauen in einen Swinger-Club – nur mit dem Unterschied, dass sie dafür Geld bekämen: „Diese Frauen finden einfach die Atmosphäre spannend.“

Es sind diese Frauen, die den Beruf freiwillig machen und für die auch die Regelungen des Prostitutionsgesetzes greifen sollten, das von der rot-grünen Regierung im Jahr 2002 eingeführt wurde. Das Ziel: Dass Prostituierte endlich aus der Illegalität kommen, sich legal krankenversichern und ihre Löhne auch vor Gericht einfordern können. Nach zehn Jahren aber konstatieren die meisten Betroffenen: Die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen haben sich nicht wirklich gebessert. Weder Pastor Fuhr noch Christiane Howe halten das Gesetz denn auch für besonders hilfreich oder gelungen. Es seien seitdem nicht mehr Frauen in eine Anstellung gekommen, befindet Christiane Howe und Pastor Fuhr sagt: „Das hat nichts geändert hier.“ Es ist der Politik offenbar nicht gelungen, eine sinnvolle Gesetzeslage zu schaffen für die Sexarbeit, die sich zwischen Straßenstrich, Escortservice und Bordellbetrieb so heterogen präsentiert, wie kaum ein anderes Gewerbe.

Mit Vanessa Edens Welt hat das Gewerbe an der Berliner Kurfürstenstraße denn auch nichts zu tun. „Nee, hier sind wa echt nicht schick“, sagt Pastor Fuhr zum Abschied und schließt die schwere Tür des Gemeindehauses hinter dem Besucher. Draußen auf der Straße, wo eben noch eine junge Frau in schwarzen Stiefeln und enger Jeans stand, liegt jetzt nur noch ein Regenschirm auf dem Fußweg.
 

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