- Mit Bibel gegen Multikultigedöns
Kolumne: Zwischen den Zeilen: Ein katholischer Schützenverein beruft sich auf seine christliche Ausrichtung, um einen Muslimen vom Schießen fernzuhalten und wehrt sich gegen Zwangsharmonisierung. Mit Christlichkeit hat das nichts zu tun, mit misslungener Integration aber auch nicht
Der Zeitreisende in H. G. Wells „The Time Machine“ kommt aus der Vergangenheit und trifft auf eine Zukunft, in der der Fortschritt irgendwann in Degeneration mündet, in der sich der Mensch letztlich wieder zum glitschigen Quallenwesen entwickelt. Es war Wells‘ dystopischer Gegenentwurf zur Fortschrittsgläubigkeit jener Zeit, in der man die Evolution als permanente Weiterentwicklung begriff. Bleibt zu hoffen, dass sich ein Zeitreisender nicht in den Sommer 2014 verliert, dass es ihn nicht nach NRW verschlägt, und dass er nicht der Debatte beiwohnen muss, die sich gerade an einem „muslimischen Schützenkönig“ festbeißt. Er könnte auf die Idee kommen, dass er am Wendepunkt angelangt sei und die Menschheit fortan wieder zu kriechen und zu sabbern beginnt.
Doch zur Chronologie der Ereignisse: Mithat Gedik wird Mitte Juli dieses Jahres in Werl Schützenkönig der St.-Georg-Schützenbrüderschaft. Es folgen Freud, Gesang und Festgottesdienst zu Ehren des neuen Regenten. Allein der Dachverband – der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften e.V. – hat etwas dagegen. Denn der neue König hat einen dunklen Fleck in seiner Vita: Er ist kein Christ, sondern Moslem. Gut, jetzt mögen die Verteidiger anbringen, der 33-jährige Kaufmann belegte einst katholische Religion als Abiturfach und hat eine Katholikin zur Frau. Aber: Ein bisschen Christ, das geht doch nicht. Mithat muss seinen Titel zurückgeben, befinden die Ordensbrüder. Der Fall gelangt in die Öffentlichkeit, die Schützenbrüder bekommen heftigen Gegenwind.
König ja, schießen nein
Am Mittwoch dann ruderte der Dachverband zurück. Ein bisschen zumindest. Der König darf nun doch König bleiben, die „Ausübung eines Amtes ab Bezirksebene wird hingegen nicht möglich sein“. Heißt: Titel ja, weiter Schießen nein. Wo kämen wir denn da hin, mag sich der ein oder andere Schützenbruder gedacht haben, der Konkurrenz jetzt auch noch das Schießen beizubringen. Gerade in solchen kulturell prekären Zeiten muss man schon klare Grenzen ziehen.
Und das machen sie dann auch. Der Dachverband erklärt in seiner Pressemeldung: „Es scheint so, als wollten diese Stimmen Zwangsharmonisierung und geistige Gleichschaltung in Deutschland erzwingen. Dies muss einen geschichtlich aufgeklärten Bundesbürger erschüttern“.
Ja, sie können einem regelrecht Leid tun. Die letzte Bastion im Kampf gegen Toleranzgedöns und Multikultiirrsinn. Selige Opfer einer völlig entgrenzten Welt, in der ein frechdreister Nichtchrist am Dorfleben teilhaben möchte. Wie intolerant von diesen Gutmenschen, jetzt auch noch den katholischen Waffenbrüdern ihre Riten vorschreiben zu wollen. Und mit „Zwangsharmonisierung“ hat so ein uniformierter Schützenbruder aber mal gar nichts am Federhut. Im Übrigen: Auf die Idee, den Kritikern mit dunkelster Geschichte zu kommen, muss man erst mal kommen.
Äußerst raffiniert auch, wie sich die Verantwortlichen beim Dachverband immer wieder auf Paragraph 2 ihres Statuts berufen, die ja die Aufnahme von Nichtchristen nicht vorsehe. Allerdings: Im Statut steht gar nicht explizit drin, dass ein Mitglied katholisch sein muss. Es muss sich lediglich für „katholische Glaubensgrundsätze und deren Verwirklichung“ einsetzen. Aber kann sich nicht auch ein Nichtchrist für christliche Inhalte einsetzen? Bundespressesprecher Rolf F. Nieborg auf Nachfrage: „Man kann von einem Muslim doch nicht erwarten, das er unterm Kreuz kniet.“
Schützenverein: Weltlicher geht nicht
Mit ein bisschen Fingerspitzelgefühl und/oder Fantasie hätte man also von vornherein ganz Statutenkonform den muslimischen Schützenkönig Muslim sein lassen können. Oder sich gleich auf den Paragraph 2.2.1 c) berufen können, in dem von christlicher Nächstenliebe die Rede ist. Die aber ist vermutlich auch nur was für Zwangsharmonisierer und würde womöglich den kernigen Leitspruch des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften verwässern: Für Glaube, Sitte und Heimat, heißt es.
Wobei die Frage erlaubt sein muss: Was eigentlich ist irdischer als ein zünftiges Schützenfest? Was weltlicher als Waffen, Weiber, Saufen, Sünde? Sich hier auf die Konfession zu berufen ist eine doch sehr eigenwillige Auslegung. Das Anforderungsprofil eines ordentlichen Schützenbruders ist doch nicht Christ oder Nichtchrist, sondern zielsicher, trinkfest, gebührlich, laut und lustig. Etwa nicht?
Genauso unterirdisch wie die Reaktion des Dachverbands mutet aber zum Teil die Debatte selbst an: Die Instrumentalisierung des muslimischen Schützenkönigs von Seiten diverser Funktionäre, Verbände und Diskriminierungsstellen ist fast so unerträglich wie die Reaktion der Schützenbrüder selbst. Warum muss an einem muslimischen Schützenkönig eine Grundsatzdebatte über Integration aufgehängt werden? Mal ehrlich: Ein trachtentragender Schießkamerad soll ein gelungenes Beispiel für Integration sein? Das hat Integration nun wirklich nicht verdient. Weder ist dieser Fall die geeignete Blaupause für das Gelingen, noch für das Misslingen von Integration. Allenfalls ein Beispiel für abseitiges männerbündisches Brauchtum. Wir sollten den Schützen ausnahmsweise wirklich mal im Dorf lassen.
Im Übrigen: Die Posse um den Schützenkönig ist nicht der erste Streit im Schützenzelt. Im März 2012 sprach sich der Dachverband mit deutlicher Mehrheit (30 Gegenstimmen bei 450 Stimmberechtigten) dafür aus, schwulen Schützenkönigen künftig zu untersagen, gemeinsam mit dem gleichgeschlechtlichen Lebenspartner als Königspaar aufzutreten. Später formulierte man es kurzerhand so um, dass es dem Partner eines schwulen Schützenkönigs immerhin erlaubt wurde, dem Könige in der zweiten Reihe zu folgen.
Müssten wir nicht eigentlich um jeden Menschen froh sein, der von solchen Bräuchen ausgeschlossen wird?
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