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Literaturnobelpreis - Hauptsache, die Jury hat ihren Spaß

Kolumne: Zwischen den Zeilen. Die Jury des Nobelpreises hat den wohl größten Coup des Jahres gelandet. Sie hat einen Autor ausgezeichnet, den nicht nur niemand kennt, nein, den es schlicht nicht gibt

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Kein Murakami, kein Roth, kein Pynchon. Patrick Modiano machts. Ein scheuer Franzose bekommt den Literaturnobelpreis. Kennen Sie nicht? Muss wohl an Ihnen liegen. Ich kenne Modiano im Übrigen auch nicht. Nie gehört, nie gelesen. Kein Problem. Man wird uns schon erklären, warum die bisher international recht selten in Erscheinung getretene Ausnahmeerscheinung mit der weltweit höchsten literarischen Auszeichnung beehrt wird. Abwarten.

Im Übrigen gehört es nun wirklich zum guten Nobelpreis-Ton, in gesunder Regelmäßigkeit die großen amerikanischen Erzähler zu ignorieren.

Die Burschen vom Nobelpreiskomitee folgen hier dem Tatort-Prinzip. Es gewinnt die größte Unbekannte. Im Sonntagskrimi ist immer der der Mörder, der es im Grunde auf keinen Fall sein kann. Good old Gärtner oder gar Hausmeister werden heute nicht mehr zum Mörder gemacht. Wäre ja zu einfach. Im Fall des Literaturnobelpreises bedeutet das, just den zu wählen, den eh keiner kennt. Das erleichtert dann auch die Begründung, weil die dann sowieso kaum einer nachvollziehen kann.

Das Prozedere darf man sich im Ungefähren so vorstellen: Erst, wenn mindestens neun von zehn des mithilfe eines komplizierten Weltproporzverteilungsschlüssels auserwählten Testpublikums den vorgestellten Literaten aber so überhaupt nicht kennt, erst dann hat er beste Chancen, in die Endrunde der Unbekannten vorzustoßen.

Und weil selbst das die Jury mittlerweile langweilt, hat sie sich für dieses Jahr etwas ganz Besonderes ausgedacht: Sie hat jemanden zum Preisträger ernannt, den es schlicht nicht gibt. Ja, sorry Modiano, es gibt Sie nicht. Sie sind eine Laune des Nobelpreiskomitees. Eine Jury, die in diesem Jahr einmal mehr alles daran setzt, sich selbst abzuschaffen.

Ein echter Modiano
 

Mal ehrlich, die Juroren wissen doch genau, dass während der Bekanntgabe des Preisträgers die halbe Buchwelt auf der Frankfurter Buchmesse herumlümmelt. Dass sie zwischen Ständchen wuselt und bei Schnittchen und Prosecco auf die Bekanntgabe wartet, um fix ein paar einordnende Zeilen an die Daheimgeblieben zu schicken. Und was macht die Jury? Die erfindet einfach jemanden, um Panik ausbrechen zu lassen und die versammelte Buchbranche in den Wahnsinn zu treiben.

Die Humoristen vom Nobelpreiskomitee erfinden einfach einen „öffentlichkeitsscheuen“ Preisträger und lachen sich dann schlapp. Sie schauen sich in aller Ruhe an, wie Frankfurt ins Chaos stürzt, wie der routinierte Feuilletonist zwischen Mango-Lassi und Kürbis-Ingwer-Süppchen noch schnell das Frühwerk des unbekannten Autors lobt, um ja nicht in Verdacht zu geraten, nichtwissend zu sein. Auch das hat Tradition: Bloß nicht anmerken lassen, dass man noch nie, aber wirklich nie von XY gehört hat.

Und während sich die Jury noch schwindelig kichert, werden wir Zeuge wie unmittelbar nach der Bekanntgabe des Preisträgers die Messemeute den Siegerstand des Hanser-Verlags stürmt. Eine Trophäe muss her. Ein Buch des Preisträgers findet man dort aber nicht. „Haben Sie einen da?“, quietscht ein Journalist. O-Ton Verlagsdame: „ Äähm, nee. Wir haben aber auch nicht so viel Platz am Stand.“

Die Jury macht indes auf geheimnisvoll: Man habe dem frisch Gekürten die Nachricht noch nicht übermitteln können, er lebe zurückgezogen und könne telefonisch nicht erreicht werden. Ja, klar. Und während die ersten Juroren unter Lachkrämpfen abtransportiert werden müssen, schwappt die Ahnungslosigkeit auf die Redaktionen über: Modiwas, Modiwo, Modiwer? „In Kürze mehr…“, melden die Agenturen nach Bekanntgabe des Preisträgers. Auf den Onlineportalen folgen Sätze wie schlechte Horoskope: Modiano schreibe über Geschlechterbeziehungen und daraus resultierende Konflikte, zähle in Frankreich zu „den bedeutendsten Schriftstellern“ der Gegenwart und versuche „bei den Menschen und den Dingen die Schicht des Vergessens zu durchstoßen“. Ein derart scharfes Profil eines Schriftstellers wird so schnell wohl niemand mehr zeichnen.

Heute wurde dann der nächste Preis verliehen. Der Friedensnobelpreis. Es gewinnt eine Kinderrechtlerin: Die 17-jährige Malala Yousafzai aus Pakistan. Also, geht doch. Kailash Satyarthi aus Indien wird ebenfalls ausgezeichnet. Kennen Sie nicht? Muss wohl an Ihnen liegen.

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