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Deutsche Waffen an die Kurden - „Von der Leyens Tabubruch könnte Folgen haben“

Seit mehr als einem Jahr liefert Deutschland Waffen an die kurdischen Peschmerga im Nordirak. Die jüngste Gewalt zwischen der Türkei und der kurdischen PKK sieht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen daher mit Sorge. An der Waffenfrage wird sich der Erfolg der Bundeswehrmission bemessen, sagt die Politikanalystin Magdalena Kirchner

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Frau Kirchner, die Türkei hatte die 28 Nato-Mitgliedstaaten zu einer Sondersitzung einberufen. Möchte Ankara uns in einen neuen Krieg hineinziehen?
Das glaube ich nicht. Die Türkei verfügt selbst über die militärischen Mittel, die kurdische Separatistenpartei PKK zu bekämpfen und ein Nato-Einsatz gegen IS ist weiterhin unwahrscheinlich. Ankara ging es eher um eine politische Legitimation und Abstimmung mit den anderen Partnern.

Die Nato hat bei dem Treffen zwar das Vorgehen der Türkei gegen den IS begrüßt. Zu den jüngsten Angriffen auf Stellungen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK schwieg das Bündnis jedoch. Zuvor hatten die USA der Türkei sogar zugebilligt, sich gegen diese „Terrororganisation“ – die PKK – wehren zu dürfen.
Ich glaube sogar, dass die Türkei über kurz oder lang bekommen wird, was sie will – ein weitgehendes Abnicken der Maßnahmen gegen die PKK. Oder, in anderen Worten: eine Gleichsetzung von PKK und IS. Die meisten Nato-Mitgliedsstaaten werden wohl sagen: „Wenn das der Preis für die türkischen Luftwaffenbasen ist, um den IS effektiver bekämpfen zu können, werden wir ihn zahlen.“

Warum verurteilt die Nato nicht das Vorgehen gegen die PKK?
Das fehlende Engagement der Türkei als Schlüsselstaat im Kampf gegen IS war für die internationale Allianz und auch für die Nato selbst enorm imageschädigend. Kritisiert man nun die Türkei dafür, gegen eine von vielen Nato-Staaten ebenfalls als terroristisch eingestufte PKK-Organisation vorzugehen, könnte Ankara seinen Partnern Doppelmoral im Kampf gegen Terrorismus vorwerfen. Deswegen wird man der Türkei diese Ausweitung des Anti-Terrorkampfes in der Region wohl durchgehen lassen.
Bei dem heutigen Treffen ging es aber auch noch um einen zweiten Punkt: Derzeit sind auch nicht-türkische Nato-Truppen auf türkischem Gebiet stationiert – darunter auch die Bundeswehr mit ihren Patriot-Raketen. Jede Eskalation gegen den IS und die PKK wäre daher auch ein Risiko für die deutschen Soldaten. Deswegen ist die Türkei gut beraten, ihre weiteren Schritte mit den anderen Nato-Partnern abzustimmen. Die Türkei hat auch schon zuvor – zuletzt 2012 – auf den Artikel 4 des Nato-Vertrages zurückgegriffen: Der sieht Konsultationen vor, wenn die Sicherheit eines Mitgliedsstaates bedroht ist.

Wann greift denn der Bündnisfall nach Artikel 5?
Der letzte Nato-Bündnisfall war der Anschlag des 11. September 2001 auf das World Trade Center. Damit hatte die Nato ihren Einsatz in Afghanistan legitimiert. Dass der Anschlag von Suruç auch einen solchen Verteidigungsfall begründet, ist jedoch stark zu bezweifeln.

Deutschland steht in der Nato etwas anders da: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte den türkischen Angriff auf die PKK am Wochenende kritisiert und Versöhnung angemahnt.
Die Vorstellung, dass ein türkischer Kampfpanzer deutschen Fabrikats von einer an die Kurden im Nord-Irak gelieferten Milan-Rakete getroffen werden könnte, ist für die Bundesregierung mit Sicherheit mehr als unangenehm. Denn an der Frage, ob es gelingen kann, eine von vielen Kritikern befürchtete Weitergabe von Waffen an die PKK im Nordirak zu verhindern, wird sich auch der Erfolg der Bundeswehrmission bemessen. Darüber hinaus wird sich dann zeigen, ob von der Leyens riskanter außenpolitischer Tabubruch nicht Folgen haben wird: die militärische Befähigung eines nichtstaatlichen Konfliktakteurs. Die Bundesregierung hat also ein großes Interesse daran, dass sich der Konflikt zwischen der Türkei und der PKK nicht mit jenem zwischen irakischen Kurden und dem IS vermischt. Für die Amerikaner jedoch, die 80 Prozent der Luftschläge gegen IS bestreiten, könnte diese Entwicklung eine Entlastung bedeuten.

Die US-Streitkräfte brauchen die Flugplätze der Türkei...
Ja. Bevor nun US-Kampfflugzeuge von Incirlik und Diyarbakir starten dürfen, verhandelte man monatelang lediglich über unbemannte Drohnen und musste auf weiter entfernte Stützpunkte zurückgreifen.

[[{"fid":"66368","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":165,"width":130,"style":"width: 130px; height: 165px; margin: 5px; float: left;","title":"Magdalena Kirchner. Foto: DGAP","class":"media-element file-full"}}]]Wir opfern also die Kurden, um den IS besiegen zu können?
So scharf würde ich es nicht sagen. Ich vermute dennoch, dass es hier zu einem Kuhhandel kommen könnte: Die westliche Kooperation mit den Kurden war primär eine Kompensation für das fehlende türkische Engagement gegen den IS. Schon allein aufgrund ihrer politischen Fragmentierung und schwierigen Beziehungen zum Westen und zu anderen lokalen Gruppen sollten vor allem nicht alle kurdischen Parteien als Wahlpartner, sondern eher als Lückenbüßer gesehen werden.

Es gibt in Deutschland Diskussionen, ob man die PKK von der Terrorliste streicht – so fordert die Linkspartei eine Legalisierung.
Übrigens auch für die in Syrien aktive kurdische PYD, die „Partei der Demokratischen Union“, die als syrischer Ableger der PKK gilt. Als Argument für eine Legalisierung wird gerne ins Feld geführt, dass sie die einzigen seien, die vor Ort erfolgreich den IS bekämpfen. Die türkische Regierung jedoch hat immer betont, dass es sich hier ebenso um Terroristen handelt, wie im Fall von IS.

Wie sehen Sie das?
Es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen IS und PKK, zumal sich letztere in den vergangenen Jahrzehnten stark deradikalisiert hat. Aber ich bin auch skeptisch, was die Hoffnung im Westen, insbesondere mit Blick auf ihre Demokratisierungsfähigkeit, angeht. Die PKK ist keine Friedensbewegung und untergräbt zudem das Gewaltmonopol des Staates. Dies zeigte sich ja gerade an der jüngsten Ermordung der beiden Polizisten, die aus Sicht der PKK mit dem IS sympathisierten. Zudem profitiert die PKK genauso von der jüngsten Eskalation in der Türkei wie Erdoğans Partei AKP. Die großen Verlierer sind die moderaten Kurden – allen voran die HDP, die in den jüngsten Wahlen knapp 13 Prozent gewonnen hat – und die Türkei selbst, die mit dem Friedensprozess auf einem guten Weg war.

Im Herbst könnte es zu Neuwahlen kommen.
Die Türkei befindet sich de facto auch Wochen nach der Parlamentswahl noch im Wahlkampf. Erdoğan will mit den Angriffen seine eigene Machtposition unterstreichen und hofft bei Neuwahlen auf Stimmen aus dem nationalistischen Lager. Denn eine weitere Sorge der Regierung ist, dass aus den drei voneinander getrennten kurdischen Kantonen an der syrisch-türkischen Grenze ein durchgängig von feindlicher Hand kontrolliertes Staatsgebilde wächst. Dass dies keineswegs unrealistisch ist, hat die PYD im Zuge ihrer militärischen Erfolge gegen den IS schon bewiesen.

Der Attentäter von Suruç, einer überwiegend kurdischen Stadt, war selbst Kurde und Alevite. Kurden töten Kurden – wie erklärt sich das?  
Aus der südöstlichen, kurdischen Provinzhauptstadt Adiyaman kam mit dem Attentäter von Suruç bereits der zweite IS-Selbstmordattentäter innerhalb weniger Wochen. Der Ort gilt als arm und traditionell stark konservativ. Adiyaman ist eine Hochburg islamischer Parteien wie auch der AKP. Die meisten Menschen dort konnten aber der marxistischen Ideologie der PKK und auch einem kurdischen Nationalismus eher wenig abgewinnen. Entlang dieser Spaltung entstanden, zum Teil befördert durch den türkischen Staat – auch bewaffnete kurdisch-islamistische Gruppen wie die Hisbollah. Auch viele – ebenfalls kurdische – Rekruten und Sympathisanten des IS kommen von dort.

Der IS bekämpft doch aber die Kurden, die Jesiden…?
Das ist auch nur zum Teil richtig. Der IS verurteilt natürlich kurdische Muslime, die sich dem eigenen Herrschaftsanspruch widersetzen, solche, die nicht Muslime sind – wie die Jesiden –, solche, die Anhänger der PKK oder demokratischer Bewegungen sind und vor allem die Peschmerga, weil sie mit den USA verbündet sind. Der Konflikt zwischen IS und vielen Kurden ist primär ein politischer, denn eigentlich möchte sich IS ja als transethnische Bewegung darstellen. Daher war der Anschlag von Suruç ein echter Propaganda-Coup: ein Kurde bringt im Namen des IS auch andere Kurden um und macht deutlich, dass Religion über der eigenen Ethnie steht. Auch im innertürkischen Konflikt besitzt der Anschlag große Symbolwirkung, unterstreicht er doch für Kritiker des Friedensprozesses die Uneinigkeit der Kurden.

Die Türkei hat seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges vor allem einen Hauptgegner gesehen: Baschar-al Assad. Die ganze westliche Welt hat weggesehen. Jetzt haben wir den IS. Hätten wir da nicht viel früher auf die Türkei hören sollen?
Einerseits würde ich diese Einschätzung teilen, denn der IS hat von der Untätigkeit des Westens profitiert, die auch die Türkei kritisiert und stattdessen eine militärisch gesicherte Flugverbotszone vorgeschlagen hatte. Dafür fand sich – gerade vor dem Hintergrund der Libyen-Erfahrung – kein Konsens in der Nato oder anderen internationalen Organisationen. Andererseits kann man die Türkei aus dieser Gleichung aber nicht herausnehmen, denn die türkische Reaktion auf diese Untätigkeit muss ebenfalls als hochdesaströs gelten. Gerade Präsident Erdoğan hat den IS nicht nur aus innenpolitischen Gründen zu lange toleriert. Er hat auch zugelassen, dass der türkisch-kurdische Konflikt, der ja fast schon gelöst schien, jetzt wieder zum Krieg werden könnte.

Magdalena Kirchner ist Expertin für Sicherheitspolitik, Türkei und den Nahen Osten bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Das Interview führte Petra Sorge

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