- Macht Kommerz doch klug?
Bei der Berlin Biennale kann man an diesem Wochenende sehen, durch welche Katastrophen man selbst, die Kunst und die Welt gegangen sind. Aber dann, findet Daniel Schreiber in seiner Samstagskolumne, sollte man sich unbedingt die sensationell hübsche Kommerzkunst beim Gallery Weekend anschauen
Für neurotisch veranlagte Menschen können Biennalen ein Alptraum sein. Bei Ereignissen, die sich jährlich wiederholen, hat man sich antrainiert, sanftmütig hinzunehmen, dass schon wieder zwölf Monate vergangenen sind. Man ist nicht schockiert, dass man sich nur allzu gut daran erinnert, wie man im vergangenen Jahr um diese Zeit zugegen war – und dass das gefühlt allenfalls zwei Monate zurückliegen kann. Aber bei Biennalen denkt man: Was, das waren jetzt schon wieder zwei Jahre? Wirklich?! FUCK!!! Die Berlin Biennale findet inzwischen zum siebten Mal statt und ich kann mich noch gut an die erste Ausgabe erinnern. Ich überlasse es Ihnen, sich auszurechnen, wie alt Sie damals waren.
[gallery:Die siebte Berlin-Biennale in Bildern]
Aber natürlich birgt der vermaledeite Zwei-Jahres-Rhythmus auch eine vielversprechende Möglichkeit, die Möglichkeit, die Strömungen der Zeit auszuleuchten und zu schauen, was in der Kunst und der Welt gerade so passiert ist. Deshalb gilt meine Empfehlung für dieses Wochenende der Kunst in Berlin-Mitte. Fahren Sie in die Auguststraße, liebe Leser, und betreiben Sie entspannte Katastrophenschau. Schauen Sie lächelnd auf die zurückliegenden Katastrophen Ihres Lebens, die derzeitigen politischen Katastrophen in der Welt und auf die unterhaltsame Katastrophe, die diese Ausstellung ist.
Der eigentlich Impuls des Chefkurators der Berlin Biennale – der polnische Künstler Artur Zmijewski – ist spannend, denn wie vielen von uns gehen ihm die „kritische Hinterfragung“ und die „Provokationen“, denen sich einige Künstler so gerne hingeben, wenn es ums Politische geht, auf die Nerven. Meistens ist dabei nämlich von vornherein klar, dass sie sowieso nichts bringt. Stattdessen wollte Zmijewski das Museum in der Auguststraße in einen Aktionsraum verwandeln, wo Politik stattfindet und Kunst zu sehen ist, die tatsächlich wirksam ist. Dass dieses Konzept nicht aufgehen wird, hätte man schon vermuten können, als er ankündigte, sein eigenes Werk, den Kurzfilm „Berek“ von 1999, mit in die Ausstellung aufzunehmen. Nackte Männer und Frauen spielen darin in der Gaskammer eines Konzentrationslagers Fangen. Polnische Intellektuelle haben vielleicht einfach einen anderen Humor.
Witzig ist auch, dass Zmijewski ein paar junge Künstler dazu eingeladen hat, das gesamte erste Stockwerk des Museums zu besetzen. „Occupy“ war ja tatsächlich eine der einschneidenden lebensweltlichen Bewegungen des vergangenen Jahres, aber es ist interessant zu sehen, wie historisch sie schon nach ein paar Monaten wirkt. Stephane Hessels Buch „Empört Euch!“ hängt da in drei Sprachen an der Wand und überall erwarten einen hübsche Parolen wie „Revolution“ und Sinnfragen wie „Since we are all costumers could it be that artists and politicians are now products?“ Es gibt ein Armeezelt, das als Vortragsraum dient, eine eigene Radiostation, eine kleine Mülltrennungsanlage, viele Sitzkissen und Ikea-Stühle und sogar einen „urbanen Garten“, wo ein paar traurige Erbsensetzlinge in erdgefüllten Reissäcken ihr Dasein fristen, die man besser in den Humus drunter gepflanzt hätte. Und wenn man sich heimlich in den „99% Sleeping Room“ stiehlt, stellt man fest, dass es dort wie in der von Obdachlosen bevölkerten New Yorker U-Bahn riecht. Das Ganze gleicht gewissermaßen einer Salatbar des Protests, und nach einer Weile stellt sich das dasselbe Gefühl der Kuriosität wie bei einem Zoobesuch ein.
Aber natürlich gibt es auch künstlerische Arbeiten, die man ernst nehmen kann. Miroslaw Patecki etwa baut live im Museum den Kopf seiner gigantischen Jesus-Skulptur nach, die in Polen im vergangen Jahr für Aufregung sorgte, weil sie die Macht der katholischen Kirche so schamlos glorifizierte. Khaled Jarrar hat Briefmarken und einen Einreisestempel für den nicht-existierenden Staat Palästina entworfen, den er Zuschauern versiert und charmant in ihre realen Reisepässe druckt. „Welcome to Palestine“ sagt er dabei. Und dann gibt es einen Raum, wo Videomitschnitte von mit Polizeigewalt unterbrochenen Demonstrationen aus aller Welt kühl und unkommentiert wie Filmkunst gezeigt werden. Die Bauchlandung der Biennale können auch diese Arbeiten nicht verhindern.
Aber schließlich landet man ja auch im Leben oft genug nicht auf den Füßen. Und das einzige, was man dann tun kann, ist, sich den Staub von der Hose zu klopfen, zu versuchen, irgendwas aus der Situation zu lernen und weiterzumachen. Aus meinen Jahren in New York erinnere ich mich noch gut daran, dass ich lange in 500-Dollar-Schuhe aus schwarzem Straußenleder, die ich mir wirklich, wirklich nicht leisten konnte, durch den sagenhaften Dreck der Stadt marschiert bin. Inzwischen wohne ich nicht mehr in Amerika und trage auch keine Schuhe mehr, die zu teuer für mich sind. Trotzdem erinnere ich mich immer noch gerne an die Lust jenes komplett unverschämten, absolut unnötigen Konsums, für den sogar ein Strauß an sein Leben glauben musste.
Vielleicht geht es Ihnen ähnlich, deshalb sollten Sie, wenn Sie schon in Mitte sind, in ein paar der Galerien gehen, die am Gallery Weekend teilnehmen, der superkommerziellen, großartigen Minikunstmesse, die immer am ersten Wochenende im Mai stattfindet. Die hübschen Collagen aus wild-gesturalem, buntem Silkscreen und Internetsexfotos des Belgiers Leo Gabin sind da zum Beispiel bei Peres Projects in der Großen Hamburger Straße zu sehen. Bei CFA am Kupfergraben hängen neue, riesige Gemälde des amerikanischen Malerstars Julian Schnabels, für die er eigene Fotos von indischen Gottheiten als Maluntergrund benutzt hat. Und bei Sprüth Magers in der Oranienburger Straße gibt es eine neue Lichtinstallation der New Yorker Konzeptkünstlerin Jenny Holzer und ihre geradezu sensationellen Leinwände in Paul-Smith-Farbstreifen, die auf den geschwärzten Guantanomo-Bay-Sicherheitsdokumenten der Bush-Regierung basieren. Die meisten von uns werden sich die 150 000 bis 250 000 US-Dollar, die so ein Holzer-Bild kostet, sicherlich nie leisten können. Aber manchmal macht der Markt die Kunst eben nicht nur schöner, sondern auch viel, viel besser.
7th Berlin Biennale for Contemporary Art, bis zum 1. Juli 2012, Kunst-Werke, Auguststraße 69
Leo Gabin: „Whatever is clever“, Peres Projects, Große Hamburger Straße 17
Jenny Holzer: „Endgame“, Sprüth Magers, Oranienburger Straße 18
Julian Schnabel: „Deus ex machina“, Contemporary Fine Arts, Am Kupfergraben 10
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