- Israel hat keine Schuld am Antisemitismus
Kolumne: Zwischen den Zeilen. Alles bloß Hysterie? Schluss mit der Antisemitismuskeule? Der aufflammende Hass gegen Israel, gegen die Juden, sei Folge der Bombardierung Gazas, hört man immer wieder. Aber: Der Nahostkonflikt ist nicht Schuld am Antisemitismus. Das kann man dieser Tage gar nicht oft genug sagen
Wie sich die Bilder gleichen. In Deutschlands Städten, in Köln, Essen, Stuttgart, Duisburg und Berlin gehen propalästinensische Sympathisanten auf die Straße. Sie skandieren „Kindermörder Israel“, „Judenschweine“ und führen Plakate, auf denen „Zionismus ist Rassismus“ zu lesen ist. Gottesbezüge à la „Allahu Akbar“ oder weltliche Stücke wie die „Internationale“ werden intoniert. Ein absonderliches Klima. In Wuppertal werden Molotowcocktails auf eine Synagoge geworfen. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, rät daraufhin Juden, sich nicht als jüdisch zu erkennen zu geben.
Antizionismus als ideologisches Bindeglied
Beständig finden auf sogenannten Friedensdemos Linke, Rechte, Anhänger der Querfrontbewegung und Islamisten in Israel ihren gemeinsamen Feind, ihren kleinsten gemeinsamen Nenner. In diesen Tagen wird deutlich, wie anschlussfähig sich die hierzulande seit Jahren blühende und sehr einseitige „Israelkritik“ für offenen Antisemitismus zeigt. Wie sehr gerade auch der religiös-gefärbte Antisemitismus unter Muslimen den Ton angibt. Kurzum: Der Antisemitismus hat endgültig seine antizionistische Tarnung verloren.
Bestand die antizionistische Argumentation beharrlich darauf, dass nicht die Juden, sondern die Zionisten kritisiert würden, zeigt sich auf den Demonstrationen und in Kommentarspalten, wie schnell die antizionistische Rhetorik aus den Zionisten Juden macht. Wie schnell Protestler Israel Rassismus vorwerfen, zum Boykott gegen israelische Waren aufrufen, die israelische Politik mit dem Nationalsozialismus gleichsetzen, während gleichzeitig antisemitische, terroristische Organisationen wie Hamas oder Hisbollah verharmlost werden.
Wie das Gewitter in der Wolke verberge sich der Antisemitismus im Antizionismus, schrieb einst Jean Améry. Mittlerweile entlädt er sich offenkundig und global. Wir erleben „eine hoch emotionale Welle von Judenfeindschaft projiziert auf Israel“, sagt auch die Linguistin und Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel. Nahost ist mal wieder der Anlass, aber nicht die Ursache. Schlimm genug, dass man wieder und wieder daran erinnern muss, dass der Antisemitismus älter ist als der israelische Staat.
Antisemitismus keine Folge israelischer Politik
Die Ausbreitung des Antisemitismus in Europa und der arabischen Welt ist mitnichten eine Folge des Nahostkonfliktes. Die Wut auf Israel ist größtenteils ideologiegespeist. Der Antisemitismus im arabischen Raum, seine radikalste Form in Gestalt terroristischer Organisationen wie Hamas oder Hisbollah, sind keine Folgen israelischer Politik. Wer glaubt, Israel müsse nur seine Politik ändern, seine Siedler zurückpfeifen (in Gaza gibt es im Übrigen gar keine) oder die Gaza-Blockade aufheben, dann würde Friede einkehren sowie Gewalt und Antisemitismus verschwinden, hat das Wesen des Antisemitismus nicht verstanden. Dieses zweitausendjährige Phänomen braucht kein Bezugsfeld. Oder mit den Worten Isaiah Berlins gesprochen: „Antisemitismus ist, wenn man die Juden mehr hasst als unbedingt nötig.“
Wieso richtet sich der Zorn nicht gegen die arabischen Eliten in den umliegenden Ländern, die zuschauen, die das Leid der Palästinenser instrumentalisieren, um ihr Feindbild Israel nicht zu verlieren. Oder gegen Ägypten, das ebenfalls die Grenze zu Gaza abriegelt? Oder gegen die Hamas, deren Terroraktionen nachweislich gegen Völkerrecht verstoßen, die ihre Raketen mit ihrer Bevölkerung schützt, der es nicht um Frieden, sondern um die Vernichtung des jüdischen Staates geht, ganz offen und für alle nachlesbar. Solange die Existenz Israels von seinen Gegnern in Frage gestellt wird, solange existiert keine Grundlage für einen dauerhaften Frieden. Das hat Israel nun wirklich exklusiv. Es ist wohl im Jahre 2014 das einzige Land, dessen Existenz zur ständigen Disposition steht. Als ob sich alle Konflikte in Nahost mit einem Schlag in Luft auflösen, sobald sich Israel in Luft auflöst.
Es sind Stimmen, wie die des Nahostexperten Jürgen Todenhöfer, die den Konflikt mit Argumenten aus dem vergangenen Jahrhundert anheizen. Eine Argumentation, die so harmlos daherkommt: Israel sei eine europäische Kolonie auf arabischem Boden, erzählt er bei Anne Will. Genau das ist die Logik, die diesen Konflikt bis heute bestimmt. Die Kategorie „geraubtes Land“, die der ehemalige CDU-Politiker immer wieder aufmacht, erinnert an eine völkische Blut-und-Boden-Philosophie. „Wenn sie die Schuldfrage stellen“, entgegnet Todenhöfer „würde ich als allererstes die Nazis und Hitler nennen.“ Hitler sei Schuld am Problem. Am Problem Israel – weil er den Arabern durch seine Vernichtungspolitik die Juden ins Land getrieben hat. Wer so argumentiert, wer Israel zum Räuber macht, zum ewigen Stachel im arabischen Fleisch, zum Problem, das man den Nazis zu verdanken habe, der kann in letzter Konsequenz gar nicht anders, als Israel das Recht auf Existenz abzusprechen.
Die falsche Solidarität
Der Konflikt im Nahen Osten ist lange schon kein Konflikt um Land und Gebiet mehr. Dahinter verbirgt sich vielmehr ein ideologischer Kampf um Werte, den richtigen Glauben, ja, um den Umgang mit der Moderne generell. Antisemiten sehen in Israel die verhassten Zionisten/Juden und imperialen Vorposten des ungläubigen Westens.
Doch alle Jahre wieder folgt auf die Krise in Nahost das friedenspolitische Nahostparadox: Menschen, die sich in der Tradition des Humanismus und der Menschenrechte glauben, verteidigen Antidemokraten und Hassprediger. Wo sind die Massen, die Solidarität mit Israel, mit den demokratischen Kräften in Gaza fordern? Wann endlich richtet sich der Protest ausschließlich gegen die Politik Israels und nicht gegen Israel selbst?
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