- Warum Gauck Recht hat
Joachim Gauck hat die Grenzen seines Amtes nicht überschritten. Im Gegenteil. Der Präsident ist kein Grußaugust, sondern ein den Werten unserer Verfassung verpflichteter politischer Akteur
Joachim Gauck ist ein politischer Bundespräsident. Er setzt mit seinen kritischen Fragen zur möglichen Wahl eines Ministerpräsidenten der Linken in Thüringen erneut deutliche Akzente. Dabei formuliert er vorsichtig. Er unterstellt nicht, sondern fragt, ob die Linke schon so weit weg von den Vorstellungen ist, die die SED einst bei der Unterdrückung der Menschen gehabt habe, dass man ihr vertrauen könne. Und er fügt hinzu, dass es Teile der Partei gebe, bei denen er Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln. Man hätte es auch schärfer formulieren können. Schließlich ist die Linke nicht nur Nachfolgepartei der SED, sondern als Produkt mehrfacher Umbenennung sogar rechtlich mit ihr identisch.
Gaucks Äußerung empört einen Teil der Öffentlichkeit. Katja Kipping sieht als Bundesvorsitzende der Linken den Anstand verletzt, Spiegel Online identifiziert die „Grenzüberschreitung“ eines „parteiischen Präsidenten“, und die TAZ erblickt gar eine „Anmaßung vom Feldherrenhügel.“ Unklar bleibt, ob die Schelte die Rechtsstellung des Bundespräsidenten meint oder doch nur auf den Inhalt des Gesagten zielt.
Nicht erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu einer abfälligen Gauck-Äußerung über die NPD hat geklärt, dass der Amtsinhaber selbst bestimmen kann, wie er seine Repräsentations- und Integrationsaufgabe mit Leben füllt; eigentlich war das schon zuvor eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit. Der Bundespräsident hat sich am Gemeinwohl zu orientieren und darf keine Partei begünstigen. Aber er ist nicht gehindert, Debatten anzustoßen und zu beeinflussen – schon gar nicht, wenn es um eine Grundsatzfrage wie die der politischen Verantwortung für das Unrecht einer Diktatur geht.
Das Grundgesetz gibt dem Bundespräsidenten nur wenig Handlungsmacht, aber ein erhebliches Potenzial politischer und moralischer Wirkungskraft. Das Amt lässt sich nicht zurückstutzen auf die Tätigkeit als Grüß-Gott-August der Republik.
Die Macht der Worte
Das Staatsoberhaupt wirkt vor allem durch die Macht seiner Worte. Je stärker ein Bundespräsident Orientierung gibt, also für die Veränderung von Haltungen und Verhaltensweisen wirbt und dadurch Einfluss zu nehmen versucht, desto eher fordert er auch Widerspruch heraus. Eilt er hingegen nur dem allseitigen Beifall nach, verpuffen seine Worte in der Höhe ihrer Abstraktion. Ein Bundespräsident verkörpert zwar das Ganze, aber nicht um den Preis der Zustimmung aller! Ein konturloser Präsident brächte sich um die Möglichkeiten seines Amtes; das sollte sich niemand wünschen.
Joachim Gauck war sich gewiss bewusst, dass er für seine Äußerung nicht nur Zustimmung erhalten würde. Horst Köhler begründete 2010 seinen überraschenden Rücktritt als Bundespräsident mit der öffentlichen Kritik an seinen Äußerungen, die den notwendigen Respekt vor seinem Amt vermissen lasse. Aber wer eine Debatte anstößt, begibt sich in den Meinungsstreit. Er ist ein Wesenselement der Demokratie, die der Bundespräsident repräsentiert. Sein Amt schützt ihn nicht vor Widerspruch. Es ist legitim und nicht von vornherein respektlos, weshalb Köhlers Amtsverzicht der Diskussion schadete, die er doch eigentlich befördern wollte.
Kritiker Gaucks fordern von ihm mehr Zurückhaltung im Amt. Aber die wenigsten dürfte die Sorge um seine verfassungsrechtliche Stellung antreiben; häufiger ist Heuchelei zu vermuten. Nützliche Äußerungen werden gern akzeptiert, schmerzhafte hingegen als Kompetenzüberschreitung gegeißelt.
Nein, hier hat der Bundespräsident nicht die Grenzen seines Amtes überschritten, sondern dessen Möglichkeiten verantwortungsvoll genutzt. Der Präsident ist keine Buxbaumattrappe des Bundesstaates, sondern ein den Werten unserer Verfassung verpflichteter politischer Akteur. Zu seinen Amtspflichten gehört nicht die Blindheit gegenüber totalitären Verstrickungen von Parteien.
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