- Fragwürdiger Recherche-Multi
Die Sender NDR und WDR wollen gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung einen schlagkräftigen Rechercheverbund gründen. Was Journalisten begrüßen, lässt Medienrechtler Alarm schlagen: Das Konstrukt verstößt möglicherweise gegen Gesetze
Eigentlich scheint es sonnenklar: Angesichts rückläufiger Umsätze in den Verlagen, angesichts von Medienkrise, öffentlichem Strukturwandel und digitaler Konvergenz muss sich der Journalismus wandeln. Neue Konzepte müssen her, bessere Recherchemethoden – und zwar schnell. Nicht zuletzt in dieser Kolumne wurde diese Forderung immer wieder erhoben.
Ein solches Konzept verfolgen NDR, Süddeutsche und WDR: einen Rechercheverbund der drei Investigativ-Abteilungen. Als Kopf des Konstrukts soll Ex-Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo fungieren. Dass das funktionieren kann, haben NDR und Süddeutsche Zeitung – die als erste die Idee für eine Recherchezusammenarbeit umsetzten – im Zuge der „Offshore Leaks“-Steueraffäre gezeigt, als sie etwa die lukrativen Auslandsgeschäfte chinesischer Führungskader enthüllten. Die Teams beider Häuser wurden für ihre Arbeit als „Redaktion des Jahres 2013“ ausgezeichnet.
Doch der Start des um den WDR ergänzten Trios war holprig: Die Information, dass der US-Geheimdienst NSA auch das Handy von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder abgehört hat, hatte nicht etwa der Rechercheverbund zuerst herausgefunden, sondern die Bild am Sonntag, schrieb die Frankfurter Rundschau.
Eine andere, eher wettbewerbsrechtliche Frage, wurde bislang jedoch weniger beleuchtet. Der NDR verantwortet die Tagesschau-App, gegen die der Süddeutsche Verlag und sieben weitere Pressehäuser geklagt haben. Juristischer Kampf hier, bestes Einverständnis in der Recherche da – wie lässt sich das eigentlich vereinbaren?
Was der eigene Verlag macht? „Völlig irrelevant“
NDR-Intendant Lutz Marmor ließ auf Cicero-Online-Anfrage durch seinen Sprecher Martin Gartzke erklären, dass diese beiden Dinge „nichts miteinander zu tun haben“. Er habe immer dafür plädiert, nicht auf Konfrontation zu setzen, sondern auf Kooperation. „Diese Zusammenarbeit ist ein Beispiel dafür, dass der NDR auch so handelt.“
Der stellvertretende Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Krach, sagt, die Angelegenheit sei „keine Sache der Redaktion. Diese Klage haben die Zeitungsverlage vorangetrieben und eingereicht, nicht die Redaktionen.“ Er sieht keinen Widerspruch zwischen dem Rechtsstreit des Verlages und der journalistischen Kooperation: „Die Redaktion kümmert sich um den Inhalt der Zeitung und journalistische Fragen, der Verlag um Anzeigen, Druck, Vertrieb und die geschäftlichen Belange“, betont Krach. Alles andere sei für ihn „völlig irrelevant“.
Doch selbst wenn beteiligte Journalisten – und außenstehende wie Netzwerk Recherche – das Projekt gutheißen, stellen sich manchen Beobachtern doch rechtliche Bedenken. Wenn das Privatunternehmen Süddeutsche Zeitung von der Arbeit öffentlich-rechtlicher Rundfunksender profitiert, ist das dann nicht eine verdeckte Subvention durch den Gebührenzahler? SZ-Mann Krach weist den Vorwurf weit von sich: „Wir erhalten kein Geld vom NDR und der auch nicht von uns.“ Weder gebe es einen gemeinsamen Etat noch sei dieser notwendig, wenn man sich besser vernetzen wolle, sagt auch NDR-Sprecher Martin Gartzke. Was beide nicht sagen: Die Süddeutsche profitiert natürlich auch von nicht-monetären Vorteilen – etwa Recherchekapazitäten oder dem Zugriff auf den öffentlich-rechtlichen Korrespondentenpool.
Bedenken gegen geheimerkrieg.de
Beide Seiten betonen zudem, dass der neue Investigativ-Chef Georg Mascolo einen separaten Vertrag mit NDR und Süddeutscher Zeitung hat. Mit anderen Worten: Er ist hier wie dort freier Mitarbeiter auf Honorarbasis. Der Branchendienst turi verbreitete dieser Tage bereits, dass es gegen Mascolo ARD-intern „starke Vorbehalte“ gebe.
Dabei hat Mascolo große Pläne: Er will das Investigativ-Trio sogar noch ausweiten – und internationale Medien wie die New York Times oder den Guardian einbeziehen.
Der Kölner Medienrechtler Thomas Wierny hat an einem anderen Punkt Bedenken. Auf der Webseite geheimerkrieg.de präsentieren NDR und Süddeutsche eine aufwendige Multimediareportage. Man kann sich dort durch deutsche Orte klicken, von denen aus die USA Teile ihres Antiterror-Kriegs organisieren. Das Angebot befindet sich außerhalb der Domains der beiden Häuser, im Impressum heißt es: „Für die Internetseite www.geheimerkrieg.de ist der Norddeutsche Rundfunk verantwortlich.“
Gerade das macht den Wissenschaftler am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht stutzig. Aus seiner Sicht handelt es sich bei dem Mammutprojekt geheimerkrieg.de um ein „neues oder verändertes Telemedium“ – mit einer eigenen Marke und einem eigenen Auftritt. Für genau solche neuartigen Angebote schreibt der Gesetzgeber einen sogenannten Dreistufentest vor. Damit wird sichergestellt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich nicht zu weit in den Privatmarkt drängt. Bei diesem Test werden nicht nur der Neuigkeitswert des Angebots, die Nachfrage in der Bevölkerung und die Kosten geprüft. Vielmehr muss neben dem Rundfunkrat auch die Rechtsaufsicht – im Fall des NDR wäre das die Staatskanzlei Hannover – eingeschaltet werden.
Wierny ist sich sicher, dass es für geheimerkrieg.de einen solchen Dreistufentest gebraucht hätte. NDR-Sprecher Gartzke bestreitet das: Die Kriterien im Rundfunkstaatsvertrag, die ein solches Verfahren erfordern, seien bei dem Webangebot gar nicht erfüllt gewesen. „Das Angebot begleitet die entsprechenden Sendungen im Fernseh- und Hörfunkprogramm des NDR.“
Der NDR definiert sich hier geschickt aus der Affäre: Denn der Gesetzgeber hat ARD und ZDF auferlegt, im Netz nur „sendungsbezogene“ Inhalte zu präsentieren, sofern es sich nicht um solche handelt, die einen Dreistufentest erfordern. Für diese gibt es aber enge Grenzen, die der NDR offenbar schlichtweg ignoriert hat: Für „sendungsbezogene“ Inhalte braucht es ein Telemedienkonzept und sie dürfen nicht länger als sieben Tage nach einer Sendung online verfügbar sein, sagt Medienrechtler Wierny. Nach Ablauf dieser Frist sei wieder der Dreistufentest erforderlich. Der Rundfunkstaatsvertrag zwinge die Sender eigentlich auch nachzuweisen, für welche Sendung der Online-Inhalt überhaupt erstellt wurde. Auch das habe der NDR bei geheimerkrieg.de versäumt.
Strenge Regeln bei öffentlich-privaten Zusammenschlüssen
Das Problem für die Verlage stellt sich hier eigentlich noch viel drastischer als bei der reinen Bewegtbild-Variante der Tagesschau-App: Wenn öffentlich-rechtliche Sender dank der Rundfunkbeiträge beeindruckende, kostenfreie Multimedia-Reportagen im Internet produzieren können, bleibt für Versuche der Verlage, ähnliche Projekte hinter eine Bezahlschranke zu platzieren und damit Geld zu verdienen, kaum noch Platz. Ähnlich problematisch ist die Schaffung eines öffentlich-rechtlich-privaten Recherche-Multis, der privatwirtschaftliche Häuser wie Gruner + Jahr, die Frankfurter Allgemeine oder den Spiegel gegen die Wand drücken könnte.
Normalerweise ist öffentlich-private Zusammenarbeit etwa zwischen Behörden und Firmen rechtlich genau geregelt: Bei sogenannten Public Private Partnerships werden etwa Ausschreibungen verlangt, es sind strenge Vergabekriterien einzuhalten. NDR, WDR und SZ dagegen überschreiten womöglich einen Grenzbereich.
Vielleicht sollte sich das Trio künftig an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erinnern, das einen der drei Partner betraf. 1991 entschieden die Karlsruher Richter (6. Rundfunk-Entscheidung), dass bei der Beteiligung des WDR an einem privaten Rundfunksender in Nordrhein-Westfalen strenge Regeln anzulegen sind. So müsse klar zu unterscheiden sein, welche Inhalte von welchem Medienpartner stammen. Diese Transparenz fordert Thomas Wierny jetzt auch von dem Investigativ-Trio ein. Von wem etwa welche Beitrag bei geheimerkrieg.de stammt, kann der Rechtsexperte nicht erkennen.
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