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Die Aura des Außenamtes

El Masri-Entführung, CIA-Gefängnisse, BND-Enthüllungen – selten stand ein Außenminister so sehr in der Kritik wie Frank-Walter Steinmeier. Und dennoch hat er die Geschichte auf seiner Seite.

Nicht ein Außenministerium, sondern das Auswärtige Amt organisiert die internationalen Beziehungen Deutschlands. Der Name ist nicht ohne Bedeutung. Das „AA“ hat eine längere Geschichte, mit kräftigen bismarckschen Wurzeln, vor allem aber ein stärkeres Traditionsbewusstsein als alle anderen Ministerien. Hinzu kommen der mondäne Charakter und geheimnisumwitterte Nimbus des diplomatischen Dienstes. Und eine weitere Besonderheit: Kein anderer Minister saß und sitzt so fest im Sessel wie die Hausherren in der Wilhelmstraße, der Adenauerallee und nun am Werderschen Markt. Zwischen 1862 und 1918 leistete sich Preußen lediglich acht Außenminister – de facto Leiter der Außenpolitik des Reiches. Drei davon im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges. Die notorisch instabile Weimarer Republik brauchte weniger Außenminister als Reichskanzler. In der politischen Chronik der Bundesrepublik stehen nach immerhin 57 Jahren nur neun Außenminister, nicht mehr als Bundespräsidenten. Kaum verwunderlich also, dass die Rekordhalter unter den Ministern aus dem AA stammen: Otto von Bismarck prägte 28 Jahre lang die Außenpolitik Preußens und des Kaiserreichs, Gustav Stresemann blieb sechs Jahre und über mehrere instabile Weimarer Regierungen hinweg Leiter des Amtes und Hans-Dietrich Genscher hält mit 14 Jahren die Bestmarke unter allen Ministern der Bundesrepublik. Zufällig ist die Beharrungskraft der Chefs des Auswärtigen Amtes nicht. Der Außenminister hat im Kampf um das politische Überleben eine Reihe von Trümpfen in der Hand, die seinen Kabinettskollegen fehlen. Zunächst die Sichtbarkeit: Der Herr über das Protokoll braucht sich um das Interesse der Medien nicht zu sorgen. Zweitens der Korpsgeist: Kein Ministerium hat über tiefe historische Brüche hinweg seine personelle Identität so stark bewahrt wie das Außenamt. Im prestigeträchtigen AA sammelt sich die Elite der Beamten bei äußerst geringer Fluktuation. Durchstecher und Quertreiber sind daher selten. Drittens: Der Außenminister verfügt über ein weltweites Informationssystem und beispiellos effiziente Planungsstäbe. Vom Beginn an wurde das Amt als Machtzentrum jenseits der Regierungsspitze organisiert, zunächst gegen den Kaiser, in der Bundesrepublik dann als Domäne des kleineren Koalitionspartners. Alle Juniorpartner, von der SPD bis zu den Grünen, haben ihr Aushängeschild daher entschieden geschützt und unterstützt. Am wichtigsten aber ist ein letzter Punkt: Der Außenminister repräsentiert Deutschland in der Welt. Wenn er die politische Bühne verlässt, hat dies nicht nur innenpolitische Auswirkungen, sondern wird international registriert. Im Extremfall können dann nationale Ehre und persönliches Schicksal eine für den Amtsträger überlebenswichtige Verbindung eingehen. In der Summe führen diese Spezifika zu einer kaum jemals widerlegten Regel: Der Außenminister tritt nicht zurück, er scheidet aus dem Amt, wenn es die politischen Kräfteverhältnisse erfordern. Genscher ‚diente‘ unter einer CDU- wie einer SPD-Regierung und ging zwar vorzeitig, aber lautlos. Joschka Fischers Turbulenzen kurz vor dem Machtverlust seiner Partei hat mit Hybris zu tun. Aber selbst die Visa-Affäre zerschellte an Beliebtheit und Amtsbonus des Grünen-Ministers, an der Aura des Amtes. Um einen Außenminister zu finden, den politische Verfehlungen in folgenreiche Bedrängnis brachten, muss man ein Jahrhundert zurückgehen. Im November 1908 verstrickte sich Fürst Bernhard von Bülow unentwirrbar in die so genannte Daily-Telegraph-Affäre, den größten Polit-Skandal des Kaiserreichs. Wilhelm II. hatte in der englischen Zeitung allzu freigiebig diplomatische und militärische Interna preisgegeben. Das Auswärtige Amt, für das Bülow als Reichskanzler und preußischer Außenminister die Verantwortung trug, hatte das delikate Manuskript passieren lassen und rückte daher über Wochen in den Mittelpunkt extremer Medienkritik. Gegen die historische Wahrheit gelang es Bülow allerdings zu vermitteln, er habe den Text nie gelesen und den Kaiser sowie inkompetente subalterne Beamte als Sündenböcke zu präsentieren. Damit brachte er die Öffentlichkeit auf seine Seite und den Kaiser an den Rand der Abdankung. Der indignierte Kaiser fürchtete hingegen, das Ausland würde die Entlassung des Spitzenpolitikers als Zeichen der Schwäche deuten und ließ den Repräsentanten wilhelminischer Weltpolitik im Amt. Ein halbes Jahr später musste Bülow dennoch gehen. Die parlamentarische Unterstützung war dem Kanzler abhanden gekommen, das kaiserliche Misstrauen geblieben. Der verspätete und nicht im Kontext der Affäre erfolgte Rücktritt bestätigt wiederum die Regel. Der so effiziente wie unsichtbare Apparat, der selbstlos die Schuld an Verfehlungen auf sich nimmt, sowie das öffentliche Standing des Amtes bilden die Lebensversicherung des Außenministers. Allerdings: Heute werden die „wenig glitzernden Seiten der Macht“, wie es in einem treffenden Bild Frank-Walter Steinmeiers heißt, sichtbar. Apparat und Amtsinhaber verschmelzen in der Person des allwissenden ehemaligen Kanzleramtschefs. Das vermeintliche Nichtwissen eines Bülows wird nun logisch unmöglich. Es scheint, eine lange gültige Regel könnte außer Kraft gesetzt werden. Martin Kohlrausch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Warschau. Zuletzt erschien von ihm „Der Monarch im Skandal“ im Akademie Verlag Berlin

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