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Irrationale Abwehr - Religionsfeindlichkeit wird zur Trendsportart

CICERO ONLINE schaut zurück auf ein Jahr voller interessanter, bewegender, nachdenklicher oder einfach schöner Texte. Zum Jahreswechsel präsentieren wir Ihnen noch einmal das Beste aus 2013.Auch manche Reaktion auf die Rücktrittsankündigung Benedikts XVI. hat gezeigt: Religionsfeindlichkeit nimmt zu. Aufklärung aber braucht die Bereitschaft, auch dem Gehör zu schenken, was dem Konsens widerspricht 

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ferndiagnosen treffen selten ins Schwarze, und Phobien gehören in den Bereich der Psychiatrie. Immerhin handelt es sich bei ihnen um exzessive Angst, um vollendet irrationale Abwehrreaktionen. Sie bedürfen der Therapie, weil sich in ihnen eine krankhafte Einstellung offenbart. Insofern ist der momentan den Debattenalltag erobernde Begriff der "Katholikenphobie" ebenso unangemessen wie seine bereits weidlich eingeführten älteren Geschwister, die "Homophobie" und die "Islamophobie". Immer verbirgt sich hinter solchen Signalwörtern ein strategisches Interesse von Lobbyisten.

Kritik etwa an bestimmten Erscheinungsformen des Islam mag angemessen sein oder töricht, differenziert oder plump, abwägend oder nur destruktiv. Noch nie aber ist der Beweis gelungen, wer am Islam herummäkele, der sei eigentlich krank und gehöre unter psychiatrische Kuratel gestellt. Vielmehr sollen bestimmte Zuspitzungen so aus dem Diskurs verbannt und deren Bannerträger - bildlich gesprochen - in die geschlossene Abteilung verwiesen werden. Auch die "Homophobie" trägt ihren Namen zu Unrecht, wird mit diesem Etikett doch gerne jeder belegt, der dem Forderungskatalog einschlägiger Interessenvertretungen Kontra gibt.

Was aber sehr wohl allen drei Milieus entgegenschlagen kann, dem homosexuellen wie dem islamischen und katholischen, vom jüdischen ganz zu schweigen, ist Hass. Wer statt von "Katholikenphobie" von Katholikenhass spräche, hätte damit das Pendant zur vermeintlichen "Islamophobie" gefunden. In der Tat macht sich zuweilen ein Ton in der öffentlichen oder zumindest veröffentlichten Debatte breit, der an den Grundfesten der Religionsfreiheit wie der Meinungsfreiheit rüttelt. Die Republik wird eine andere sein, wenn derlei Religionsfeindlichkeit sich weiter zuspitzt. Religiöse wie Areligiöse werden die Zeche zu zahlen haben. Das gesamte Gefüge der Grund- und Menschenrechte käme ins Wanken.

Wie in fast allen Ländern dieser Erde sind auch in Deutschland jene Menschen, die einer Kirche oder einer anderen Glaubensgemeinschaft angehören, klar in der Mehrheit - das verfassungsändernde Quorum von zwei Dritteln überspringen sie locker. Vor allem die Christen indes scheinen neuerdings in eine seltsame Duldungsstarre verfallen. Wie anders ist es zu erklären, dass etwa die zunehmende Zahl an Kirchenschändungen, die in den Regionalzeitungen meist unter "Vermischtes" firmieren, achselzuckend hingenommen werden? Hakenkreuzschmierereien an den Außenwänden, aufgebrochene Opferstöcke, besudelte Altarräume gehören fast zur Tagesordnung. Will sich die Republik daran gewöhnen?

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Gewiss muss heute kein Getaufter wie weiland im alten Rom fürchten, den Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Kommode Zeiten sind es vor diesem Hintergrund. Der johlenden Meute im Fernsehstudio hingegen präsentiert man gerne einen bekennenden Christen als Bürgerschreck, damit er plangemäß eine seltsame Figur abgebe. Auch Rabbiner schrumpfen dort, wenn's der Quote dient, zu Freaks. Kein anderes Resultat ist möglich oder erwünscht, darf doch im Angesicht der Kamera nicht das allermindeste Grundwissen über Religion vorausgesetzt werden. Also müssen die Leute des Glaubens ausholen und neu ansetzen und es wiederum versuchen, bis ihnen endlich das Wort entzogen wird und das Gegenüber zielgenau beim konsensfähigen Resümee landen und sich seinen Applaus abholen darf: Unverständlich sei diese Rede gewesen, überholt, unzeitgemäß, irrational.

Die nackte Pöbelei, unterfüttert mit fein dosierter Vernichtungsphantasie, hat unterdessen in manchen Onlineforen auch angesehener Zeitungen und erst recht in sozialen Netzwerken das Regiment übernommen. Auch nach dem angekündigten Rücktritt Papst Benedikts XVI. sprudelten Hass und Häme bei Facebook & Co. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Bundesrepublik Deutschland stehe kurz davor, in einen Gottesstaat verwandelt zu werden. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz urteilte jüngst, es seien in den vergangenen Monaten zwei Gruppen "zum Abschuss freigegeben" worden, "die katholische Kirche und die FDP. Da fallen mittlerweile alle Tabus."

Nicht nur Tabus der Redeweisen und der Schicklichkeit sind hier tangiert. Wenn ein Katholik bei "Günther Jauch" Gejohle erntet statt Gegenargumente, wenn im Namen vermeintlicher Aufklärung deren vornehmste Frucht, die Meinungs- und Redefreiheit, eingeschränkt wird, sollte sich niemand in Sicherheit wiegen. Die Moden können wechseln: Die Bereitschaft zur öffentlichen Aburteilung wird bleiben, hat man sich erst einmal daran gewöhnt, dass das je Unzeitgemäße den Untergang im Orkus des Gelächters verdient. Wer kann schon wissen, was morgen und übermorgen den Ansprüchen des Zeitgeists nicht genügen wird?

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