- Schwarz-Rot tut Deutschland gut
Trotz aller Kritik in Einzelfragen: Eine Vernunftehe von Union und SPD befriedet das Land. Die Genossen sind die großen Gewinner. Ihnen bietet sich die Chance für ein Godesberg II
Die SPD muss man sich als Partei vorstellen, die sich in weiten Teilen tief im ideologischen Schützengraben verschanzt hat. Dort verharrt sie seit Jahren im verbalen Stellungskrieg gegen alles Konservative und Neoliberale. Und nun soll sie die Hand ergreifen, die ihr ausgerechnet die Union reicht? Soll gar herausklettern aus den wohlig verantwortungsfreien Tiefen der Opposition und sich in der Kunst des politisch wie finanziell Möglichen aufreiben?
Nicht wenige Genossen empfinden das als Verrat. Es hieße ja: Kompromisse schließen, Abrücken von vielem, was man nach langen Debatten auf seinen Wunschzettel für eine sozialere, ökologischere, friedlichere, gerechtere, kurzum: bessere Welt aufgeschrieben hat.
Wo Verhetzung hinführt, sieht man im Ausland
Doch genau darin liegt der große Wert einer großen Koalition: Das „Verhetzungspotenzial“, wie Unionsfraktionschef Volker Kauder den ewigen Streit nennt, nimmt rapide ab. Linke und Rechte sitzen plötzlich einträchtig nebeneinander und erkennen im Gegenüber den Menschen und den guten Willen. Vom Konfliktmodus wird der Hebel umgelegt auf Konsens. Das fällt den Funktionären leichter als der Basis. Denn sie wussten schon immer das politische Theater von der Realität zu unterscheiden. Nur das Fußvolk folgt gläubig den Kampfesrufen und lässt sich für nichtige Meinungsverschiedenheiten, die ideologisch überhöht werden, auf die Barrikaden treiben. Vor allem Genosse Spiegelstrich muss nun erkennen: alles nur Show. Verbale Abrüstung ist das Gebot der Stunde. Das nützt – außer den Medien – allen.
Das Regierungsbündnis einer großen mit einer stark geschrumpften Volkspartei ist jedoch mehr als eine Therapie für verwundete politische Seelen. Um die Bedeutung für das Land zu erkennen, genügt ein Blick über die Grenzen. Blickt man nach Großbritannien, Belgien, Frankreich, Spanien, Italien, den gesamten Balkan oder schließlich nach Osteuropa einschließlich Polen und den baltischen Kleinstaaten, so sieht man, welchen Schaden die ständige Verhetzung anrichtet. Anstatt gemeinsam nach Problemlösungen zu suchen, beschränkt sich das politische Wirken in vielen Ländern darauf, der Gegenseite ans Bein zu pinkeln. In den USA führt der ewige Grabenkrieg zwischen Republikanern und Demokraten zur Lähmung einer Großmacht. In Thailand zum offenen Konflikt. Und in Afrika wird regelmäßig mit Waffengewalt um die Macht gekämpft.
Dass in diesen Ländern Reformen nicht voran kommen, liegt eben auch an mangelnder Konsensbereitschaft. Es fehlt der Drang zur politischen Mitte. „Die Anderen“ sind nicht politische Mitbewerber um die beste Lösung, sondern Gegner, die man bekämpft. Auf dem Boden der Feindseligkeit kann jedoch keine Sozialpartnerschaft gedeihen. Der gesittete Interessenausgleich aber ist es, dem Deutschland seine ökonomische Stärke und politische Stabilität verdankt. Dagegen relativiert sich das teure Kleinklein, das die Koalitionäre in ihren umfangreichen Vertrag geschrieben haben.
Um Linkspartei und Grüne muss man sich keine Sorgen machen. Die Medien werden den kleinen Oppositionsparteien reichlich Gelegenheit bieten, ihre Position deutlich zu machen. Bei ARD und ZDF haben Politkomödiant Gysi und die stalinistische Domina Wagenknecht ohnehin ein Dauer-Abo. Gemessen an der kleinen Wählerschaft kommen sie über Gebühr zu Wort. Zudem: Wenn das Zuchtmittel der knappen Mehrheit fehlt, lässt auch die innerparteiliche Disziplin nach. Die stärkste Opposition werden Kanzlerin Merkel und ihr Vize Gabriel aus den eigenen Reihen zu spüren bekommen. So siegt die innerparteiliche Demokratie über den lähmenden Fraktionszwang.
Segnen die widerwilligen 474.000 SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag mehrheitlich ab (was im Endeffekt heißt, dass eine kleine Minderheit über das Schicksal von 82 Millionen Bürgern entscheidet!), so ist dies nicht nur ein persönlicher Sieg für den SPD-Vorsitzenden, der es von der Notlösung zum anerkannten Strategen gebracht hat. Es wäre auch eine Anerkennung für die von Gabriel eingeleitete Kurskorrektur: Nicht länger nur Betriebsrat und Sozialstation der Nation sein, sondern wieder gestaltende Kraft, die Facharbeiter anspricht. Also die „politische Mitte“ erreicht, die Gabriel nun „neue soziale Mitte“ nennt. Mit einem Godesberg II könnten die Sozialdemokraten wieder die Partei der aufstiegswilligen Arbeiter- und Mittelschicht werden. Diese Position hat sie nämlich an die Union verloren.
SPD ist nicht wegen Angela Merkel geschrumpft
Zunächst aber müssen sich die Roten ehrlich machen: Sie sind 2009 nicht wegen Angela Merkel auf 23 Prozent zusammengeschrumpelt, sondern weil Programm und Praxis auseinanderliefen. Jetzt bietet sich den Genossen die Chance, Frieden mit der Wirklichkeit machen. Frei nach Johannes Rau: Versöhnen statt spalten. Auch in den eigenen Reihen. Das schmerzt jene, die keine Posten zu gewinnen, aber Vorurteile zu verlieren haben.
Dabei ist es doch die CDU, die fast mit leeren Händen dasteht. Aber die Christdemokraten quälen sich eben nicht mit programmatischem Ballast. Ihnen genügt es, demutsvoll zur eigenen Kanzlerin aufzublicken, die nun mit schwarzem Parteibuch rote Politik macht. Sie können allerdings für sich in Anspruch nehmen, Schlimmeres verhindert zu haben: Schwarz-Grün wäre nicht „billiger“ zu haben gewesen. Und die Alternative Rot-Rot-Grün würde dem Land weit mehr Schaden zufügen.
Vielleicht gelingt es der geschmeidigen Union im Tagesgeschäft doch noch, zwei effektive Weichen zu stellen: ohne neue Schulden und höhere Steuern auszukommen. Das immerhin dämpft den Wunsch nach Klientelbedienung erheblich. Dieser Reflex ist nun auch im Bundesrat neutralisiert, der mehrheitlich in rot-grüner Hand ist. Auch das spricht für die große Koalition. Vielleicht öffnet der Mangel an frischem Geld sogar den Blick darauf, was Deutschland wirklich braucht. Maut, Rentenbonus und Doppelpass sind es nicht.
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