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(picture alliance) Noch Fußball oder schon Krieg?

Verwilderung der Sitten - Fußball als Kampfsport

Das Relegationsspiel Fortuna Düsseldorf gegen Hertha BSC hat es mal wieder gezeigt: Nicht alle Fans des Fußballsports können sich benehmen. Über die circensische Atmosphäre in den Großstadien

Egal, ob Otto Rehhagels Berliner Fußballverein Hertha BSC nun aus der Bundesliga absteigt oder Protest gegen den zweifellos chaotischen Spielverlauf gegen Fortuna Düsseldorf einlegt: Die fast stoische Behauptung des Düsseldorfer Sportdirektors Werner im ZDF-Morgenmagazin, die „Todesangst“ der Berliner Kicker angesichts der Düsseldorfer Fans, die zu Tausenden das Feld vor Abbruch des Spieles stürmten, sei „maßlos übertrieben“, zeugt von einer Realitätsverweigerung, die typisch ist für die Verbandseliten der Bundesliga.

Tatsache ist, dass die aus Italien importierte Sitte gewisser Fans, so genannte „Bengalos“ während des Spiels abzubrennen, zu Feuerkatastrophen und Panik führen kann. Die angereisten Berliner Zuschauer haben damit angefangen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte der viel gerühmte Schiedsrichter Stark das Spiel abbrechen können. Er hat es nicht getan, um genau das zu verhindern: Massenaufruhr, Massenschlägereien unter gewaltbereiten Club-Fanatikern. Dass er die letzten 1,5 Minuten des Relegationsspiels nach 20minütiger Unterbrechung hat nachspielen lassen, folgte derselben Überlegung. Dafür ist er zu rühmen.

Nicht zu rühmen ist der Verein Fortuna Düsseldorf. Sein renoviertes Stadion entsprach offensichtlich nicht den Verwilderungen der Fußballsitten, die sich seit Jahren schon vom Spielfeld auf die Ränge verbreitet hat. Die Zuschauer konnten ohne Schwierigkeiten die Banden überwinden und auf den Platz laufen. Ihre Zügellosigkeit spiegelte die Härte der Fouls wider, die inzwischen den Fußball zu einem Kampfsport gemacht haben. Der Hinweis darauf, dass dies an der enormen Geschwindigkeit liege, mit der heutzutage die Spieler aufeinanderprallen, ist eine lahme Entschuldigung. Spitzenmannschaften wie der FC Barcelona oder der FC Bayern oder Borussia Dortmund haben ihre Ballkünste verfeinert und können ohne die so genannten Nickeligkeiten gewinnen (und verlieren.) Elegante Spieler wie der Gladbacher Reus haben verstanden, dass ihr Beruf zwar ein Kontaktsport ist – aber besser noch funktioniert, wenn man den unbeholfenen Gegnern ebenso witzig wie schnell entkommt.

Verhaltensforscher mögen Fußball als „ritualisierte Aggression“ bezeichnen. In den unteren Ligen der Republik fällt die Ritualisierung bisweilen weg, Boxkämpfe und Ohrfeigen unter Spielern kommen vor, und bisweilen trifft die Wut der Amateure auch Schiedsrichter. Das Fernsehen ist nicht dabei, wenn derlei Begegnungen in Kirmesschlägereien ausarten.

Wohl aber notiert die Öffentlichkeit an den Bahnhöfen der Bundesliga-Standorte die Ankunft grölender und angetrunkener Fans, denen der brave Bürger am besten aus dem Weg geht. Als Fan-Block formieren sie sich in den Stadien zu Kohorten, die in jeder Hollywood-Verfilmung der Schlacht am Teutoburger Wald als wehrhafte Germanen auftreten könnten. Wenn sie nicht in ihrer Beweglichkeit als stolz und nackt präsentierte, ganzkörper-tätowierte Bierbauch-Träger behindert wären.

Kein Zweifel, die Bundesliga-Vereine haben es in der Mehrheit verstanden, durch so genannte „Fan-Arbeit“ das gossenhafte Verhalten mancher (weiß Gott nicht aller!) ihrer Anhänger zu zähmen. Aber wie ist mit jenen umzugehen, die weiterhin Magnum-Böller und Feuerwerkskörper in die Stadien schmuggeln? Und wie lange ist es noch hinzunehmen, dass Hunderte, ja Tausende Polizisten auf Steuerkosten die Spiele der Millionen-Kicker bewachen? Anders gesagt: Was tun?

Zehntausende Zuschauer vor Betreten der Stadien abzutasten, um einige Hundert gewaltbereite Fans fern zu halten, ist praktisch unmöglich. Stichproben und „Stadionverbote“ helfen nicht weiter.  Wohl aber sollten sich die Vereine bereitfinden, mit Zivilklagen gegen solche Narren vorzugehen, die ihrem Geschäft Schaden zufügen. Empfindliche Geldstrafen würden sich schnell herumsprechen. Video-Kameras, die inzwischen zur Ausrüstung jeder Großstadt-Polizei gehören, könnten helfen, die Täter zu fassen.  Berüchtigte Fan-Gruppen der unteren Ligen, die mit Nazi-Parolen auftreten, sollten zu Spielverboten durch den DFB führen. 

Die Bundesliga-Vereine sollten sich außerdem überlegen, ob ihre lautstarken Stadion-Einpeitscher nicht ihren Ton mäßigen könnten. Der circensischen Atmosphäre, die inzwischen zur Grundausstattung der Großstadien gehört, haftet ein latentes Gewaltgefühl an, das jungen Spielern, wenn sie denn aus den Katakomben auf das Feld traben, nach eigenen Aussagen „eine Gänsehaut“ verursacht. Vielleicht ist sie ein Signal von Angst – jener Angst also, die beim Relegationsspiel zwischen Berlin und Düsseldorf die Hertha-Spieler nach vorrübergehenden Abbruch des Matches in ihren Kabinen hielt. Dass sie trotzdem weiterspielten, dürften sie dem Ratschlag der Polizei verdankt haben, die vor einer Katastrophe warnten. Was für eine Mutprobe! Das Spiel muss wiederholt werden – vor leeren Rängen.

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