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Filmstill/Berlinale

Michel Houellebecq - Depressiv, besoffen und autistisch

Der französische Meisterliterat Michel Houellebecq wurde gekidnappt. Zumindest auf der Leinwand. Guillaume Nicloux lässt den Schriftsteller in seinem Film "L' enlèvement de Michel Houellebecq" entführen. Houellebecq spielt sich dabei einfach selbst. Im Interview spricht der Schriftsteller über Kino, Hass und Demokratie

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

So erreichen Sie Timo Stein:

Monsieur Houellebecq, es heißt, Sie seien misanthropisch, sexistisch und islamophob…
…Oui…

… Auf welchen dieser Titel können Sie am wenigsten verzichten?
Können Sie Sexismus präzisieren?

Naja, in Ihren Büchern spielen Sie zumindest mit bestimmten Rollenklischees. Und in Ihrem Film beispielsweise versprechen Sie der älteren Dame, in deren Haus Sie festgehalten werden, ein Gedicht zu schreiben, wenn Sie Ihnen mit der Prostituierten Fatima erneut eine Nacht verschaffte. Anders gefragt: Wie oft mussten Sie in der Realität für Sex zur Feder greifen?
Schreiben für Sex? Nein. Nie.

Warum nicht?
Das hat mir noch niemand vorgeschlagen.

Der Michel Houellebecq im Film schimpft sehr auf Europa, spricht von Schweden als Diktatur und beklagt fehlende Meinungsfreiheit in Frankreich.
Es ist doch schon sehr bedenklich, dass wir in keiner wirklichen Demokratie leben. Auch Schweden ist dabei, eine Art Karikatur einer Demokratie zu werden. Diesen Zustand teilt es mit vielen anderen Ländern. Ich bin persönlich zum Beispiel nur selten in Dingen befragt worden, die mich unmittelbar betreffen. Sondern ich werde gebeten, meine Stimme einem Repräsentanten zu geben. Das letzte Mal als die Bevölkerung in Frankreich nach ihrer Sicht der Dinge gefragt wurde, ging es um den Vertrag von Lissabon. Die Mehrheit sagte Nein. Und die Regierung verabschiedete das Gesetz. Das zeigt doch wie gering die Regierung die Meinung der Bevölkerung schätzt.  

Sind Sie besorgt über die jüngsten Ausschreitungen auf Frankreichs Straßen?
Ich kann nicht sagen, dass ich besorgt wäre, aber ich denke, dass die Demonstrationen auf der Straße zeigen, dass sich viele durch die politischen Institutionen nicht repräsentiert fühlen.

Zurück zum Film: Was kann eine Kamera besser als ein Stift?
Kino ermöglicht eine visuelle Beschreibung deiner Umwelt. Aber ich gehe nicht oft ins Kino. Ich gehe nicht gerne aus dem Haus, sondern bleibe lieber zuhause. Doch der Film eröffnet grundsätzlich andere Möglichkeiten, beispielsweise, Dinge zu tun, die man ich echten Leben nicht machen würde.

Kann es vielleicht sein, dass Sie im Film genau das Bild des Michel Houellebecq zeichnen, dass die Öffentlichkeit eh schon von Ihnen hat. Dass Sie genau das bedienen: Houellebecq gleich depressiv, besoffen, mit autistischen Zügen?
Depressiv, besoffen und autistisch ist nichts Schlechtes. Diese Klischees sind Teil meiner selbst, Aspekte meiner Identität. So bin ich. Ich spiele aber insofern eine Rolle, als ich in einer fiktiven Situation interagiere. Mit Leuten, die ich zuvor nicht kannte. Würde ich in der Realität entführt werden, würde ich sicherlich anders reagieren. Aber es ist Fiktion: Die Handlungen stehen ja im Drehbuch. Im Übrigen: Man selbst zu sein, ist nicht besonders aufregend. Nach dem ich diesen Film gemacht habe, bin ich noch mehr davon überzeugt, dass eine Dokumentation über mich nicht wirklich interessant wäre. Im Vergleich zu Bernard-Henry Lévy wäre ich nie fähig, eine Autobiografie zu schreiben. Ich brauche immer fiktionale Elemente.

In ihrem letzten Roman „Karte und Gebiet“ haben Sie auch sich selbst auftreten lassen – und wurden am Ende von einem Lasercutter zerstückelt. Ist dass eine Form der Eigenliebe und wie amüsant ist es, den eigenen Tod zu beschreiben?
Ja, die Schneideszene war komisch, aber ich spreche auch da nicht über mich selbst. Ich schreibe über die Charaktere.

Wie würden Sie denn gerne sterben? In Schweden?
Morphin wäre gut.

Monsieur Houellebecq, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Timo Stein

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