- Kleinoktav jodelt nicht
Über die Liebe zu sachlichen Büchern – die noch dazu dazu durch schlichte Aufmachung und langlebige Tradition überzeugen
Dieser Artikel war fertig. Nachträglich drängte es mich, folgende Sentenz obenauf zu setzen: Wahrscheinlich lese ich seit jeher immer lieber Theorie oder Bücher zur Sache (res historia, theologica, philosophia, aesthetica) als solche, die sich mir als Lektüre oder gar Belletristik (vulgo: Schön-Tristes) feilzubieten anheischen, aus rein ästhetischen Gründen. Die strengen, gelehrten Werke sind formvoller, würdiger und ansehnlicher gestaltet. Res et Causa sind mir inhaltlich und äußerlich lieber als Curiosita und Trummbummbuli. So. Nunmehr beginnt der Artikel.
Wissenssachliches Werk, Bücher zu denkernsten Obliegenheiten – die ja gleichwohl komisch, verwegen, töricht und tumultarisch walten dürfen, ja, sollen! –, kommen gewöhnlich schlicht, streng, formal durchdacht, apollinisch gekleidet daher – sie tragen kühnes, kühles und schlichtes Gewand; der Romankram, die bücherherbstlichen Niederschläge, sie klotzen gewöhnlich barock geputzt daher, tun dicke, fotogen und jodeln. Solch Trummzeug und Ungetüm trägt falsch’ Tracht oder Kostüm.
Na ja, meistens. (Von den sogenannten «Sachbüchern» ganz zu schweigen! Diese kommen ja oft noch windiger und wirbelsinniger daher als der belle et triste gepimpte Goldprägedruck!)
Hier nun stehen an
zur äußeren Musterung drei Taschenbuchreihen, ähnlich peilend und
wirkend im weitest umrissenen Felde der Theorie (causae, rei),
gemacht zu geradem Gebrauche und so füglich als Fibeln (im
Kleinoktav, kl.8°, Buchrücken: 15 – 18,5 cm) angelegt, nicht als
Vielpfünder und Folianten
(40–45 cm) der Wahrheit und Wahrhaftigkeiten. Es geht in dieser
Kolumne um Äußerlichkeiten, was mir in diesen drei anstehenden
Fällen schwer fällt. Allen drei Verlagen fliegt meine Sympathie zu,
da ich ihren Bänden einiges und viel sogar ver-danke. Und dabei
ging es nie um die Anmut meiner Regale.
Hier aber soll es ja in etwa genau darum gehen.
Nun denn und
erstens: Die Reihe «Fröhliche Wissenschaft» von Matthes & Seitz
kleidet ein eigentümlich schmaler und hochgewachsener
Taschenbucheinband aus nach innen umgeschlagenem Karton. Dieser
Innenkragen hat Gewicht, denn im Grunde offenbart sich nur dann
klar, wes’ Werk ich lese und
welchen Titel es führt, wenn dieser Deckel aufgeschlagen steht. Da
mir der bekennende Faulenzer und Schwiegersohn Marx’, Paul
Lafargue, bekannt war, erriet ich bei erster Aufsicht den Autor
flink, den Titel kaum. Ich habe Testreihen unter Bekannten laufen
lassen: Kaum einem erschlossen sich die Namen der
Bücher, alle aber lohten in Wissbegier und wussten also alsbald
bescheid. Die gleichwohl als ansehnlich empfundene Aufmachung der
fröhlichen Reihe soll im Buchhandel und beim Kunden gut ankommen.
Das glaube ich wohl, weil wir es hier überdies mit einem
altbewährten Deckelkniff zu tun haben: Diese Art der Gestaltung
fand schon Anwendung in den fünfziger Jahren bei der stets
strafrechtlich bedrohten Reihe Libertés des Jean-Jacques Pauvert.
Damals schwarze, angeschnittene Schrift auf hübschem
Packpapierbraun, schmal, hochwüchsig, alle Nebenbücher keck
überragend. Heute, bei Matthes & Seitz, schwarzweiß oder bunt
und noch angeschnittener, dem Pauvertschen Stile nacheifernd. Macht
aber nichts. (Im Gegenteil! – mir wäre auch lieber, die
Straßenbahnen sähen wieder aus wie früher.)
So. Und jetzt muss ich doch die Matthes & Seitzsche Mission loben: Ein Verlag, der Paul-Ludwig Landsbergs Schrift über den Tod – in der Bibliothek Suhrkamp (auch ansehnlich!) längst und leider vergriffen – neu auflegt und den großen Jean-Henri Fabre (allein vor ihm zittert Darwin wie Espe!) druckt, dürfte sich meinetwegen sogar gern mal schlecht kleiden.
Kann ja mal
passieren! Die «Kleine Reihe» bei diaphanes hat sich wie ein
Student des Kommunikationsdesigns angezogen. Die Hefte sind ins
C6-Format (11 x 16, Briefkuvert) gebracht
und sehen aus wie kleine geistliche Beistände oder Barmer
Ersatzkassenratgeber, eben ganz bieder in-designt und auf den
ersten Blick: Nanu? – «Agamben, Was ist DIA postiv?» – Ach,
Quatsch! jetzt wird’s maliziös und soll es nicht! Indes, wenn
wenigstens diese Kratzer nicht wären! – dann wäre alles ganz
schlicht und ganz passabel und sogar gut. Was für Kratzer?
Senkrecht zieht sich über die Titel der kleinen Reihe eine
Kratzspur. Schaut man näher nach, ist es auch keine
Braille-Schrift, nee, zwei winzige Wortkettchen sind’s, von unten
nach oben gereiht aus Begriffen, die im Band irgendwie tragende
Rollen spielen. Doit pas!
Je nun! Die Mission des Verlages ist jetzt trotzdem wieder und ebenfalls zu loben! Und es gibt reichlich gelungene Einbände. Der große Lyotard, Vogl, Le Breton – hohen Dank dafür und Hochachtung vor verlegerischem Mute!
«Merve». Was braucht man noch zu sagen? Wenn wir einen Buchladen betreten und sogleich und sicher erkennen: Dort hinten liegt ein Merve-Band! Jawohl! (Obwohl! – jemand der sich nicht so auskennt, sagte mir mal frankophon gedehnt: «Mervée».) Zwischen all den wogenden und bunt wallenden Feilgeboten liegen ohne viel Gewese und Geschrei die schlicht-ehernen Rauten Merves, die Jochen Stankowski entwarf, und Merve ist gottlob! dabei geblieben. Die Merve-Raute wird länger währen als die Deutsche Mark – des seid gewiss! Nur selten gelingt es einem Verlag, seine Bände zur Marke, zum Gütezeichen zu erhöhen und ihm ein ganz eigen Antlitz anzusiegeln. (Reclam, einigen Suhrkamp- und Rowohlt-Reihen gelang es, der Klever Verlag schickt sich an.) Überdies sei nicht unerwähnt, dass Merve – den Verlag gibt es seit vierzig Jahren! – wie ein fruchtbringender Vorfahr und Nebensasse auch andere Verlage bewog und das Konzept des kleinen, einfachen Buches zu raschem Gebrauche in die Welt setzte. Die hier erwähnten gedeihlichen Verlage oder die längst verloschene Reihe um9 bei Benteli sind solche verwandten Gewächse.
Zum Beschluss will ich noch einmal sachlich, also persönlich werden: Erstens bin ich ja selbst – nicht ohne Grund, auch ästhetischem – Autor bei Merve geworden, und noch heute betrachte und bestaune ich jeden frischen Band wie den ersten! Und zweitens soll dem nunmehr fertigen Artikelchen darum noch ein Bekenntnis oben aufgesetzt werden.
Thomas Kapielski, Jahrgang 1951, ist Autor, bildender Künstler und im Oberkreuzberger Nasenflötenorchester auch musikalisch aktiv. Zuletzt erschienen seine Bücher «Anblasen» (2006), «Mischwald» (2009), «Zeitbehälter» (2009) und «Sämtliche Gottesbeweise» (2009).
Samuel Weber
Geld ist Zeit. Gedanken zu Kredit und Krise
Aus dem Amerikanischen von Marion Picker.
Diaphanes, Berlin 2009. 64 S., 8 €
Paul LaFargue
Die Religion des Kapitals
Aus dem Französischen von Andreas Rötzer.
Matthes & Seitz, Berlin 2009. 180 S., 14,80 €
Michel Serres
Das eigentliche Übel
Aus dem Französischen von Elisa Barth und Alexandre Plank.
Merve, Berlin 2009. 95 S., 9 €
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