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(picture alliance) Christian Kracht, ein Autor mit dandyistischer Neigungen zu Exzentrikern, Weltverbesserern, Barfüßern

Krachts „Imperium“ - Von Welteroberung und dem Glauben an Rohkost

Das deutsche Kolonialreich als Tummelplatz von Gesundbetern und anderen Spinnern: Christian Krachts Roman "Imperium" porträtiert sie genüsslich

 

Man kann nicht sagen, dass Deutschlands «Griff nach der Weltmacht», die bisweilen tragikomische Geschichte des wilhelminischen Kolonial-Imperiums, in der deutschen Literatur unserer Tage eine große Rolle spielte. Lange Zeit gab es außer Uwe Timms «Morenga» nichts, jetzt aber haben wir, nach Thomas von Steinaeckers «Schutzgebiet», schon wieder einen Roman, der in den kaiserlichen Tropen spielt. Was interessiert Christian Kracht eigentlich am «Imperium», oder konkret an «Neupommern» im melanesischen Bismarck-Archipel mit einer Hauptstadt namens «Herbertshöhe»?

Ein Abenteuerroman, kein Zweifel, geschrieben von einem Autor, dessen dandyistische Neigungen an Exzentrikern, Weltverbesserern, Barfüßern und hier eben auch noch an Kokosnüsse bevorzugenden «Kokovoren» Nahrung finden. Das deutsche Kolonialreich war, wie Kracht spielend vor Augen führt, ein Werk von Spinnern. August Engelhardt, dieser unglückliche Ritter der Kokosnuss, steht für einen um 1900 dominanten Typus, der aus dem Geist des Reformhauses die ganze Welt erobern und verbessern wollte.

Man muss an Peter Sloterdijk denken, der in seinem Buch «Du musst dein Leben ändern» die Optimierungs- und Veredelungslehren der frühen Moderne als eine folgenschwere «Anthropotechnik» beschrieben hat. Man denkt auch an die Odenwaldschule, an Stefan George, Hartmut von Hentig und deren geistige Voraussetzungen. Krachts Südsee-Imperium ist gar nicht so abseitig, wie man glauben möchte, es führt in seinen Konsequenzen mitten hinein in die Gegenwart.

Kracht hat, man merkt es, sprachlich und stilistisch Freude an den Merkwürdigkeiten dieses Milieus, aber er bleibt nicht beim kuriosen Sittenbild stehen. «Bläßliche, borstige, vulgäre, ihrer Erscheinung nach an Erdferkel erinnernde Deutsche lagen dort»: an Bord der «Prinz Waldemar», die sogenannte Pflanzer, aber auch den Kokovoren Engelhardt nach Neupommern bringt, «und erwachten langsam aus ihrem Verdauungsschlaf, Deutsche auf dem Welt-Zenit ihres Einflusses». Der Traum von der Weltmacht wird geträumt von verkrachten Existenzen, Antisemiten, Glücksrittern und Rohköstlern. Das ist wohl eine deutsche Südseeballade wert, die man ebenso belustigt wie erschrocken liest.

Belustigt, weil die Verhältnisse im «Schutzgebiet» einfach so drollig sind in ihrer Operettenhaftigkeit, und weil Kracht das Seine dazu tut, ihnen sprachlich zum Ausdruck zu verhelfen. Manchmal tut er dabei auch des Guten zu viel – wenn etwa von Seifenblasen die Rede ist, «die sich auf Engelhardts Schultern niedersetzten, um dort, ermattet und unspektakulär, gleich einer von einem zweitklassigen Romancier bemühten Metapher en miniature, ihr kurzes Laugenleben auszuhauchen». Oder ist das eine Parodie auf den neupommerschen Salonstil anno 1910? Irgendetwas an dieser gänzlich surrealen Welt muss Kracht auch ästhetisch angesprochen haben. Ein zweitklassiger Romancier ist er indes nicht, er setzt solche Stilblüten souverän ein, um so die Insel-Szenerie insgesamt als deutsche Stil- und Sumpfblüte kenntlich zu machen.

Der unglückliche Engelhardt, man ahnt es, wird seinen Lebenstraum von der kokovorischen Verbesserung der Welt nicht wahr machen. Dabei fängt alles gut an: Gleich Robinson Crusoe lässt er sich auf einem beinahe menschenleeren Eiland nieder, unterweist die Eingeborenen in der Lektüre deutscher Klassiker und entwickelt sogar eine Art Geschäftsmodell – ehe er dann doch des Wahnsinns Beute wird und der Gouverneur seinem Treiben gewaltsam ein Ende bereiten will. Auch Neupommern duldet eben keine richtig Verrückten, vor allem nicht, wenn ein Weltkrieg naht und die Tage des Imperiums gezählt sind.

Am Ende seines Romans springt Kracht in schnellen Schritten in den Krieg und Nachkrieg und erzählt, was aus seinen Figuren wurde: Mit dem Imperium ist es aus, der deutsche Griff nach der Weltmacht nimmt im tausendjährigen Reich neue, aggressivere Formen an. Was das alte Imperium mit dem neuen verbindet, ist neben anderem der unbedingte Glaube an die Rohkost («der Führer isst abends nur einen Apfel»). Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entdecken amerikanische Soldaten auf den Solomon-Inseln einen «uralten weißen Mann», der sich «ausschließlich von Nüssen, Gräsern und Käfern ernährt zu haben» schien: In der Not wird der Kokovore zum Käferesser. Nun ist auch das andere deutsche Imperium vorbei, die Macht ist auf die Amerikaner übergegangen, die Engelhardt sogar dazu bringen, Würstchen mit Ketchup zu essen. Vielleicht ist erst in diesem Moment die Geschichte des deutschen Imperiums wirklich zu Ende.

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