- Unterwegs auf der legendären Deutschlandstraße
Die B 1 durschneidet Deutschland einmal quer von West nach Ost. Sie erzählt Geschichten und Geschichte. Der Fotograf Philipp Jeske hat sich in seinem VW Käfer aufgemacht, die einst längste Bundesstraße von der niederländischen Grenze bis nach Küstrin zu erkunden.
[[{"fid":"56308","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":814,"width":596,"style":"width: 140px; height: 191px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erwerben können.
Eine Linie zieht sich durchs ganze Land. Blickt man auf eine Karte, auf der die Bundesstraße 1 verzeichnet ist, fällt einem der Schnitt auf. Als ließe sich die Spitze Deutschlands wie der Kopf eines Frühstückseis einfach abnehmen, sodass man hineinschauen kann in dieses Land und seine historisch gewachsenen Befindlichkeiten.
Die B 1 ist mehr als eine Straße, sie ist gelebte Geschichte. Sie führt nicht nur von West nach Ost, sondern quer durch die deutsche Historie. Sie reicht nämlich von Aachen bis nach Königsberg (dem heutigen Kaliningrad), von der Krönungsstadt Karls des Großen, bis zur Geburtsstadt Immanuel Kants.
[[nid:55644]]
In Deutschland beginnt ihr Verlauf im Westen an der Grenze zu den Niederlanden – von Aachen bis zur polnischen Grenze an der Oder streckt sie sich. Eine Verbindung quer durchs Land ähnlich der viel besungenen Route 66 in den USA, die von Santa Monica an der Küste Kaliforniens über fast 4000 Kilometer bis nach Chicago führt.
Die B 1 ist Teil der alten Straße, die Adolf Hitler im Zuge der Neuordnung des Reichsstraßenwesens zur Reichsstraße Nr. 1 machte. Sie war Deutschlands längste Straße: über 1392 Kilometer lang. Die Bundesstraße und einstige Reichsstraße folgt in ihrem Verlauf einer alten Handelsroute der Römer. Vorläufer ist die „Via Regia“, eine ottonische Königsstraße, die von Aachen nach Magdeburg verlief und die im rheinisch-westfälischen Bereich auf den noch älteren „Hellweg“ zurückgeht.
Um das Jahr 150 findet der Verlauf der heutigen B 1 in der „Geographike Hyphegesis“ des griechischen Mathematikers und Astronomen Ptolemäus erstmals als eine alte Heer- und Handelsstraße Erwähnung. Bei eben jenem Ptolemäus, der die Erde in die Mitte seines geozentrischen Weltbilds schob. 1400 Jahre nach Ptolemäus entwarf Kopernikus sein heliozentrisches Weltbild, stellte die Erde als Scheibe und Mittelpunkt der Welt infrage und beschrieb eine Welt, die sich um die eigene Achse und die Sonne bewegte. Seine Statue befindet sich an der B 1 in Frombork in Polen, dem früheren Frauenburg. Dort wirkte Kopernikus als ermländischer Domherr. Im Rücken der Statue steht in seinem Schatten eine weitere Figur: Anna Schilling. Sie war die Haushälterin und Muse des großen Weltveränderers. Beide trennt die B 1.
So ist die B 1 eine Straße voller Geschichte und Geschichten. Grund genug, ihr zu folgen. Von West nach Ost: Starten wir in Aachen, durchqueren die Jülicher Börde, fahren weiter entlang des Teutoburger Waldes und beschleunigen auf dem Ruhrschnellweg. Wir stoppen vielleicht beim Rattenfänger von Hameln oder bestaunen in Braunschweig Europas größte Quadriga, erfahren deutsch-deutsche Geschichte am ehemaligen Grenzübergang Helmstedt-Marienborn oder schütteln den Kopf über die Hundertwasserhäuser in Magdeburg. Wir denken vielleicht an alte Agentenstreifen, während wir von Potsdam über die Glienicker Brücke fahren und sich plötzlich das urbane Berlin am Horizont auftürmt.
Mitten durch Berlin geht es dann weiter. Auf der einstigen Stalinallee halten wir kurz im Café Sibylle, wo wir das linke Ohr und die rechte Schnauzbartspitze des gestürzten Stalindenkmals bewundern dürfen. Über die Oder, vorbei am Straßenstrich, geht es bis nach Küstrin, wo Friedrich der Große der Hinrichtung seines besten Freundes beiwohnte. Die Deutsche B 1 ist da längst zur polnischen DK 22 geworden. Die Weichsel wird überquert, Marienburg, einst Hauptsitz des deutschen Ordens, passieren wir zur Linken, bevor im alten Königsberg die Reise endet und die B 1 hinter uns liegt, eine Achse europäischer Geschichte.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.