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Große Koalition - Karius und Baktus im Kalten Krieg

Die SPD hat den Doppelpass, den Mindestlohn, die Frauenquote. Die CSU die Maut. Doch was macht eigentlich Angela Merkel?

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Ich habe es nie verstanden. Wie und warum dieser Jens diesen kleinen lustigen Gestalten da in seinem Mund einfach die süßen Köstlichkeiten vorenthalten konnte. Jens, Jeeeeens Butterkuchen, riefen sie. Und was macht Jens? Er schrubbt sie einfach weg, geht schließlich zum Zahnarzt und lässt sich die frivol-fleißigen Untermieter einfach aus dem Munde spülen. Als ich diese Geschichte von Karius und Baktus im fortgeschrittenen Milchzahnalter hörte, wollte ich nie wieder Zähne putzen, weil die Bürste die bezaubernden Häuser und mühsam renovierten Ferienwohnungen auch im hintersten Backenzahn auf ganz fiese Art und Weise zerstörte.

Selbst das Böse, erst recht, wenn es verniedlichend daher kommt, wird, lernen wir es näher kennen, irgendwann liebreizend. Das auf den ersten Blick Abzulehnende wird bei näherer und vor allem dauerhafter Betrachtung zum Gewohnten und schließlich zum Bekannten. Und das wollen wir dann nicht mehr missen. Die Psychologie hat sicher einen Namen dafür. Sperrt man zwei unterschiedliche Menschen lange genug in einen Raum, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Sie verlieben sich ineinander oder bringen sich gegenseitig um. Gleichwohl Letzteres im Übrigen auch ein Ausdruck von Liebe sein kann.

In der Politik verhält es sich ganz ähnlich. Zurzeit lässt sich mit Blick auf Angela Merkels CDU eine Art Karius-und-Baktus-Effekt beobachten. Wir lieben sie, obwohl wir es doch eigentlich besser wissen müssten. Zumindest glauben wir das. Das Bekenntnis zu Angela Merkel ist ein Bekenntnis im Geheimen. Wir kritisieren sie, stehen mitunter fassungslos vor dieser kafkaesken Rauten-Symbolik, und doch lieben wir sie. Solange es uns gut geht, dulden wir.

Und wie unter einem Brennglas offenbart sich gerade jetzt in den Koalitionsgesprächen das, was wir doch alle längst wussten: Merkels CDU hat thematisch nichts, aber auch gar nichts zu bieten. Die Themen, die da in den Koalitionsring geworfen und über die allenthalben Wasserstandsmeldungen abgegeben werden, sind fast ausschließlich SPD-Themen: Doppelpass, Frauenquote, Mindestlohn. Als sei die CDU einzig dazu da, SPD-Politik abzuschleifen und Sozialdemokratie in christdemokratische Häppchen zu zerlegen.

Unterdessen bewirbt sich die Kanzlerin für die berühmte letzte Seite im Magazin Stern: Was macht eigentlich…? Ja, was macht sie eigentlich? Das, was sie immer macht, abwarten, nicht festlegen, im Hintergrund bleiben. Niemand spürt so richtig, dass wir momentan gar keine Regierung haben. Nahezu geräuschlos hat sich das Regieren in ein Verwalten gekehrt. An der Spitze die Administrationschefin Angela. Man muss hier gar nicht die Theorie der Postdemokratie bemühen, um zu merken, dass sich das Politische aus der Politik zurückgezogen hat. Und Angela Merkel passgenau in diese parteimüden Zeiten passt.

Und trotzdem würden wir sie wieder wählen. Trotzdem ist Merkel beliebt wie nie. Weil wir uns daran gewöhnt haben, weil wir konfliktscheu sind, weil Karius und Baktus in Wahrheit herzensgute kleine Kerlchen sind.

Die Themen setzten derweil andere: SPD und die Maut-CSU. Merkel ruht, bleibt präsidial und versucht die sich widerstrebenden Fliehkräfte in den Koalitionsrunden in ein Gleichgewicht des Schreckens zu bringen. Merkel lässt die Männer streiten. Mal wieder. Doch kann das auf Dauer gut gehen?

Im Kalten Krieg trug, zumindest in der Theorie, das sogenannte Nash-Gleichgewicht dafür Sorge, das Anreizsystem so auszugestalten, dass erbitterte Gegner sich auf ein beiderseits befriedigendes Gleichgewicht hin bewegen können. Im bipolaren System der nuklearen Abschreckung hat es funktioniert. Doch West und Ost, USA und Sowjetunion sind nicht CSU und SPD, sind nicht Gabriel und Seehofer. Mit dem eruptiven Sigmar oder dem wankelmütigen Horst ist wohl ein auf rationales Verhalten hin ausgerichtetes System nur schwerlich zu machen. Im Übrigen war der Namensgeber der Abschreckungstheorie, John Nash, der Superrationalist also, der personifizierte Widerspruch. Er hörte Stimmen, wurde für ungebührliches Verhalten auf einer Herrentoilette festgenommen und ließ sich schließlich wegen Schizophrenie in einer Nervenheilanstalt behandeln.

Zumindest das ist bei Angela Merkel nicht zu befürchten. Ihre Ratio ist glaubwürdig bis ins Mark. Wenn also Seehofer oder Gabriel das System nicht zum Platzen bringen, dann bleiben ja immer noch die SPD-Mitglieder. Die haben gerade zwar nicht die elektrische Zahnbürste benutzt, aber putzen können sie, wie gerade auf dem SPD-Parteitag bewiesen. Bleibt abzuwarten, ob es am Ende der SPD-Jens ist, der die Republik mal wieder so richtig durchschrubbt.

 

 

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