- Gefühlsimplosionen
Sie gehört zu den begehrtesten Künstlerinnen der Gegenwart: die Koreanerin Haegue Yang. Als Star der Documenta 13 in Kassel macht sie Kunst aus dem Dilemma des Verlusts
Mit Haegue Yang unter vier Augen ins Gespräch zu kommen, ist in etwa so schwierig, als würde man sich mit Brad Pitt heimlich vor der Premiere seines jüngsten Hollywoodfilms treffen. Konspirativ sind bei der eben eröffneten Documenta gleich mehrere Interviews anberaumt, die aber verwirrenderweise erst kurz vorher mit genauer Ortsangabe bestätigt werden. Und frühmorgens, als Haegue Yang dann bei ihrer Jalousieninstallation im Halbdunkel des Kulturbahnhofs, Kassels ehemaligem Güterbahnhof, steht, wird sie aus dem Hinterhalt von einer Journalistin aus Peru aufgespürt, die sich lauthals beschwert, trotz unzähliger Anfragen nicht zu ihr vorgelassen worden zu sein.
[gallery:Haegue Yang – Installationen]
Die Südkoreanerin mit Wohnsitz in Berlin gehört zu den begehrtesten Künstlerinnen der Gegenwart. Und das zu Recht. Kaum jemand anderes ist imstande, mit eher modesten und minimalen Mitteln so berührende, wie aus der Zeit gefallene Parallelkosmen heraufzubeschwören. Aus Kleiderständern, Kabeln und Textilem, aus Ventilatoren und Glühbirnen, aus Europapaletten und Bierkisten, kurzum aus gemeinhin unbeachteten, funktionalen Alltagsmaterialien arrangiert sie leichthändig Skulpturen, als seien diese Ikebana-Gestecke.
Die Aufregung um ihre Person lässt Haegue Yang relativ kalt. „Um ehrlich zu sein, für mich spielt es keine so übermäßige Rolle, hier vertreten zu sein“, sagt sie. „Ich gebe nichts auf den Hype.“ Vielmehr beschäftige sie die Frage, wie sie es schaffe, dass jemand auch einen Gewinn davon hat, ihre Arbeit zu verfolgen. Mit zwei Werken ist sie auf der Weltkunstschau präsentiert. Während wir sprechen, führt ihre Konstruktion aus Aluminiumjalousien im Hintergrund einen ziemlich spukhaften, motorisierten Tanz auf. Parallel dazu ist im Staatstheater Kassel ein von ihr nach Marguerite Duras’ Novelle „Die Krankheit Tod“ inszeniertes Monodrama zu sehen. Das beunruhigende mechanische Klicken ihrer schwarzen Jalousien will auch nicht aufhören, während die Künstlerin mit rauer Stimme davon schwärmt, wie sie sich in diesen Ort der Tristesse verliebt hat, an dem wir uns befinden.
Es ist, als würde man einem von Geisterhand dirigierten Schauspiel der permanenten Ver- und Enthüllung beiwohnen. Yangs gekonnt ausbalancierte Choreografie des Lichtes, das durch den Fensterschutz fällt, lädt die Atmosphäre der Verlassenheit am Bahnsteig noch weiter auf. „Wie Sie sehen, ist der Mechanismus der Jalousien eher ungelenk wie ein sehr simpler, primitiver Roboter“, sagt sie. Modernismus kann verschiedene Facetten haben, und heute kennen wir ihn vor allem in Form glattester, reinster Kultiviertheit. Aber diese Arbeit, an diesem Ort erinnert eher an den Beginn der Industrialisierung, an das ruhmreiche Kassel mit seinen Lokomotiven und großen Lastwagen.
Magische Interferenzen zwischen den Kulturen und Zeiten, zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen West und Ost schließen sich oft durch Haegue Yangs Skulpturen auf. Nicht zuletzt ist diese Gleichzeitigkeit des Unzeitgleichen biografisch begründet. Nach dem eher lustlosen Beginn eines traditionell ausgerichteten Kunststudiums in Seoul nahm Professor Georg Herold von der Frankfurter Städelschule sie schon bei ihrer ersten Europareise unter die Fittiche. Yang konnte es anfangs selbst nicht recht glauben, ohne irgendein Hindernis quasi im Olymp der deutschen Kunstakademien gelandet zu sein. Vergleichsweise rasant erfolgte dann auch der Aufstieg in der Kunstwelt. Mit Soloausstellungen brillierte sie im New Museum in New York und am Kunsthaus Bregenz, auf der Kunstbiennale in Venedig vertrat sie 2009 ihre Heimat im Länderpavillon und schaffte damit den endgültigen Durchbruch. Der anhaltende Schwebezustand des Entfremdetseins hat sie dabei nie verlassen: „Ich bin ja relativ jung, teile aber in puncto Modernisierung als Koreanerin eher den gesellschaftlichen Erfahrungsschatz der älteren Generation hier in Europa“, sagt sie. „Mich interessieren doppelbödige Emotionen.“
Dass Haegue Yang nun zum inzwischen dritten Mal die um die Unmöglichkeit der Liebe kreisende Novelle von Marguerite Duras auf die Bühne bringt, hat sicher auch mit der gefühlten Verwandtschaft zu der von Kindheit an in Indochina lebenden französischen Autorin zu tun. „Ich denke, Duras spürte, dass sie nie eine richtige Heimat hatte und dies ihre Sehnsucht ausmachte. Sie lebte mehr in dem Zustand des Dilemmas und Verlusts als in einem Erfülltsein.“ Genau diese Zustände sind es auch, für die Yang und ihre Kunst den Filter liefern, den Verstärker, mit dessen Hilfe man in der kollektiven und in der persönlichen Erinnerung verschiedene Zeitachsen entlangfahren kann. So lange, bis die Gefühle implodieren.
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