- Sonntagstalk mit Risiko
Im zweiten Anlauf hat es Günther Jauch doch noch in die ARD geschafft. Seiner Premiere sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen. Als Produzent träumt er von einer guten Quote, als Journalist will er glaubwürdig bleiben. Doch schließt das eine das andere nicht aus?
Er wirkt schmaler als im Fernsehen, und, obwohl der Sommer einen Rest Bräune in seinem Gesicht hinterlassen hat, auch merkwürdig blass.
Günther Jauch sitzt in einem roten Lounge-Sessel im ehemaligen Gasometer in Berlin-Schöneberg, die Extremitäten patentgefaltet, den Blick nach oben gerichtet. Auf einem achtzig Meter hohen Stahlgerüst spannt sich eine durchsichtige Folie aus Kunststoff. Tageslicht sickert hindurch. Er kneift die Augen zusammen. Es sieht aus, als schicke er ein stilles Stoßgebet gen Himmel.
Hier wird er am Sonntag nach dem „Tatort“ seine Premiere als ARD-Talker feiern. Es ist ein kleiner Schritt für den Zuschauer, aber ein großer für Jauch.
Der RTL-Mann kehrt zurück zu dem Sender, dorthin, wo in den achtziger Jahren seine TV-Karriere begann, vom Sportjournalisten zum Quiz- und Talkmaster der Nation.
Kein anderer Kollege ist so beliebt wie er. Jauch, der Name steht für Ehrgeiz, Disziplin, Empathie und mangelndes Talent zur Eitelkeit - für Eigenschaften also, die rar geworden sind in einem Medium, das auf Äußerlichkeiten fixiert ist.
Wenn Günther Jauch beinahe geistesabwesend den Text von seinen Moderationskarten abliest , dann wirkt er konzentriert und zerstreut zugleich - wie einer, der sich aus Versehen im Fernsehen verlaufen hat - doch der jetzt, da er schon mal da ist, das Beste daraus zu machen versucht. Das ist sein Erfolgsrezept.
Sein spröder Charme verfängt nicht nur bei Müttern von Töchtern im heiratsfähigen Alter. Jauch, im richtigen Leben verheiratet und Vater von vier Töchtern, gilt im Fernsehen als familienkompatibel. Nach einer Umfrage des Emnid-Instituts kann ihn sich jeder zweite Deutsche als Bundeskanzler vorstellen.
Aber das allein erklärt noch nicht, warum er auf der Pressekonferenz einige Tage vor der ARD-Premiere einen angespannten Eindruck macht. Sein linkes Auge zuckt unkontrolliert. Der Tag der Entscheidung rückt näher. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
2007 wollte ihn die ARD schon einmal einkaufen, doch in letzter Sekunde machte der Journalist einen Rückzieher.
Verhandlungen hatten sich in die Länge gezogen, zäh wie Kaugummi. ARD-Intendanten, Chefredakteure, sie alle wollten ein Wörtchen mitreden, schon im Vorfeld.
Kein ermutigendes Signal für den Moderator, der mit seiner Kölner Firma I& U TV seine eigenen Sendungen produziert, unter anderem auch den RTL-Dauerbrenner „Wer wird Millionär.“ Als Unternehmer kann er es sich nicht leisten, sich mit Kleinigkeiten aufzuhalten. Er hat das große Ganze vor Augen.
Am Ende schimpfte er auf die „Gremlins“ in der ARD, wie er die Paragraphenhuber nannte, und kehrte ihnen den Rücken.
So gesehen ist seine Premiere am Sonntag ein Sieg für die ARD, und dementsprechend triumphal war der Empfang, den man ihm im Gasometer in einem Industriegebiet im roten Schöneberg bereitete.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Jauch sich in die überfüllte Woche der Talkshows einreihen soll.
Woher die Programmverantwortlichen den Optimismus nehmen, leuchtet nicht ganz ein. Jauch ist jetzt schon der fünfte Moderator, der vor der Aufgabe steht, aus der Flut von Themen die Aufreger der Woche zu filtern. Geredet wird jetzt täglich, von Sonntag bis Donnerstag.
Vielen Zuschauern war das schon vor der Sommerpause zu viel, als die Wochentage noch Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag hießen und nicht, wie ein Feuilletonist der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) süffisant bemerkte, die Namen der Talkshow-Moderatoren übergestülpt bekamen, die ihnen jetzt ihren Stempel aufzudrücken versuchen. Plasberg, Maischberger, Will und Beckmann.
Es sind keine optimalen Voraussetzungen, um sich eine Nische zu erobern. Es scheint, als sei der Markt schon gesättigt.
Günther Jauch versucht gar nicht erst, das zu verhehlen. Freimütig räumt er ein, dass sein Adrenalinspiegel in dem Maße steigt, wie die Premiere seiner Talkshow näherrückt: 9/11.
Es ist ein geschichtsträchtiges Datum. Es steht für eine der größten Katastrophen der Neuzeit, den Angriff islamistischer Terroristen auf die USA. Günther Jauch wird mit seinen Gästen darüber diskutieren. Es muss kein böses Omen sein.
Kaum eine Personalie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat in den vergangenen Jahren so viel Wirbel ausgelöst wie seine. Der Poker um Jauch gilt als Prestigefrage. Einerseits.
Andererseits manifestiert sich in seiner Person der Widerspruch, an dem sich die gebührenfinanzierten Sender immer häufiger aufreiben: Keiner außer ihnen könnte es sich leisten, sich von der Quote zu lösen und Sendungen zu produzieren, die ihrem Auftrag zur politischen Information entsprechen. Keiner investiert aber mehr Geld in eine Talkshow-Maschinerie, die stattdessen heiße Luft produziert.
So jedenfalls steht es in einer Studie, die die Otto-Brenner-Stiftung zum Start der Talkshow-Reform in der ARD veröffentlicht hat. Solche Sendungen beförderten keineswegs den gesellschaftlichen Diskurs, heißt es da. Sie führten vielmehr zu Politikverdrossenheit.
Alle Augen sind jetzt auf Günther Jauch gerichtet. Er führt die Liste der Topverdiener an. 4487,18 Euro pro Sendeminute blättert die ARD auf den Tisch, um den Sympathieträger ins Erste zu locken. Er kassiert damit noch 41,8 Prozent mehr als die bisherige Spitzenverdienerin, Anne Will.
Solche Beträge rufen Gebührenzahler auf den Plan. Die meisten sehen in ihm den netten Quiz-Onkel, der den „Telefonjoker“ in den Duden gebracht hat, den Moderator von „Wer wird Millionär?“ Jetzt kassiert er die Millionen selber, als Polittalker. Doch ist er sein Geld auch wert?
Der Sonntagabend um 21.45 Uhr gilt als prestige-trächtiger Sendeplatz. Im Schnitt lockt der „Tatort“ immer noch vier Millionen Zuschauer vor den Bildschirm. Viele von ihnen bleiben auch danach noch hängen - mitunter wohl eher aus Gewohnheit denn aus echtem Interesse. Auf den ersten Blick scheint es, als habe er nichts zu verlieren.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Jauch zu Experimenten steht.
Experimente werde es mit ihm keine geben, kündigt er an. Das Publikum sei an den Polittalk gewöhnt. Er wäre doch schön doof, würde er es verprellen. „Ich will eine Evolution, keine Revolution.“
Nach Aufbruchstimmung klingt das nicht. Eher so, als habe er sich damit abgefunden, dass er sich der Dramaturgie der TV-Talkshows beugen muss.
Sie funktioniert nach denselben Regeln wie eine Schmierenkomödie. Der Moderator, er agiert wie ein Dompteur. Erst muss er seine Gäste gegeneinander aufhetzen. Dann sollen sie sich in die Arme fallen. Auf Konfrontation folgt Konsens.
Es fällt schwer, sich Günther Jauch in dieser Rolle vorzustellen. Seine Stärke, das ist das Vier-Augen-Gespräch. Die Fähigkeit, aus seinem Gegenüber eine Anekdote herauszukitzeln. Als Moderator von „stern tv“ hat er sie zwanzig Jahre lang trainiert.
Er hat Politiker in die Zange genommen. Er hat verwaiste Eltern getröstet. Er hat Kinder bespaßt. Kaum ein Moderator beherrscht den Balanceakt zwischen Nähe und Distanz so souverän wie er.
Kann er diese Stärken auch im Polittalk ausspielen? Sein Vertrag mit der ARD läuft bis 2014.
So lange hat er Zeit, um sich einzugrooven. Er ist nicht alleine. Eine Redaktion mit zwanzig Kollegen wird ihn unterstützen. Geleitet wird sie von einem seiner engsten Weggefährten: Andreas Zaik, Chefredakteur von „Stern TV“.
Auf den zweiten Blick ist es ein gewagtes Spiel, auf das sich Jauch da eingelassen hat. Als Produzent seiner eigenen Talkshow muss er die Quote im Blick haben. Als Journalist kann er sich damit jedoch nicht zufriedengeben. Er ist jetzt 55.
Er hat fast alles ausprobiert. Sport, Quiz, Entertainment. Immer mit Erfolg. Nur der Polittalk hat ihm noch gefehlt. Vielleicht ist das die größte Herausforderung. Seine journalistische Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel.
Ist er sich dieses Risikos bewusst? Er stapelt tief. Er macht sich kleiner, als er ist. Er redet von einer „übernatürlichen Erwartungshaltung“ und davon, dass er sie definitiv nicht einlösen könne.
Jauch hieße natürlich nicht Jauch, wenn er es nicht wenigstens versuchen würde. Seine größte Stärke, sie sei eben auch seine größte Schwäche, hat einmal Thomas Gottschalk über ihn gesagt, ein Freund aus seiner Zeit beim Radio. „Irgendeinen Mühlstein hängt er sich immer um den Hals.“
Günther Jauch, ab dem 11. September immer sonntags in der ARD, 21.45 Minuten.
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