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Online-Bibliothek - Wie Amazon ein Kulturgut bedroht

Die Medienkolumne: Bücher in einer Flatrate, unbegrenzt, überall: Mit seiner neuen Online-Bibliothek greift Amazon Verleger, Buchhändler und Autoren an

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Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Ein Zufall ist das sicherlich nicht. Amazon startete seinen Angriff auf die deutsche Buchpreisbindung ausgerechnet zur Frankfurter Buchmesse. Es ist ein Angriff auf Buchhändler, Verlage – und letztlich auch Autoren.

Vordergründig klingt das neue Angebot ja verlockend: Amazon wird zu einer riesigen Bibliothek. Das Online-Versandhaus bietet 650.000 Bücher zum unbegrenzten digitalen Lesen, darunter 40.000 Titel in deutscher Sprache. Mit nur einem Klick können die Kunden Ebooks auf jedem Gerät finden. Ein Leihfristende gibt es nicht. Vor noch nicht einmal einem Monat hatte Netflix seinen Video-on-Demand-Dienst in Deutschland gestartet. Da wollte Amazon auf dem Buchmarkt nicht hinterherhinken. Die „Kindle Unlimited“-Flatrate kostet den Nutzer gerade mal 9,99 Euro monatlich.

Ein genialer Zug, mit dem Amazon seinen Hals aus einer juristischen Schlinge zieht. Vor drei Wochen erst war der Konzern in einem Rechtsstreit mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels unterlegen. Amazon darf Bücher in Deutschland nicht eigenmächtig unter dem Ladenpreis verkaufen. Dazu hatte der Online-Versandhändler eine Unterlassungserklärung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main abgegeben. Missachtet er die Buchpreisbindung, droht eine Vertragsstrafe über 250.000 Euro.

Es war ein Urteil, das nicht nur das Kulturgut Buch, sondern auch kleinere Verlage schützt. Buchpreisbindung, das heißt: Händler dürfen Bücher nicht unter einem Mindestpreis verkaufen. Sie garantiert die publizistische Vielfalt. Deswegen setzen auch elf andere europäische Länder auf diese Klausel.

Gesetze aus einer uralten, analogen Zeit


Mit der riesigen Online-Bibliothek umgeht Amazon das Problem geschickt. Denn die Buchpreisbindung ist nur beim Verkauf von Büchern anwendbar, nicht aber beim Verleih. Nicht einmal der Börsenverein des Deutschen Buchhandels kommt rechtlich dagegen an. „Preisbindungsrechtlich sind Flatrate-Modelle für den zeitlich begrenzten Zugriff durch den Kunden zulässig“, räumt Pressesprecherin Claudia Paul ein. „Wird das Buch nur für einen bestimmten Zeitraum genutzt, ist dies mit der Vermietung eines Buches vergleichbar.“ Ein solches Mietmodell bedürfe allerdings aus urheberrechtlichen Gründen der Zustimmung der Verlage.

Die Gesetze zur Miete und Leihe sind allerdings uralt. Sie stammen aus einer analogen Zeit, als die Dinge noch greifbar waren. Als die Bibliothekarin an der Ecke noch einen Stempel auf die erste Buchseite drückte, und mit Kugelschreiber Ausleihe- und Rückgabedatum in die Nutzerkartei eintrug. Wie soll man mit digitalen Inhalten verfahren, über die jeder immerzu verfügen, aber sie auch kopieren und weiterverbreiten kann?

In jedem Fall hält der Börsenverein des Deutschen Buchhandels E-Book-Flatrates selbst für „ein spannendes Angebot“, sogar für eine „legale Antwort auf Piraterie-Plattformen“, so Paul. Längst experimentiert die Branche selbst damit: So gibt es mit Readfy, Skoobe oder PaperC für Fachbücher bereits Online-Bibliotheken.

Das Angebot von Amazon ist daher weder neu noch innovativ. Es ist etwas ganz anderes – der Versuch eines Giganten, alle Facetten des Buchmarktes zu steuern: Verlag, Handel, Versand, Ausleihe. Amazon-Gründer Jeff Bezos, der vor einem Jahr die „Washington Post“ übernahm, wäre dann einer der wohl wichtigsten Männer des Wortes weltweit.

Über 1000 Autoren protestieren gegen Amazon


Der Börsenverein nennt Amazon schon einen „Erpresser“ und „Quasi-Monopolisten“. „Amazon verfolgt eine klare Strategie: Es möchte letztlich der einzige Intermediär zwischen Autoren und Lesern sein und Verlage und Buchhandlungen überflüssig machen“, sagt Paul.

Natürlich hat auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seine eigenen Interessen. Er ist  nichts anderes als eine Lobbyorganisation, die Verlage, Zwischenhändler und Buchläden vertritt – genau jene, die Amazon vom Markt vertreiben will. Der Onlinehändler umarmt stattdessen Autoren und Leser: ersteren bietet er mit dem Selbstverlag eine direkte Plattform zur Veröffentlichung von Werken; letztere sollen mit Dumpingpreisen geködert werden. Um die durchzusetzen, verweigert der Konzern sogar seinen eigenen Mitarbeitern einen anständigen Lohn, wie die jüngsten Streiks in den Paketzentren zeigen.

Doch zumindest die Autoren verweigern sich Amazon zunehmend. Vor zwei Wochen haben über 1000 Literaten dem Konzern einen Protestbrief geschickt. Sie fühlen sich übergangen, geknebelt, ausgebeutet. Hintergrund ist ein Streit zwischen Amazon und einem US-Tochterunternehmen des Verlags Hachette: Weil sich der französische Buchkonzern weigerte, mehr Geld an den Onlinehändler abzutreten, boykottierte Amazon die Auslieferung von Hachette-Büchern. Betroffen waren viele kleine Autoren, auch Debütanten, die dringend auf die Veröffentlichung angewiesen waren. „Bücher können nicht noch billiger geschrieben werden“, schrieben die wütenden Schriftsteller, „noch können Autoren in ein anderes Land outgesourct werden“. Amazon bedrohe die Existenz von Autoren, wenn es seine unglaubliche Macht nutze, um Buchautoren von ihrer Leserschaft zu trennen.

Letztendlich dient das brutale Geschäft von Amazon auch nicht den Lesern. Das, was in den Ebook-Läden läuft, ist häufig Schundware. Selbst zusammengestückelt, nie redigiert oder lektoriert. Wenn die gesamte Produktionskette im Buchmarkt dominiert, werden auch Orchideenverlage und -themen aussterben. Übrig bleibt Mainstream. Das schadet der Kultur – und den Lesern.

Österreich könnte die Lösung zu dem Dilemma gefunden haben. Der dortige Kulturminister Josef Ostermayer will die Buchpreisbindung auf den Online-Handel und E-Books ausweiten. „Im Sinne der Vielfalt ist es wichtig, Bücher zu schützen und ein Marktumfeld zu schaffen, das eine hohe Anzahl an Verlagen und Veröffentlichungen ermöglicht“, sagte Ostermeyer dem Kurier. Wenn das Gesetz wie geplant noch vor Weihnachten in Kraft tritt, wäre Österreich ein Vorreiter in Europa.

Dann könnte sich sicher auch der deutsche Gesetzgeber noch etwas abschauen.

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