- Gehirnwäsche Marke Zuckerberg
Kolumne: Zwischen den Zeilen. Facebook hat sie alle eingelullt. Sogar Skeptiker des sozialen Netzwerkes sind mittlerweile dauerhafte Mitglieder. Das System Facebook ist das perfekte Medium unserer Zeit, weil es uns daran hindert, in unser Innerstes zu blicken
Ich habe meinen Frieden geschlossen. Mit Facebook. Diesem Apparat, der mich Tag für Tag treusinnig daran erinnert, wem ich alles nicht zum Geburtstag gratuliere. Danke dafür.
Schon komisch. Diese Selbstverständlichkeit, mit der im Laufe einer Facebooksozialisierung die Hemmschwelle sukzessive abschwillt. Beim Posten, beim Liken, beim Teilen. Gerade bei Menschen, die solchen Plattformen grundsätzlich eher skeptisch gegenüberstehen. Man konnte in den letzten Jahren regelrecht dabei zusehen, wie anfängliche Skeptiker schlussendlich alles wegzuliken begannen, was da vor die virtuelle Flinte kroch.
Facebook ist Kontrollverlust
Auch das ist Facebook: ein stetiger Prozess schleichender Enthemmung. Wer mit festen Vorsätzen hineingeht, wer sagt, ich befreunde mich nur mit echten Freunden, stelle nichts Privates hinein, verzichte auf Fotos, der wird feststellen, dass es nirgendwo einfacher ist, mit seinen Prinzipien zu brechen als auf Facebook. Es ist die permanente Versuchung, eben doch die Hoheit darüber zu verlieren, was doch eigentlich als schützenswert galt. Facebook ist geteilter Kontrollverlust. Meuchlings. Aber wirksam.
Systematisch hat es den onlinekulturpessimistischen Zweifler in die Netzwelt katapultiert und ihm gleichzeitig die besten Argumente an die Hand geben, das eigene Tun zu verteufeln. Was habe ich geschimpft über dieses Netzwerk. Gleichwohl muss ich mir eingestehen, dass ich so etwas wie Freude daran habe. Ja, ich freue mich. Über jeden Like. Und weil mir die Freude über etwas so Banales bewusst wird, schimpfe ich. Über mich. Gehirnwäsche Marke Zuckerberg. Aus Hassenden wurden Teilende. Zumindest bekamen die Hassenden mit Facebook die Möglichkeit, ihren Hass zu teilen.
Neben all den Hyperkommunikativen und Onlinejunkies fühlen sich längst auch jene wohl, die von Twitter nichts wissen wollen und Facebook als kleinstes zu akzeptierendes Übel, als ein Bisschen-mit-dabei-Sein, begreifen; als nützlichen Multiplikator, um einen Fuß in der heutigen Zeit zu haben. Zumindest ein bisschen halt. Facebook dient jenen als Ausweis zeitgemäßer Tauglichkeit bei gleichzeitiger Verspottung anderer Kanäle: Twitter?! Bloß nicht…
Und selbst jenen, die sich bewusst gegen Facebook entscheiden, verleiht Facebook ein ganz eigenes Profil. Weil es ihnen in der virtuellen Isolation die Möglichkeit verschafft, sich als Individualist zu fühlen. Nicht dabei zu sein, ist auch eine Art tag. Ein dislike der anderen Art. Auch dafür müsste man Facebook danken.
Wenn ich an den Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg denke, wie er da in Menlo Park im Silicon Valley seine Arbeitsstadt errichtet hat, diesen Wohlfühlcampus, auf dem die Mitarbeiter lesen, sonnenbaden, speisen, in Gruppenräumen fantasieren – ohne feste Arbeitszeiten; wie Zuckerberg seine Angestellten in dieser vermeintlich watteweichen Disneywelt dazu verführt, ihr Leben permanent in Arbeit zu verbringen, dann muss ich an die Romanfigur Mr. Polly denken – einen notorischen Griesgram und an den einen entscheiden Satz, den sein Erfinder H.G.Wells über ihn notierte:
„Da es ihm nicht gegeben war, in sein Inneres zu blicken, übertrug er seine Beschwerden auf die Welt.“
Auch Zuckerberg hat uns seine Beschwerden aufgedrückt, seine Idee von einer total vernetzten Welt. Er hat dieses Netz einfach in die Welt geworfen. Ein Netz, unter dem sich die Trennung zwischen privat und öffentlich, zwischen Arbeit und Freizeit aufzulösen beginnt. Insofern ist Facebook vielleicht das wirkmächtigste aller Instrumente, mit denen sich die Arbeit nahezu total und spielerisch in den hintersten Winkel des Menschen tragen lässt. Facebook hat verändert. Wir haben uns verändert. Kein Zweifel.
Eine Freundschaft für 14 Cent
Vor drei Jahren erfand ich ein zweites Ich. Mein zweites Ich. Ich hörte von der Möglichkeit, sich Facebookfreunde zu kaufen. Das Thema interessierte mich. Ich begann zu recherchieren, legte mir ein Fake-Profil an und machte ein Unternehmen ausfindig, dass mir 50 Facebookfreundschaften verkaufte. Für rund 14 Cent das Stück. (Wie sich Freunde kaufen lassen, die gar nicht wissen, dass sie gekauft werden, soll jetzt nicht Thema sein. Sie können es hier nachlesen.)
Seither ruhte das Profil. Nach drei Jahren habe ich zufällig mal wieder reingeschaut und musste feststellen, dass dieses tote Profil unter dem Pseudonym Simon Tanner nicht nur weiter existierte, sondern dass darin auch so etwas wie Kommunikation stattfand. Nancy M., Manuel H. und Marcel P. hatten Simon Tanner doch tatsächlich zum Geburtstag gratuliert und eine Nachricht an seiner Pinnwand hinterlassen. Bereits im letzten Jahr wurde dem guten Simon fleißig gratuliert. Ein liebliches „Alles Gute zum Burzeltag :-)“ klebt noch immer frisch und unberührt an Simon Tanners Profil.
Ich hatte ihn längst vergessen, diesen Simon T. Aber das Netz vergisst nicht. Facebook schon gar nicht. Nach drei stillen Jahren gab es sie noch immer: Die Kommunikation mit dem Nichts. Kommunikation im Nirgendwo.
Mehr noch: Simon Tanner hat sogar neue Freundschaftsanfragen erhalten. Simon führte ein Eigenleben zumindest im virtuellen Bewusstsein anderer. Simon Tanner ist das regungslose nicht-postende Objekt im grotesken Orbit des world wide web, das noch immer angesteuert wird. Vermutlich aus einem Antrieb heraus, der dann irgendwie auch typisch für Facebook ist. Es geht darum, Spuren zu hinterlassen – um jeden Preis. Ein Like, eine flüchtige Nachricht gegen das Vergessen. Die Existenz des anderen spielt vordergründig kaum eine Rolle, weil es darum geht, (über Bande) die eigene Existenz zu sichern, zu signalisieren: es gibt mich, ich belohne, um belohnt zu werden. Like mich. Vergiss mich nicht.
Erinnern wir uns an den Satz von Wells:
„Da es ihm nicht gegeben war, in sein Inneres zu blicken, übertrug er seine Beschwerden auf die Welt.“
Weil wir es verlernt haben, in unser Innerstes zu blicken, blicken wir lieber über andere auf uns. Facebook ist das perfekte Medium dafür. Wir blicken auf die Hülle dessen, was jeder selbst von sich erblicken möchte. Wir blicken uns an. Und sehen nichts. Außer uns selbst. Mit vielen roten Einsen. Hoffentlich.
Ja, ich habe meinen Frieden geschlossen. Mit Facebook.
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