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Berlinale - Houellebecq statt Clooney

Der Berlinale-Star George Clooney kann warten. Zu Gast beim französischen Schriftsteller und Kettenraucher Michel Houellebecq. Das Berlinale Tagebuch, Teil 3

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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George Clooney kam und alle waren da. Einen Blick wollten sie werfen, auf diesen Mann, dieses Lächeln. Der postmoderne Gentlemen, der wie kein Zweiter das cineastische Dandytum gentrifiziert. Als wäre dieses Filmfest eigens inszeniert worden, um diesen einen Mann nach Berlin zu locken. Clooney-Festspiele. Eine einzige Kulisse geschaffen für einen treu blickenden Nichtbartträger. Und während sich schlagartig Kaffeeschlangen aufzulösen beginnen, sich Menschengruppen zu einem marzipanartigen Clooneykollektiv verdichten und die Masse hollywooddarbend Richtung Konferenzsaal fließt, um auch ja einen Platz in der Pressekonferenz  zu Clooneys Wettbewerbsfilm „The Monuments Men“ zu ergattern, bewege ich mich zielsicher weg von diesem Fixpunkt. Clooney kann warten. Muss warten. Denn Michel Houellebecq ist in der Stadt.

Abseits des roten Teppichs fahre ich in den sechsten Stock eines Gebäudes am Potsdamer Platz. Ein unscheinbarer Zettel auf einer unscheinbaren Tür signalisiert mir, dass ich richtig bin. Die Tür öffnet sich. Ich begrüße die Agentin, bedanke mich artig für die Organisation und warte.

Einen Interviewtermin mit dem wohl populärsten und gleichwohl umstrittensten französischen Schriftsteller zu bekommen, erfordert vor allem eines: Geduld. Geduldig müssen Emails wohlmeinend formuliert werden. Geduldig darf dann auf hoffentlich ebenfalls wohlwollend formulierte Antworten gewartet werden. Diesen Akt gilt es dann zu wiederholen. Wieder und wieder. Wobei der Grad der Freundlichkeit des zu formulierenden Textes umgekehrt proportional zur Laune des Absenders steigen sollte.

Wie auch immer. Ich warte also. Ein karger Flur mit weißen Wänden. Grelles Licht. Stumpfer Bodenbelag. Gleich würde der Doktor mich aufrufen, gleich die Arzthelferin mein Röntgenbild bringen. Aber nein, es ist kein Arzt, der da grummelte im Nebenzimmer. Es ist Houellebecq. Ich warte also.

In Gedanken versuche ich mir das kommende Gespräch mit ihm vorzustellen. Ich gehe meine Fragen durch, überlege, ob ich ausnahmsweise einmal die schlüpfrigen zuerst abfeuere. Schließlich würde mir ja der Autor von „Elementarteilchen“ gegenübersitzen, ein gestandener Literat, der sich doch eigentlich für keinen schmutzigen Gedanken zu schade sein sollte. Die üblichen Kuschelfragen, die einzig dem Zweck dienen, das Gegenüber zunächst in Sicherheit zu wiegen und intellektuelle Unterwürfigkeit zu simulieren, um den Patienten dann im Anschluss aber so richtig bei den Eiern zu packen, konnte ich mir also schenken. Das Leben ist zu kurz für langweilige Fragen, sage ich mir und überarbeite mein Konzept. Und warte.

16 Uhr. Etwa 400 Meter von meinem Wartezimmer entfernt, stehen Clooney und Co. beim sogenannten Photocall im grellen Blitzlicht der Fotografen. Ich stelle mir vor wie sie in der Hoffnung ein perfektes Bild zu schießen, wild durcheinander seinen Namen rufen. Und wie Clooney sie alle weggrinst, die Kameralinsen beschlagen und Dieter K. kreischend seinen roten Bärchenschlüpfer auf die Bühne wirft. Schon ein ziemlich erstaunlicher Akt, so ein Photocall. Zunächst blickt man in entspannte, besonnene Gesichter, entspannt besonnener Fotografen. Ein Lachen. Ein Lächeln. Seichte Konversation. Dann: Tür auf. Promis werden vor die blaue Wand geschoben, die Fotografen springen auf und drücken ab. Rufen: Hierher, links, schau nach rechts, zu mir, die Augen hierher. In diesen zehn Minuten könnte neben ihnen ein Flugzeug landen. Sie würden es nicht hören.

Die Tür öffnet sich. Michel Houellebecq schleicht durch den Flur. Ich bin hellwach. Stehe auf und setze mich wieder. Die Geste der Assistentin, die zwei Finger an ihre kurzweilig gespitzten Lippen führt, signalisiert mir: Der Meister muss an die Luft, zum rauchen. Klar, denke ich und warte. Houellebecq ohne Kippe? Unvorstellbar. Ich stelle mir Michel beim rauchen vor. Wie abgebrüht er die angesteckte Kippe zwischen Mittel und Ringfinger parkt. Wie er nach einem kräftigen Zug den Rauch noch einmal in die oberen Wangen zieht, die sich aufblähen und sich seine Nasenlöcher weiten.

In dem Film „L`enlèvement de Michel Houellebecq“ (Entführung des Michel Houellebecq), von dem hier noch gar nicht die Rede war, der aber der eigentliche Grund für Houellebecqs Aufenthalt in Berlin, ja auf der Berlinale ist, raucht Michel Houellebecq gefühlte 200 Zigaretten. Houellebecq spielt darin, wie sollte es anders sein, sich selbst. Er wird also entführt und in ein Landhaus außerhalb von Paris gebracht. Die Kidnapper kümmern sich rührend um den absonderlichen Literaten, der wiederum die Geduld seiner Entführer stark strapaziert. Doch er bekommt alles, wonach er verlangt. Seinen Lieblingswein (ein spanischer wohlgemerkt), Bücher und Fatima, eine Prostituierte. Der Film spielt ganz wunderbar humorvoll mit dem Bild, dass von dem Schriftsteller in der Öffentlichkeit kursiert: ein einsamer, saufender Zyniker mit autistischen Zügen. Der Film zeichnet darüber hinaus aber auch einen liebevoll kauzigen Sonderling, der erst in vermeintlicher Isolation wirklich zu kommunizieren beginnt und Teil der Entführerfamilie wird. Es ist ein kluger Film über einen klugen Mann, der am Ende immer dann missverstanden wird, wenn er sein scharfes Schwert der Ironie zu führen beginnt.

Ich sitze bereits im Raum, in dem das Interview stattfinden soll. Und warte. Das Fenster ist gekippt. Straßenlärm dringt ein. Houellebecq schleicht ein. Der kleine hagere Mann versinkt in einem blauen Zweisitzer. Er spricht leise. Macht lange Pausen. Als würde jedes Wort das seinen Körper verlässt, mit großer Anstrengung verbunden sein. Ja, als würde er mit jedem Gedanken an körperlicher Substanz verlieren. Kann sich ein Mensch zu Tode denken? Wenn ja, dann ist Clooney sicher nicht gefährdet. Doch der Anticlooney sitzt mir gegenüber. Ein zerbrechliches Wesen, die Beine übereinander geschlagen, nervös am Schal spielend. Ein wenig scheu. Ein wenig zusammengesunken. Ein wenig deplatziert. Die Worte werden in Form gebracht. Geduldig. Houellebecq wirkt müde. Ist müde. Ein erschöpfter Mann, der seine Lebendigkeit einzig in seinem Blick konserviert. Und ich muss plötzlich an einen Satz von ihm denken, den ich in einem seiner Romane gelesen habe: „Die fehlende Lust am Leben reicht leider nicht aus, um sterben zu wollen.“

Das Interview mit Michel Houellebecq lesen Sie kommende Woche bei Cicero Online.

 

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