- „Als erstes habe ich mir eine Rolex gekauft“
Moritz Bleibtreu spielt in dem Psychothriller „Stereo“, der am Donnerstag in die Kinos kommt. Cicero erzählte er, warum er auf Statussymbole steht, nicht wählen geht, noch nie Charity gemacht hat und Alnatura-Einkäufer für Weltverbesserer hält
Herr Bleibtreu, bei der Recherche zu Ihrer Person lande ich bei Gala, Superillu und Playboy. Sie scheinen für Arte und Bild der Frau gleichermaßen interessant.
Superillu ist vielleicht in dem Zusammenhang kein wirklich gutes Beispiel, aber diese Spannbreite ist tatsächlich darauf zurückzuführen, dass meine Interessen unterschiedlich gelagert sind. Das Mainstreamkino begeistert mich genauso, wie ein kleiner schmutziger Art-House-Film. Mich begeistert Rap genauso wie Literatur. Ich stehe irgendwie dazwischen. Ich bin auf der einen Seite als Kind auf Theaterbühnen groß geworden, wurde sehr schnell an Literatur, Kunst und Poesie herangeführt, ich bin aber auch auf den Straßen von St. Georg aufgewachsen und habe dort natürlich wieder eine ganz andere Seite des Lebens kennengelernt. Diese beiden Welten haben mich auf unterschiedliche Art und Weise geprägt.
Eine Biografie zwischen Straße und Theater…
Ich war irgendwie immer zwischen den Stühlen: ein Straßenkind, das sich auf Statussymbole verstand. Nach meinem ersten größeren deutschen Film habe ich mir als erstes eine Rolex gekauft. Das war natürlich ziemlich bescheuert, weil die Uhr im Vergleich zur Gage viel zu teuer war. Aber genau deswegen habe ich es gemacht. Und ich weiß noch, dass damals ein Freund meiner Mutter ankam, die Uhr sah und meinte: Ey, hättest du was gesagt, dann hätt‘ ich dir die für billiger besorgt. Darauf ich: Weißt du was? Ich will die gar nicht billiger. Ich wollte diese Uhr, in diesem Laden. Ich wollte da sitzen, in diesem Geschäft, in dem du dich sowieso schon völlig fremd fühlst, mit diesen goldenen Kästen und dem Typ, der dir mit Handschuhen die Tür aufmacht. Dann legen sie dir diese Uhr vor und du sagst, ja, holst deine Kreditkarte raus und bezahlst das Ding. Das war für mich wirklich ein emotionales Erlebnis. Um dieses ganze Rumgepose oder Guck-mal-wie-geil-ich-bin ging es mir nicht.
Haben Sie diesen Reflex heute auch noch?
Der hat sich gelegt, aber ich trage keine abgetragenen Turnschuhe, wenn Sie das meinen. Sagen wir mal so, ich verstehe, woher der Wunsch nach Statussymbolen kommt und ich verurteile das nicht. Das kann von mir aus auch jeder blöd finden.
Im Film „Stereo“ spielen Sie einen Psychopathen, der wiederum das Böse in der Hauptfigur, gespielt von Jürgen Vogel, verkörpert. Drehbuchautor Max Erlenwein meinte, auf der Suche nach einem zynischen dreckigen Mistkerl habe er gleich an Sie gedacht. Wie darf ich denn das verstehen?
Das müssen Sie ihn fragen. Für mich waren das Drehbuch und Jürgen Vogel entscheidend, um bei diesem Film mitzumachen. Jürgen fand ich als Schauspieler immer großartig und außerdem haben wir uns nie wirklich als Schauspieler kennen lernen können. Als ich hörte, er spielt mit und das Buch ist von Max Erlenwein, wusste ich, dass nichts schiefgehen kann. Und auch genretechnisch hat es mich sehr gereizt: Dunkle Psychogramme und Psychothriller finde ich sehr gut. Leider gibt es die in Deutschland sehr selten, weil sie oftmals einfach nicht funktionieren.
Weil es im deutschen Kino, ich übertreibe mal, normalerweise um Nazis oder billige Gags geht? Stereo macht ein völlig anderes Fass auf: Gewalt, Schizophrenie, Hass.
Ich denke, das steckt in jedem von uns. Unser Schöpfer hat uns diese beiden Seiten mitgegeben. Alles resultiert aus einem Aufeinanderprallen dieser Pole. Und gerade in der Kunst ist das sehr wichtig. Es gibt kein Gut ohne Böse, keine Liebe ohne Hass. Und die Frage ist, wie schaffe ich es, diese beiden Seiten miteinander zu vereinbaren. Negative Emotionen setzen teilweise eine direktere und mächtigere Energie frei, als das Gute im Menschen. Deswegen hat es keinen Sinn, diesen Teil zu leugnen. Wichtig ist, sich immer vor Augen zu führen, dass es das gibt und zu sehen, wann bin ich verführbar, wann neige ich dazu, mich zu korrumpieren? Wann übersehe ich wichtige Dinge, weil ich gierig und neidisch bin? Darum geht es in „Stereo“. Es geht um Engel und Dämonen, um Abgründe, und darum, dass du nicht vor dir selbst weglaufen kannst.
Das Dunkle im Menschen als Nährboden für Kreativität?
Absolut. Die Kunstgeschichte ist voll davon. Ich glaube nicht, dass van Gogh, als er sich das Ohr abgeschnitten hat, so wahnsinnig viele Engel um sich herum gehabt hat. Da waren sicher auch ein paar Dämonen hinter ihm her.
Glückliche Menschen machen keine Kunst...
Das ist natürlich nur bis zu einem bestimmten Grad wahr und letztlich eine Definitionsfrage des ohnehin schon fragwürdigen Wortes „Kunst“. Aber Kunst hat natürlich ganz viel mit Schaffensdrang zu tun. Und der resultiert im seltensten Fall aus einem erfüllten Leben, sondern daraus, dass man Dinge ausleben will, dass man sie zeigen und mitteilen will. Meistens deshalb, weil man mit Dingen unzufrieden ist, weil einem etwas fehlt oder weil man sich nach etwas sehnt.
Im Film geht es auch ums Verdrängen: Der Held verdrängt seine Vergangenheit und wird von ihr eingeholt. Heute ist es in der Psychologie Usus, dass man nicht verdrängen, sondern aufarbeiten soll. Ist das vielleicht nicht auch ein Fehler unserer Zeit, dass alles verhandelt werden muss? Gibt es nichts mehr, das man mit sich selbst ausmachen darf? Kann man nicht mal ein Plädoyer auf Verdrängung halten?
Absolut, ich wäre der Erste, der dir eines hält. Jetzt muss man aber vorsichtig sein. Im Film geht es um pathologische Zustände: Wir reden hier tatsächlich über eine Art Krankheitsbild. Eine durch Traumata ausgelöste Abspaltung der eigenen Persönlichkeit. Der Verdrängungsmechanismus als solches ist hingegen sehr wohl essenziell. Andernfalls würde uns das Leid übermannen, und wir würden durchdrehen. Im Schauspiel gibt es eine Methode, die genau darauf abzielt, verdrängte Emotionen hervorzuholen. Ich wollte das nie. Ich wollte nie zurück. Ich wollte nicht an den Tod meines besten Freundes erinnert werden, als ich zehn war. Ich war doch froh, dass ich nicht mehr darunter leiden musste. Es hat drei Jahre gedauert, bis ich zum ersten Mal morgens nicht an ihn gedacht habe. Wieso soll ich jetzt dahin zurückgehen? Für mich ist Schauspielerei das bewusste Erleben im Moment. Und wenn ich zum Beispiel eine Szene emotional plane, hat das für mich mit Schauspielerei nichts zu tun.
Klingt nach einer sehr mechanischen Schauspielmethode, die da unterrichtet wird.
Absolut. Es kann natürlich sehr beeindruckend sein, wenn jemand mit Emotionszuständen jongliert. Für mich geht es jedoch um den Überraschungsmoment. Wenn ich mich überrasche, dann überrasche ich dich. Ich kann mich aber nur überraschen, wenn ich nicht plane. Das heißt, ich muss vergessen, was kommt. Im besten Fall muss ich meinen Text vergessen. Deswegen sollte der Text so gut gebaut und erarbeitet sein, dass ich ihn gar nicht mehr vergessen kann. Deswegen ist die Arbeit am Text das allerwichtigste in der Schauspielerei. Ich habe bei meiner Mutter gelernt, dass es keine Universalität im Spiel gibt. Deswegen ist der Anspruch, Emotionen geplant abzurufen, nicht mein Verständnis von Schauspielerei.
Es geht im guten Schauspiel also um Kontrollverlust?
Um kontrollierten Kontrollverlust. Das ist für mich Kunst. Das ist etwas, was Walter Schmidinger mit jedem Satz auf der Bühne konnte. Der Text floss durch ihn durch. Und du merkst, da ist nichts konstruiert, nichts gebaut, keine Eitelkeit, kein Zwang, irgendwie etwas darstellen zu wollen. Ich mag auch das Wort Darsteller nicht. Es heißt Schauspieler! Ich möchte nichts darstellen, ich möchte spielen. Wenn ich jetzt sage, die Eitelkeit ist der größte Feind des Schauspielers, dann stimmt das, aber ich weiß genau, ich bin nicht frei davon. Da sind wir wieder bei den Abgründen.
Apropos Abgründe: Sie erlebten jüngst einen Shitstorm und mussten heftige Kritik wegen Ihrer McDonalds-Werbung einstecken: Wie ist das, wenn andere sich befähigt glauben, über Ihr Leben urteilen zu müssen?
Jeder muss für sich wissen, wann er wie über etwas urteilt. Ich bin eine Person der Öffentlichkeit und bin dafür da, beurteilt zu werden.
Nicht Ihr Ernst.
Das ist Teil des Spiels. Jeder hat das Recht, mich total scheiße zu finden. Wenn ich einen Facebook-Account habe, muss ich damit rechnen, dass Leute da reinschreiben. Für mich gilt: Ich bin ein sehr loyaler, treuer Mensch. Wenn ich etwas beurteile und das auch noch öffentlich, dann habe ich mich damit sehr genau auseinandergesetzt.
Sie haben Ihren McDonalds-Auftritt damit gerechtfertigt, dass Sie Werbung des Geldes wegen machten, um sich die Rollen dann aussuchen zu können.
Filme wie Stereo könnte ich gar nicht machen, wenn ich nicht zusehen würde, ein paar Euro zu verdienen.
Sie würden also lieber mit einem Burger in die Kamera grinsen, als in einem Tatort mitzuspielen?
Nein, ich würde niemals mit etwas in die Kamera grinsen, das ich persönlich nicht konsumiere. Alles andere wäre verlogen. In einer globalisierten Welt, die auf Profit ausgerichtet ist, ist es wahnsinnig schwer, den Überblick zu behalten. Wenn Leute glauben, die Welt zu verbessern, in dem sie bei Alnatura einkaufen, dann machen sie es sich zu leicht, glaube ich. Ich erwarte von niemandem, dass er ein Heiland ist. Für mich hat jeder Mensch erst einmal drei Würfe Wahnsinn frei.
Wie viel Würfe haben Sie schon genommen?
Etliche. Es gibt nicht einen Menschen, der dieses Kontingent nicht voll ausgeschöpft hätte.
Sie sind kein Missionar, so viel steht fest. Sie haben noch nie Charity gemacht, sich nie politisch engagiert und waren noch nie wählen. Ist das nicht sehr dekadent, gerade weil hinter Ihrer Nichtwahl keine politische Motivation steht?
Das ist nicht wahr. Sie ist zu 100 Prozent politisch motiviert. Weil ich nicht daran glaube, dass die Leute, die zur Wahl stehen, in meinem Sinne handeln. Und wieso soll ich jemanden unterstützen, von dem ich glaube, dass er gerade mal zu 30 Prozent in meinem Sinne handelt? Ich glaube nicht an ein kleineres Übel.
Aber genau das ist doch Demokratie: das kleinere Übel. Die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen.
Es ist aber auch Demokratie, sich dem zu enthalten. Nichtwählen ist genauso legitim. Für mich sind Dinge, die ich nicht greifen kann, immer schwierig. Charity, ja. Da sind diese Organisationen, die machen diese Dinge, die sind alle ganz toll. Aber weiß ich das? Ich kenne diese Leute nicht, ich weiß nicht zu 100 Prozent, was die machen und deswegen nehme ich nicht daran teil. Ich erlaube mir kein Urteil. Bei allem Unmut, eines wird man mir nicht vorwerfen können: Ich habe noch nie einem Menschen bewusst etwas Böses angetan. Das werde ich auch nie tun. Ich habe weder mich noch andere massiv belogen. Und wer weiß, vielleicht kommt ja nächstes Jahr eine Partei, die ich tatsächlich wählen würde.
Wie müsste denn eine solche Partei aussehen?
Das ist schwer zu beantworten. Dass Demokratie die einzig funktionierende Staatsform ist, unterschreibe ich sofort. Sie hat aber trotzdem eine Konsequenz. 40 Prozent, die nicht das bekommen, was 60 Prozent als Freiheit deuten. Was aber ist mit der Freiheit dieser 40 Prozent? Ich bin vor allem ein Mensch, der an Eigenverantwortung glaubt. Und ich fände es schön, wenn Menschen für sich klar definieren könnten, was sie richtig und falsch finden. Und natürlich brauchen wir einen Staat, der sich selbst organisiert. Aber ich sehe mich nicht in der Position, das aktiv mitbestimmen zu können. Deswegen halte ich mich da raus. Ich konzentriere mich auf das, was ich kann: Schauspieler sein. Um genau diesem ganzen Realismus, dieser ganzen Sozialrelevanz und Befindlichkeitspornografie einfach mal Gefühl, Leidenschaft, Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit im Kino entgegenzusetzen. Das ist das Einzige, was ich ganz gut kann und das mache ich weiter.
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Kinostart: 15.05.2014
Regie: Maximilian Erlenwein
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Jürgen Vogel, Petra Schmidt-Schaller, Georg Friedrich, Rainer Bock, Mark Zak
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