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Investmentstrategie Land Grabbing - Afrikaner ohne Afrika

Der britische Wirtschaftsjournalist Fred Pearce beschreibt die verhängnisvolle Investmentstrategie des Land Grabbing

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Riechelmann, Cord

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„Ich bin mir sicher, dass Ackerland gegenwärtig eine der besten Kapitalanlagen darstellt”, erklärt der Hedgefonds-Guru George Soros in Fred Pearces Buch „Land Grabbing”. Durch diese Haltung wird Soros zu einem Hauptdarsteller im „globalen Kampf um Grund und Boden”, wie Pearce seine aktuelle Untersuchung untertitelt hat. „Land Grabbing” steht für alle Formen der umstrittenen Aneignung von Landrechten durch Ausländer oder andere „Außenstehende”, ganz gleich, ob die Übertragung auf legalem Weg verläuft oder nicht. Wobei Fred Pearce hinzufügt, dass nicht alle Formen der Landnahme schlecht seien, man müsse nur stets sehr genau hinschauen. Um dies zu tun, ist Pearce, der einer der angesehensten Umwelt- und Wissenschaftsjournalisten Großbritanniens ist, um die ganze Welt gereist. Im äthiopischen Gambella, also einer der ärmsten Provinzen eines der ärmsten Länder der Erde, sprach er mit jenen Menschen, die durch die neuen Landbesitzer um ihren Grund und Boden und damit ihre Lebensgrundlage gebracht werden. In Chicago besuchte er die im 19. Jahrhundert gegründete erste Börse für Lebensmittel; in London und New York hörte er sich an, mit welchen Argumenten die Manager der Investmentfirmen und Banken ihre Landkäufe, vor allem in Afrika und Südamerika, anpreisen.

Das Resultat ist nicht weniger als eine aktuelle Bestandsaufnahme dessen, was Karl Marx die „sogenannte ursprüngliche Akkumulation” nennt. Als „sogenannt ursprünglich” bezeichnet Marx die Formen der Land- und Naturaneignung, weil es sich tatsächlich um einen weiter andauernden Prozess handelt, um den die kapitalistische Reichtumsproduktion nicht herumkommt.

Es gibt nämlich nur zwei Quellen des menschlichen Reichtums: Arbeit und Natur. Man könnte auch sagen: Geld arbeitet nicht. Und das haben nun auch die Investmentbanker und Investoren bemerkt, weshalb sie sich auf all jene Gebiete stürzen, die noch keine Eigentumstitel nach westlichen Rechtsstandards besitzen. Nach den katastrophalen Verlusten bei Geschäften mit Finanzderivaten haben Landkäufe etwas Beruhigendes, „weil man zur Farm hingehen kann und den Boden berühren kann”, wie es ein Manager vom Londoner Investmentfonds „Altima One World Agricultural Development Fund” ausdrückt.

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Das in diesem Buch geschilderte Grauen erfordert gute Nerven. Es beginnt bei der Weltbank: Das umworbenste Gebiet der neuen reichen Landkäufer ist die Guinea-Savannen-Zone. Im weiten Bogen erstreckt sie sich zwischen der Sahara und dem afrikanischen Regenwald über 25 Nationalstaaten – von Westafrika in den Sudan, dann nach Süden durch Kenia und Äthiopien bis nach Sambia und Mosambik. Die Weltbank nennt diese vier Millionen Quadratkilometer „das weltweit größte Reservoir an Brachland”. Eine Formulierung mit kleinem Schönheitsfehler: Schließlich leben in diesen Gebieten 600 Millionen afrikanische Kleinbauern und Hirten – das ist nahezu ein Zehntel der Weltbevölkerung, und diese Menschen betrachten jeden Zentimeter des Landes als ihren Besitz. Was für die Weltbank also Brachland ist, ist für gar nicht wenige ganz schlicht eine Lebensgrundlage. Dabei steht es auch für Pearce außer Frage, dass diese Regionen wirtschaftliche Entwicklung dringend brauchen. Seine Frage ist nur, ob die neuen Kolonialherren, die diese Gebiete aufkaufen und von überall herkommen, nur nicht aus der Gegend selbst, vorhaben, Afrika zu entwickeln, oder ob sie nur seine Ressourcen plündern wollen. Pearce stellt die unterschiedlichsten Konzepte und Vorgehensweisen der beteiligten Unternehmen vor. Das Spektrum reicht von indischen Agrarkonzernen, die in Afrika riesige Plantagen zur Erzeugung von Biosprit für den westlichen Energiemarkt anbauen wollen, bis zu einem saudi-arabischen Milliar­där, der im fruchtbaren Afrika die Lebensmittelversorgung Saudi-Arabiens sichern will. In beiden Fällen bleibt für Afrika und die Afrikaner nicht viel übrig außer einer landlos gewordenen Elendsbevölkerung, der auch noch ihre letzten Rechte an Grund und Boden genommen werden, wie das Holzsammeln, Fischen und Jagen.

Pearce erzählt aber auch von Großfarm-Konzepten, die den Kleinbauern und Hirten nicht ihre Rechte rauben und sie auch nicht durch sogenannte Kleinkredite in die Schuldenfalle führen, an deren Ende dann nur die Enteignung stehen kann. Solchen Investoren gehört die Sympathie des Autors, auch weil sie sich offenbar in Afrika auskennen und nicht nur in London und New York die Börsenkurse studieren. Das Problem auch dieser im weitesten Sinn nachhaltigen Form der Landbewirtschaftung bleibt aber die Abhängigkeit von den Rendite-Forderungen der Investoren. Einfach nur so, um zum Beispiel satt zu werden und seine Kinder zu ernähren, wird im neu verteilten Afrika niemand mehr arbeiten dürfen – vom Leben hier einmal ganz zu schweigen.

Fred Pearce: Land Grabbing. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan. Kunstmann, München 2012. 320 S., 22,95 €

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