- Nicht jedes Geheimpapier gehört an die Öffentlichkeit
Zur Demokratie gehört beides, das Geheimnis und dessen Verrat. Ein Freibrief für Journalisten ist dies allerdings nicht
Der Geheimnisverrat hat Konjunktur in Deutschland. Kaum eine Woche vergeht, in der in den Medien nicht irgendwelche Geheimpapiere veröffentlicht werden. Selbstbewusst rufen Journalisten ihre Informanten zu Dienstvergehen auf. So eifrig werden derzeit Geheimdokumente aus Ministerien, Ämtern und vor allem den Sicherheitsbehörden durchgestochen, dass es fast so scheint, als gebe es zumindest in den westlichen Demokratien überhaupt keine Staatsgeheimnisse mehr. Die Whistleblower genießen bei Journalisten und Bürgerrechtlern Kultstatus.
Entsprechend einhellig ist nun die Empörung über das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen zwei Journalisten des Onlineblogs netzpolitik.org. Wenn dieses Ermittlungsverfahren der Versuch des Verfassungsschutzes und der Bundesanwaltschaft sowie der Bundesregierung im Hintergrund gewesen sein soll, Journalisten und vor allem ihre Informanten einzuschüchtern, dann ist dieser Versuch grandios nach hinten losgegangen.
Stattdessen haben sich die Schützer des Staates und seiner Geheimnisse bis auf die Knochen blamiert. Selbst die Bundeskanzlerin hat sich mittlerweile von den Ermittlungen distanziert. Jetzt wird ein Bauernopfer gesucht. Es könnte Generalbundesanwalt Harald Range werden.
Der Verfassungsschutz vertuscht sein eigenes Versagen
In Wirklichkeit jedoch eignet sich das Ermittlungsverfahren gegen netzpolitik.org nicht zum Skandal, allenfalls zur Sommerposse. Viel zu offensichtlich ist, dass die Veröffentlichung von Plänen des Verfassungsschutzes zur Überwachung des Internets weder die innere noch die äußere Sicherheit bedroht. Eines Gutachtens hätte es dazu nicht bedurft.
Auf der anderen Seite wundert man sich eher, dass der Verfassungsschutz erst jetzt auf die Idee kommt, zur Wahrnehmung seiner Aufgaben die sozialen Netzwerke mit einer eigenen Fachabteilung in den Blick zu nehmen. Und man fragt sich: Was hätte einen modernen Verfassungsschutz davon abhalten sollen, diese Pläne in der Öffentlichkeit zu diskutieren und gleichzeitig mit der Gesellschaft in einen Dialog darüber zu treten, wo in einer Demokratie die Grenzen der Internetüberwachung verlaufen?
Ohne Zweifel würden dem Verfassungsschutz mehr Offenheit und mehr demokratische Kontrolle gut tun. Nicht zuletzt der NSU-Skandal hat schließlich gezeigt, dass dieser mit seinem Geheimstempel häufig nicht die innere Sicherheit schützt, sondern das eigene Versagen zu vertuschen versucht.
Gleichzeitig haben die Snowden-Enthüllungen aufgezeigt, in welchem Ausmaß den Geheimdiensten in aller Welt im Zuge der Digitalisierung eine delegitimierte und unkontrollierte Macht zugewachsen ist, weil sie fast unbegrenzt auf die persönlichen Daten von fast jedermann zugreifen können.
Die totale Transparenz als Selbstverteidigung
Manche Journalisten ziehen aus der Vertrauens- und Legitimationskrise der Sicherheitsbehörden den Schluss, dass deren Akten in jedem Fall öffentlich gemacht werden sollten. Digitale Bürgerrechtler, etwa die Anhänger von Wikileaks oder vergleichbarer Enthüllungsplattformen, feiern diese totale Transparenz als Selbstverteidigung gegen das „unethische Verhalten“ der eigenen Regierung. Alles ist erlaubt im digitalen Freiheitskampf, so scheint das Motto zu lauten. Staatsgeheimnisse gibt es nicht mehr.
Das Recht indes scheint wie auch der Verfassungsschutz in der Tat noch aus einer anderen Zeit zu stammen. Laut § 93 Strafgesetzbuch sind Staatsgeheimnisse solche „Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden“.
Wer solche Staatsgeheimnisse „öffentlich bekannt macht“ und dadurch „die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt“, macht sich gemäß § 94 Strafgesetzbuch des Landesverrats schuldig.
Fremde Mächte, äußere Sicherheit, Landesverrat; all das klingt in der Tat nach Preußischem Landrecht oder Kaltem Krieg, aber nicht nach Meinungsfreiheit. Das klingt nach Obrigkeitsstaat und nicht nach digitaler Demokratie. Trotzdem muss der Hinweis erlaubt sein, dass es auch in einem modernen demokratischen Staat einen Kernbereich vertraulicher Informationen im Sicherheitsbereich des Staates gibt, der strafrechtlich geschützt ist. Hinter dem auch die Pressefreiheit zurückstehen muss.
Aufgabe der Journalisten ist, Missstände der Geheimdienste aufzudecken
Die durch das Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen. Selbst in seinem legendären Spiegel-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1966 festgestellt: „Die Pressefreiheit birgt die Möglichkeit in sich, mit anderen, vom Grundgesetz geschützten Werten in Konflikt zu geraten; es kann sich dabei um Rechte und Interessen Einzelner, der Verbände und Gruppen, aber auch der Gemeinschaft selbst handeln.“ Diesen Grundrechtskonflikt gilt es auch für Journalisten immer wieder abzuwägen.
Zu den Interessen der vom Grundgesetz geschützten Werte der Gemeinschaft gehört zum Beispiel eine effektive Verbrechensbekämpfung. Sie setzt Vertraulichkeit voraus. Würden etwa alle Informationen oder Strategien, mit denen die Sicherheitsbehörden zum Bespiel den internationalen Terrorismus oder auch den Rechtsterrorismus bekämpfen, öffentlich, wäre die innere Sicherheit in Deutschland massiv gefährdet.
Natürlich führen Geheimdienste schnell ein Eigenleben, übertreten die gesetzlichen Vorgaben. Deshalb ist es die Aufgabe von Journalisten, auf solche Missstände hinzuweisen. Aber keine auf Whistleblower gestützte Berichterstattung in den Medien kann eine demokratische Kontrolle des Geheimdienstes durch die Abgeordneten des Bundestages ersetzen. Auch nicht, wenn dort derzeit so einiges im Argen liegt.
Unsichere Quellen und Intrigen
Hinzu kommt: Nicht immer sind die Quellen, aus denen geheime Akten stammen, über jeden Zweifel erhaben. Die meisten Informanten, die Akten aus dem Sicherheitsapparat durchstechen, handeln nicht aus altruistischen Motiven. Oft geht es um interne Machtkämpfe, um Intrigen in den Ämtern. Leicht können Journalisten beim Dealen mit Geheimdienstinformationen deshalb zum Spielball von schwer zu durchschauenden Interessen oder gar von undemokratischen Mächten werden.
Die Stasi etwa war in den Zeiten des Kalten Krieges ein Meister der Desinformation. Statt also jedes Geheimpapier, das seinen Weg in die Öffentlichkeit findet, zu bejubeln, würde vielen Journalisten auch ein bisschen mehr kritische Reflexion nicht schaden.
Es kann durchaus sein, dass zur Demokratie beides gehört: das Geheimnis und dessen Verrat. Ein Freibrief für Journalisten ist dies allerdings nicht.
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