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Vorwürfe gegen Jakob Augstein - „Grenzwertig, aber nicht antisemitisch”

Das Simon-Wiesenthal-Center hat Jakob Augstein in die Liste der zehn schlimmsten Antisemiten des Jahres 2012 aufgenommen. Im Interview mit Cicero Online erklärt Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung, warum das ein Fehler war

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Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

Frau Wetzel, ist Jakob Augstein ein Antisemit?
Nein. Jakob Augstein ist kein Antisemit. Es ist sowieso immer problematisch, jemanden als Antisemiten zu bezeichnen. Man kann höchstens sagen: Der oder der bedient antisemitische Klischees, Ressentiments, Vorurteile. Das erleben wir ja auch ständig: Man braucht sich nur Leserkommentare auf den Online-Seiten der Tageszeitungen anzuschauen, wenn es um den Nahost-Konflikt geht. Aber auch das würde ich von Jakob Augstein nicht sagen – auch wenn seine Kritik an der israelischen Regierung scharf und harsch ist und sicherlich manchmal grenzwertig.

Wie beurteilen Sie seine Aufnahme in die Liste der zehn schlimmsten Antisemiten des Jahres 2012?
Ich halte das Ganze für überzogen: Dass gerade Herr Augstein in die Liste aufgenommen wird – und nicht, sagen wir, Leute von der NPD. Das ist ja eine Liste, in der nun wirklich die notorischen Antisemiten drin sind wie Ahmadinedschad oder die Muslimbrüder.

Was macht eine Äußerung antisemitisch?
Das ist so schwarz-weiß nicht zu sagen. Es geht immer darum: Was sagt wer, wann, vor welchem Hintergrund, mit welcher Absicht? Ist es Indifferenz, Unkenntnis, oder tatsächlich Absicht? Wenn wir von israelbezogenem Antisemitismus sprechen: Da gibt es schon Grenzen, wo man sagen kann, das ist jetzt antisemitisch. Etwa wenn die Politik der israelischen Regierung oder das Vorgehen des israelischen Militärs im Gaza-Streifen mit dem Holocaust gleichgesetzt werden und damit eine Täter-Opfer-Umkehr erfolgt. Oder wenn gesagt wird: Israel ist die einzige Bedrohung für den Weltfrieden.

Es gibt also eine Grauzone zwischen legitimer Kritik am Staat Israel und israelbezogenem Antisemitismus?
Natürlich.

Sie schreiben, dass Israelkritik in drei Fällen die Grenze zum Antisemitismus überschreitet. Erstens, wenn das Existenzrecht des Staates Israel infrage gestellt oder bestritten wird. Zweitens, wenn Zionismus und Rassismus gleichgestellt werden. Drittens, wenn das Vorgehen des israelischen Militärs mit dem nationalsozialistischen Völkermord gleichgesetzt wird. Hat Jakob Augstein in seinen Texten eine dieser Grenzen überschritten?
Ich kenne nicht jede seiner Aussagen. Aber die Aussagen, die jetzt noch mal in der Presse waren – da würde ich sagen: Das ist zwar grenzwertig, aber er überschreitet diese Grenzen nicht.

[gallery:Der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn]

„Die antisemitischen Äußerungen nehmen unserer Wahrnehmung nach stark zu”, erklärte Efraim Zuroff, der Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem, in der Jüdischen Allgemeinen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nein, das tue ich nicht. Ich würde nicht sagen, dass antisemitische Äußerungen zunehmen. Und auch der Antisemitismus insgesamt nimmt nicht zu, sondern liegt in den letzten zwanzig, fünfundzwanzig Jahren konstant bei etwa fünfzehn bis zwanzig Prozent. Die antisemitischen Straftaten sind auch konstant auf einem Niveau – allerdings auf einem hohen. Zuletzt wurden es aber weniger.

Antisemitische Äußerungen nehmen vermeintlich zu, weil man – gerade in Bezug auf den Nahost-Konflikt – immer wieder solche Stereotypisierungen hört, auch von Politikern. Solche Fälle gibt es immer wieder, und natürlich gibt es auch immer wieder Übergriffe. Aber ich würde nicht per se sagen, der Antisemitismus nimmt zu. Es ist gut möglich, dass die Berichterstattung zugenommen hat. Das gilt insbesondere für die These, die Muslime seien antisemitisch. Dabei haben wir dafür bisher überhaupt keine verlässlichen Daten.

Die Reaktionen auf Augsteins Nominierung kamen prompt und waren ziemlich einheitlich: Journalisten, Politiker und auch Salomon Korn, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, haben Augstein verteidigt. Nur wenige haben die Entscheidung des Simon-Wiesenthal-Centers befürwortet. Waren Sie von diesen Reaktionen überrascht?
Nein. Diese Leute – und ich auch – versuchen, zu sagen, dass das überzogen ist und möglicherweise auf einer relativen Unkenntnis seiner Texte basiert. Man muss die Sache richtig stellen und klarmachen: Wenn wir den Begriff Antisemitismus ständig benutzen für Dinge, die nicht antisemitisch sind, dann höhlen wir ihn aus. Es gibt genug Menschen, die wirklich solche Haltungen haben – denken Sie an die NPD. Aber verteidigen muss man Herrn Augstein nicht. Das kann er sehr gut selbst; das hat er ja auch getan.

Das Simon-Wiesenthal-Center veröffentlicht seit 2010 jährlich eine Top-Ten-Liste der schlimmsten Antisemiten. Eine gute Idee?
Wie hilfreich diese Liste ist, sehen wir, wenn jetzt überall verbreitet wird, dass Jakob Augstein ein Antisemit ist. Er wird da auf eine Stufe gestellt mit Ahmadinedschad. Und damit wird der Antisemitismus eines Ahmadinedschad trivialisiert.

Frau Dr. Wetzel, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Dr. Juliane Wetzel arbeitet am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit aktuellen Formen des Antisemitismus im In- und Ausland.

Das Interview führte Christophe Braun.

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