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(Picture Alliance) "Es gibt keine Beweise dafür, dass Bio-Lebensmittel langfristig gesund sind"

Gentechniker: - „Bio? Ein Mythos!“

Die EU-Kommission will den Einsatz von Gentechnik in Lebensmitteln lockern – und Verbraucherschutzministerin Aigner kämpft dagegen. Doch lohnt sich der teure Besuch im Biomarkt überhaupt noch? Der Genetiker Hans-Jörg Jacobsen glaubt das nicht, denn fast alle Lebensmittel sind mittlerweile mit Gentechnik in Kontakt gekommen

Hans-Jörg Jacobsen leitet die Abteilung Pflanzenbiotechnologie des Instituts für Pflanzengenetik an der Leibniz Universität Hannover. Der Gentechnikbefürworter berät das Verbraucherschutzministerium zur genetischen Diversität .

Obwohl Industrie und Behörden stets versichern, genmanipulierte Pflanzen seien sicher, ist vielen Verbrauchern die grüne Gentechnik, also die Anwendung gentechnischer Verfahren im Bereich der Pflanzenzüchtung, immer noch nicht ganz geheuer. Inwieweit unterscheiden sich eigentlich gen- manipulierte Lebensmittel von ihren „natürlichen“ Pendants?
Eigentlich gar nicht. Die Veränderungen bezogen auf die Gesamtzahl der Gene sind minimal. Es geht darum, ein, zwei Eigenschaften zu verändern – also meistens um eine Resistenz gegen Schaderreger oder Stress einzubringen oder auch einen toxischen Inhaltsstoff, etwa ein Allergen, zu eliminieren.

Unser Institut hat zum Beispiel transgene Äpfel entwickelt, die resistent gegen den Apfelschorf sein könnten, der durch den Schlauchpilz „Venturia inaequalis“ verursacht wird. Leider konnten wir nie zu Ende forschen, da die Bäumchen in einer nächtlichen Aktion vorher von radikalen Gentechnikgegnern zerstört wurden.

Dabei wird das Schizophrene bei den Gegnern der Gentechnologie deutlich: Sie beklagen den Mangel an Wissen zu möglichen Auswirkungen der grünen Gentechnik und gleichzeitig verhindern sie durch derartige Aktionen, dass dieses Wissen überhaupt generiert werden kann.

Der Inhaltsstoff unserer Äpfel hätte sogar einen gesundheitlichen Nutzen gehabt, da die gentechnische Veränderung zu einen Stoff führt, welcher vor Arteriosklerose schützt. Die Eigenschaften der Apfelsorte wären dabei voll erhalten geblieben.

Der umstrittene Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft zur Regelung nationaler Anbauverbote von gentechnisch veränderten Pflanzen wurde dem EU-Umweltministerrat nicht zur Abstimmung vorgelegt, weil er keine ausreichende Mehrheit bekommen hätte. Wie stehen Sie zu der Diskussion?
Die ganze Debatte ist meines Erachtens eine politische oder sozioökonomische aber kaum eine von naturwissenschaftlicher Relevanz. Sollten sich einzelne Länder der EU für ein Anbauverbot entscheiden, hätten wir einen sehr weitreichenden Präzedenzfall, wie sich Länder ohne wissenschaftliche Begründung aus europäischen Integrationsprozessen herausziehen könnten.

Inzwischen streitet man seit über zwanzig Jahren über die potenziellen Gefahren der grünen Gentechnologie. Bisher gab es allerdings noch keinen einzigen Hinweis, der diese Ängste bestätigen konnte. Diverse Behörden haben auf der Basis umfangreicher wissenschaftlicher Prüfungen bestätigen können, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen keinen Einfluss auf Gesundheit und Umwelt hat, oder, wie die EU-Kommission es ausdrückt, kein anderes Gefährdungspotential haben, als konventionell gezüchtete.

Selbst der Agro-Gentechnik-Kritiker Christoph Then, der für den Bereich Gentechnik und Landwirtschaft bei Greenpeace tätig war und im Aufsichtsrat von Foodwatch mitwirkt, merkt gelegentlich an, dass Gefahren nicht wirklich nachweisbar sind. Er bemängelt aber das Fehlen von Studien zu möglichen Langzeiteffekten.

Viele Organisationen leben eben auch davon, gegen gentechnologische Entwicklungen zu sein. Wie eben Then:  ein ausgemusterter Greenpeace- Aktivist, der sich jetzt mit Gefälligkeitsgutachten gegen die Gentechnik über Wasser halten muss. Seine Argumente sind wissenschaftlich so schwach, dass ich mich frage, weshalb er überhaupt noch Aufträge kriegt.

Welche Auswirkungen könnte ein Anbauverbot auf die EU haben?
Sollte sich die EU für ein nationales Anbauverbot entscheiden, so würde sie sich noch weiter vom Rest der Welt abkoppeln. Denn die meisten Länder haben bisher grüne Gentechnik befürwortet und forschen auf diesem Gebiet, neben den USA, Kanada, Brasilien, Argentinien oder Australien unter anderem China und zahlreiche andere Schwellen- und Entwicklungsländer.

Glauben Sie ernsthaft, dass in den USA – mit seinem strengen Produkthaftungsrecht – irgendetwas zugelassen würde, was auch nur ansatzweise schädlich sein könnte? Da wird ja vor lauter Hysterie selbst auf Starbucks-Trinkbechern darauf hingewiesen, dass „Kaffee ist in der Regel heiß “ ist, oder man doch „Bitte keine Tiere in die Mikrowelle“ zu trocknen habe. Vor lauter Angst, verklagt zu werden, riskieren amerikanische Firmen nichts, auch keine gentechnische Anbaugenehmigung, außer sie ist auf Sicherheit geprüft.

Was hieße das also in Europa?
Mit einem Anbauverbot verlässt nicht nur – wie gerade erlebt- die Industrie das Land, sondern auch die Forschung. Wir würden auf der globalen Innovationsebene enorm abfallen. Meine Arbeitsgruppe verlagert zum Beispiel seit diesem Jahr wesentliche Teile der Forschung nach Nordamerika.

Hätten wir die gleiche Debattenkultur vor 25 Jahren gehabt, dann gäbe es jetzt zum Beispiel kein gentechnisch hergestelltes Insulin, welches heute Standardtherapie bei Diabetikern ist. Auch dieses sehr notwendige Produkt wurde anfänglich von den gleichen Gruppierungen, die heute gegen die grüne Gentechnik agieren, heftig bekämpft, heute ist es Realität. Viele entscheidende Innovationen in der Medizin wären nicht erfolgt, wenn wir mögliche Risiken vor den realen Nutzen gestellt hätten.

So ist es halt mit Innovationen: Die Steinzeit ist schließlich nicht deshalb zu Ende gegangen, weil es keine Steine mehr gab, sondern weil jemand die Bronze erfunden hat.

Beweise, dass langfristig keine Schäden entstehen können, gibt es aber auch nicht.
Stimmt. Es gibt aber auch keine Beweise, dass Bio-Lebensmittel langfristig gesund sind. Denken Sie an die 53 EHEC-Toten letztes Jahr. Dieses fatale Darmbakterium ist auf einem Hardcore-Biohof in die Nahrung gelangt. Auslöser waren wohl die mangelhaften hygienischen Zustände des Betriebs. Die Sprossen konnten auch nicht – wie es in anderen Ländern Gesetz ist – entkeimt werden, weil das wohl nicht der Bio-Norm entsprochen hätte.

Wenn Dioxin in Bioeiern gefunden wird, wird das kein Titelthema. Wenn aber Dioxin durch Panschereien in einem fettverarbeitenden Betrieb ins Futter gelangt, wie im Februar 2011, dann ist das dagegen ein Dauerbrenner.

Seite 2: "Gentechnik-Siegel ist Verbraucher-Verarschung"...

Eine neue Studie, des französischen Molekularbiologen Gilles-Eric Séralini behauptet, dass die Toxine gentechnisch veränderter Pflanzen menschlichen Zellen schaden können. Was sagen Sie dazu?
Herr Seralini rechnet gerne so lange Statistiken um, bis sich die von ihm erwünschte Aussage ergibt. Was Herr Seralini nicht sagt, ist, dass die gleichen BT-Toxine im Ökolandbau verwendet werden. Die Biobauern sprühen das Toxin in Form von Bakteriensporen auf die Pflanzen. Auf die Gefährdungen, die durch das Spritzen des Toxins resultieren können, geht Herr Seralini gar nicht ein.

Könnten sich die Pollen genmanipulierter Getreide und Blüten nicht durch den Wind verbreiten und somit andere nicht-manipulierte Felder verunreinigen?
Eine Bestäubung kann durch Bienen stattfinden, aber auch durch Wind. Eine Auskreuzung passiert immer nur dann, wenn sie biologisch möglich ist. Pollen haben ein bestimmtes Gewicht, und können daher nur eine gewisse Strecke vom Wind getragen werden. Diese Distanz ist errechenbar. Daher müssen etwa bei der Saatgut-Produktion bestimmte Abstände eingehalten werden, um die gesetzlich vorgeschriebene Reinheit des Saatguts zu gewährleisten.

Pollen sind außerdem nur für eine befristete Zeit befruchtungsfähig. Ein Reispollen ist zum Beispiel bereits nach 15 Minuten unfruchtbar. Da kann das Pollenkorn gerne, wie von so vielen befürchtet, mit dem Saharasand dreimal um die Welt reisen, ohne irgendeine „Gefahr“ darzustellen.

Stimmt es, dass bereits über 70 Prozent der heute am Markt befindlichen Lebensmittel mit Gentechnik in Berührung gekommen sind?
Das ist richtig. Die meisten Käsesorten, ja selbst Biokäse, werden mittels gentechnisch produzierten Labferments hergestellt. Auch Vitamin C wird gentechnisch hergestellt; das meiste kommt übrigens aus China. Wir sind daher auch für eine Prozesskennzeichnung. Sprich, selbst Herr Hipp müsste auf seine Fläschchen schreiben, dass seine Babynahrung gentechnisch hergestelltes Vitamin C enthält. Oder der Biokäse eben durch das gentechnisch hergestellte Labferment produziert wurde.

Wie zuverlässig ist das Siegel „Ohne Gentechnik“ dann heute überhaupt noch?
Das Siegel ist eine komplette Verbraucher-Verarschung. Ich meine, immerhin darf unter diesem Siegel das Fleisch von Tieren verkauft werden, die mit gentechnisch veränderten Soja ernährt worden sind, wenn dieses Soja ein paar Wochen vor der Schlachtung abgesetzt wird. Deswegen wird das Siegel ja auch nur sehr begrenzt eingesetzt.

Nehmen wir denn genmanipuliertes Fleisch zu uns, wenn die Tiere vorher genmanipuliertes Futter bekommen haben?
Nein. Von der gentechnischen Veränderung finden Sie im Fleisch nichts mehr. Seit einigen Jahren werden unsere Tiere ja bereits mit genveränderten Futtermitteln (Soja, Mais) gefüttert. Was dem Menschen allerdings schaden könnte, sind Pilzgifte, die sich im Fleisch anreichern, wenn Tiere mit pilzkontaminierten Futter gefüttert wurden. Das kann auch im Bio-Bereich passieren.

Lohnt sich der Gang zum teuren Bioladen denn dann überhaupt noch?
Meine Familie und ich machen die ganze Nummer schon lange nicht mehr mit. Eine Metastudie von „Stiftung Warentest“ im Oktober 2010 hat unser Verhalten auch bestätigt. Die Studie hat klargestellt, dass Biolebensmittel weder qualitativ besser noch gesünder sind. Zumindest gibt es keinen Hinweis dafür.

Einige Umfragen zeigen, dass 80 Prozent der Menschen angeblich „Bio“ kaufen wollen, aber eigentlich finden sich nur rund 5,3 Prozent Bioprodukte in den Einkaufswagen, wovon das meiste auch noch importiert ist. Wie gesagt: Dass Bio gesünder und sicher ist, ist sicher ein Mythos.

Das Interview führte Mafalda Millies. Fotos: picture alliance (Mais) und privat (Jacobsen)

 

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