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(picture alliance) Paul Volcker (links) berät Barack Obama in Wirtschaftsfragen

Paul Volcker - Obamas Einflüsterer

Der britische Economist nannte ihn den einflussreichsten Zentralbänker der Moderne: Paul Volcker, Ex-Notenbänker, Ex-Staatssekretär im Finanzministerium. Volcker berät Präsident Obama – und könnte im Wahlkampf bei der Frage, welche Partei mehr Wirtschaftskompetenz aufzuweisen hat, das entscheidende Zünglein an der Waage sein

Paul Volcker ist ein großer Mann. Er misst genau zwei Meter und zwei Zentimeter, was durchaus einschüchternd wirken kann. Aber er hat gelernt, mit dem Problem umzugehen. Ermutigend lächelt er seinem Gegenüber zu, während er sich zu ihm herabbeugt. Auch sein trockener Humor hilft: „Wollen Sie wirklich so viel über mich schreiben?“ In Amerika ist Volckers Körpergröße fast so etwas wie ein Markenzeichen geworden. Am 21. Januar 2010 stellte Präsident Barack Obama im Weißen Haus eine neue Vorschrift vor, die die großen Banken an systemsprengender Spekulation hindern soll. Dabei betonte er, so als sei dies sein stärkstes Argument, die Regel stamme „von diesem langen Kerl hinter mir“ – von Paul Volcker eben. Die Regel heißt seither „Volcker Rule“. Im Juni trat sie nach langen, schwierigen Beratungen in Kraft.

Der 84-Jährige steht seit über 50 Jahren im öffentlichen Leben und ist immer noch einer der einflussreichsten Männer der amerikanischen Politik. Dass er dabei oft unbequem ist, hat ihm nie geschadet, im Gegenteil. Mit dem ehemaligen Staatssekretär im US‑Finanzministerium, dem ehemaligen Notenbankchef und dem ehemaligen Chef des Beratergremiums von Präsident Obama für die Finanzkrise muss man weiterhin rechnen. Sein Terminkalender ist bis an den Rand gefüllt, sein ­Granit-Schreibtisch steht in einem Büro oberhalb des Rockefeller Centers in Manhattan. Aus seinem Fenster guckt er auf den goldenen Prometheus-Brunnen. Davor liegt jener aus unzähligen Filmen bekannte Platz, wo im Winter alte und junge New Yorker Schlittschuh laufen.

Volcker ist so präsent, dass Ende 2008 viele Politexperten und Journalisten in Washington glaubten, er könne Obamas Finanzminister werden, wenigstens für eine halbe Amtszeit. Tatsächlich bekam dann Timothy Geithner den Job. Volcker wurde Chef eines Gremiums, das den Präsidenten dabei beriet, die Anfang 2009 kollabierende Wirtschaft zu retten. Spricht man ihn heute auf die damaligen Gerüchte an, dann lacht er: „Hören Sie, ich bin ein alter Mann. Andere haben über dieses Thema geredet, ich nie.“ Ein echtes Dementi klingt anders.

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Wer Volcker besucht, kommt an einer kleinen Steinskulptur in Form eines Lachses vorbei. Die Wände im Flur, im Sekretariat und im Büro sind bedeckt mit Fischbildern. Das Fischen ist die große Leidenschaft des Ökonomen. „Es ist eine Ausrede, um sich an den schönsten Plätzen der Welt aufzuhalten“, sagt Volcker. Und es bedürfe einer „gewissen intellektuellen Anstrengung, um einen Fisch anzulocken“. Volcker steht auf und holt ein Memo, in dem sorgfältig mit Bleistift eine Reihe von Zahlen notiert ist – die Daten seines zuletzt gefangenen Lachses: 30 Pfund, einer der größten, die er je gefangen hat.

Fischen hat auch etwas mit Beharrungsvermögen zu tun, und passend dazu erscheint zu Volckers 85. Geburtstag im September eine große Biografie unter dem Titel „The Triumph of Persistence“ – „Der Triumph der Beharrlichkeit“. Der Autor ist William Silber, Professor für Finanzwissenschaften an der New York University. Volckers Karriere kann man auch als große Übung in Beharrlichkeit sehen. Als Ökonom wurde er deswegen so erfolgreich, weil er am einmal als richtig Erkannten stur festhielt, auch wenn er sich damit Feinde machte. Das jüngste Beispiel dafür ist die besagte Volcker-Regel. Es ist eine ziemlich komplizierte Vorschrift innerhalb eines noch komplizierteren Gesetzes zur Neuregulierung der Finanzmärkte, dem „Dodd-Frank Act“. Das Prinzip ist jedoch denkbar einfach: Große Banken dürfen nicht mehr auf eigene Rechnung spekulieren. Diese Banken, argumentiert Volcker, werden vom Staat vor dem Bankrott geschützt, und sie müssen auch geschützt werden, weil sie als Kreditgeber für das Funktionieren der gesamten Wirtschaft unverzichtbar sind. Im Gegenzug dürfen sie diesen Schutz nicht missbrauchen, indem sie ihr Kapital im sogenannten Eigenhandel bei hochriskanten Zockereien aufs Spiel setzen. Das Verbot gilt für die Giganten der Branche: Goldman Sachs, Bank of America, Citigroup, JP Morgan Chase. Nicht jedoch für Hedgefonds und andere Finanzfirmen. „Die können tun, was sie wollen. Wenn sie scheitern, verlieren die Investoren und vielleicht die Gläubiger ihr Geld. Das war’s dann.“

Wie weitreichend der Eingriff der Volcker-Regel für die Banken ist, ließ sich am erbitterten Widerstand der Wall-Street-Lobbyisten in Washington ablesen. Kein Wunder, war doch der Eigenhandel vor der Krise eine der wichtigsten Gewinnquellen der Branche. Den Lobbyisten gelang es, die Regel in einigen Punkten zu verwässern. Ihre Substanz habe aber keinen Schaden genommen, glaubt der Erfinder. „Die Volcker-Regel ist immer noch eine gute Regel“, sagt er energisch. Im Übrigen komme es gar nicht so sehr auf die Details an, sondern auf die Kultur. Kultur?

Seite 2: Keine Äußerung zum Banken-Skandal Libor

Ja, die Gebräuche der wilden Typen in den Handelsräumen hätten „das unterminiert, was notwendig ist für eine starke Bankenkultur – Sorgfalt, Verantwortung gegenüber dem Kunden, treuhänderische Pflichten. Wenn Sie Händler sind, machen Sie sich keine Gedanken um die Kunden, sie versuchen Geld für sich selbst zu machen.“

Es war Volckers Sturheit zu verdanken, dass seine Regel trotz des Widerstands Gesetz wurde. Ein wenig kam ihm dabei aber auch der Zufall zu Hilfe. Im Mai musste Jamie Dimon, der erfolgsverwöhnte Chef der Großbank JP Morgan, einen Spekulationsverlust von über zwei Milliarden Dollar melden, und zwar aus dem Eigenhandel. Wie sich später herausstellte, könnten es sogar 5,8 Milliarden Dollar werden. Die Meldung kam in der heißen Endphase der Verhandlungen um die Volcker-Regel, deren entschlossenster Gegner Dimon war. Hat ihm dessen Fehltritt geholfen, die Lobby zu bremsen? Volcker lacht ausweichend. Diese Frage könne er nun wirklich nicht beantworten. Auch die Verwicklung von JP Morgan in den aktuellen Skandal um illegale Absprachen beim Interbanken-Zinssatz Libor will er nicht kommentieren.

Volckers Werte kommen aus einer anderen Welt. Nach dem Studium in Princeton, Harvard und an der London School of Economics trat er 1952 seinen ersten Job als Ökonom bei der Federal Reserve Bank of New York an. Die New York Fed ist so etwas wie der operative Arm der US‑Notenbank. Wer dort arbeitet, sitzt an der Schnittstelle zwischen Regierung und Wall Street und kann auf beiden Seiten Karriere machen. Nach drei Jahren ging Volcker zunächst zur Chase Manhattan Bank, der Vorläuferin von Jamie Dimons JP Morgan Chase, und dann nach Washington ins Finanzministerium. Er war erst 42 Jahre alt, als man ihn zum Staatssekretär für internationale Fragen machte.

Das war im Sommer 1969, als die einst in Bretton Woods beschlossene Währungsordnung der Nachkriegszeit mit ihren festen Wechselkursen kurz vor dem Zusammenbruch stand. In Bretton Woods hatten die USA versprochen, jederzeit Gold aus ihren Reserven zum Preis von 35 Dollar für die Feinunze zu verkaufen. Das begründete den Rang des Dollars als Leitwährung. In den sechziger Jahren jedoch häuften die Europäer immer höhere Dollaransprüche an. Es war absehbar, dass die Reserven der USA bald nicht mehr reichen würden, diese Ansprüche zu befriedigen.

In den Geschichtsbüchern, jedenfalls in deutschen, steht meist, das System von Bretton Woods sei zusammengebrochen, weil das Handels- und das Staatsdefizit Amerikas wegen des Vietnam-Krieges außer Kontrolle gerieten. Das stimmt zwar, es gibt aber auch noch eine andere Seite, und auf die kommt es Volcker an. Um das System zu retten, hätten die Europäer auch bereit sein müssen, etwas gegen ihre Überschüsse zu tun, indem sie ihre Währungen aufwerten. Das waren sie aber nicht, aus Angst um die Arbeitsplätze. „Eine Ausnahme waren übrigens die Deutschen. Sie reagierten als Einzige.“

In Washington war jedenfalls klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Volcker riet dem damaligen Finanzminister John Connally, das Dollar-Gold-Versprechen zu kündigen. Tatsächlich teilte Präsident Richard Nixon am 15. August 1971 der Welt in einer Fernsehansprache mit, dass die USA „vorübergehend“ die Konvertibilität von Dollar in Gold aussetzten. Der „Nixon-Schock“ war gleichzeitig das Ende von Bretton Woods.

Man dürfe das alles nicht zu sehr personalisieren, sagt Volcker heute: „Es haben auch noch andere diesen Rat gegeben.“ Seine Stimme damals aber war entscheidend, und das dementiert er auch nicht. Zum ersten Mal zeigte er 1971 seine Fähigkeit, unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen. In Amerika nennt man das „Leadership“.

Seite 3: Ein Marshall-Plan für die Eurorettung?

Die nächste Gelegenheit kam 1979. Damals lagen die USA politisch und wirtschaftlich danieder. Das Land litt unter dem verlorenen Vietnamkrieg, die Wirtschaft stagnierte, die Inflation erreichte 14 Prozent. In der Situation berief Präsident Jimmy Carter Volcker an die Spitze der US-Notenbank. „Ich sagte ihm, dass das Problem nur durch eine Rosskur zu lösen sein würde, und er stimmte mir zu.“ Volcker setzte den Leitzins der Fed schrittweise auf beispiellose 20 Prozent herauf. Das Ergebnis war, wie gewünscht, Preisstabilität. Davor jedoch kamen eine schwere Rezession auf der ganzen Welt und eine politische Wende in den USA. Carter verlor 1980 die Wahl, und Ronald Reagan zog ins Weiße Haus ein. Hat der Fed-Präsident Carter die zweite Amtszeit gekostet? Er habe ihn dies auch gefragt, sagt Volcker, und Carter habe „mit einer Art Lächeln“ geantwortet: „Es gab auch noch andere Gründe.“

Was setzt einen in die Lage, sehr Unpopuläres zu tun, von dem man erst in ein paar Jahren weiß, ob es richtig war? „Es gab ein verbreitetes Gefühl im Land, dass etwas schieflief, dass etwas geändert werden musste. So einfach war das.“ Daraus habe „eine Art grundsätzliche Unterstützung“ in der Bevölkerung resultiert. „Die war nicht sehr sichtbar, weil es auf der anderen Seite viel Lärm gab. Aber sie war da.“ Als Volcker 1987 sein Amt verließ, war die Inflation auf 4,5 Prozent gesunken.

Viele Menschen haben heute wieder Angst vor einer großen Inflation, die den Wert ihrer Ersparnisse vernichtet. Das ist verständlich angesichts der riesigen Mengen an Geld, mit denen die Notenbanken die Wirtschaft geflutet haben. Werden die Notenbanken in den USA und Europa in der Lage sein, das Geld wieder einzusammeln, bevor es zu spät ist? „Inflation ist kein technisches Problem“, antwortet Volcker. „Es ist ein menschliches Problem. Die technischen Möglichkeiten gibt es, das ist keine Frage. Aber werden sie auch bereit sein, die richtigen Schritte zu tun? Werden sie gegen heftige Opposition die Zinsen erhöhen?“ Die selbst gestellte Frage beantwortet er mit einem typischen Volcker: „Wir bezahlen die Leute in der Fed dafür, dass sie solche unbequemen Entscheidungen treffen.“

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Wenn es um unpopuläre Entscheidungen geht, kommt das Gespräch heute unweigerlich auf den Euro. Volcker gehörte zu den wenigen amerikanischen Ökonomen, die 1999 die Einführung der Gemeinschaftswährung unterstützten. Allerdings war er zu optimistisch, wie so viele andere auch. „Ich dachte damals implizit, dass die Unmöglichkeit von Auf- und Abwertungen von selbst für Disziplin in den Mitgliedsländern sorgen würde. Diese Hoffnung hat sich als falsch erwiesen. Alle Länder pumpten einfach billig Geld.“

Volcker versucht, kontroverse Aussagen zu vermeiden, weil er „niemandem etwas diktieren will“. Aber er sagt dann doch so viel: „Ich stimme denen zu, die sagen: Wenn man mit dem Euro weitermacht, erfordert dies mehr Integration, nicht nur in der Finanz-, sondern auch in der Wirtschaftspolitik.“ Er sagt nicht, dass die Deutschen mehr zahlen müssen, aber er legt es nahe: „Deutschland ist das stärkste Land. Und mit Stärke kommt Verantwortung. Es ist wie in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele hielten den Marshall-Plan für ein Opfer. Aber es war kein Opfer, sondern ein Beitrag zu einer Welt, in der wir leben wollten: friedlich, ökonomisch erfolgreich.“

Sollten sich die Deutschen bei der Eurorettung also am Marshall-Plan orientieren? „Ja, absolut. Deutschland hat unheimlich profitiert vom Euro. Aber egal, wie Sie darüber denken, Sie kommen nicht raus aus dem Problem, ohne starke Führung in Europa zu zeigen.“

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