- Generalbundesanwalt verweigerte Snowden-Befragung
Generalbundesanwalt Harald Range wollte selbst keinen Kontakt zu Edward Snowden aufnehmen. Hatte die Bundesregierung, hatte Justizminister Heiko Maas hier Druck ausgeübt? Ein Kommentar
Was haben sie nicht über Ronald Pofalla gelacht. Als der Ex-Kanzleramtschef im vergangenen August die NSA-Affäre für beendet erklärte, haben sie ihn im Internet Bärtchen angemalt, eine Schildkröte auf die Nase geklebt und ihm einen Salatkopf auf den Kragen gepflanzt. Der Blog pofallabeendetdinge.de sammelte die Spott- Zitate und Witzbilder. Der digitale Protest hatte Wirkung: Pofalla schlich sich aus dem Amt; und als die Große Koalition sich konstituierte, trauerte ihm niemand mehr nach.
Hätte sich Harald Range mal an diese Aktion erinnert. Der Generalbundesanwalt hat in dieser Woche zwar nichts beendet. Es ist viel schlimmer: Er hat nicht einmal angefangen. Seine Behörde wird keine Ermittlungen gegen die NSA oder den britischen Geheimdienst GCHQ aufnehmen, wie Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR berichten. Er wird nicht einmal juristisch gegen das heimliche Abhören von Angela Merkels Handy vorgehen.
Schlimmer noch: Range hat sich gar nicht erst um Aufklärung bei Edward Snowden bemüht. Das geht aus einer Stellungnahme, die Cicero Online vorliegt, hervor.
NSA-Chefs hätten vor die Bundesanwaltschaft zitiert werden können
Dabei hätte Range die NSA-Chefs Michael Hayden und Keith Alexander anklagen können. Eine ladungsfähige Anschrift gibt es sogar – die National Security Agency, Fort Meade, US-Bundesstaat Maryland. Doch daraus wird nichts. Es fehle an Zeugen und Dokumenten, lautet die offizielle Begründung des Generalbundesanwalts. Diese Begründung hatte er gegenüber Cicero Online bereits vor einem halben Jahr vorgebracht: Es fehlten Informationen und belastbare Beweismittel.
In den Ohren der Bürger dürfte eine solche Erklärung nicht weniger höhnisch klingen als jene Pofallas vom letzten Sommer. Sie fragen sich zu Recht: Was haben die Juristen der Bundesanwaltschaft eigentlich ein Jahr lang gemacht?
Immerhin hat Range zweimal kurz den Finger krumm gemacht: Im Juni 2013, als die ersten Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden bekannt wurden, und im Oktober, als die Affäre um das Kanzlerinnenhandy schwelte. Da hatte Range, der zwischenzeitlich die NSA mit der NASA verwechselte, jeweils einen sogenannten „Beobachtungsvorgang“ angelegt.
Mehr als Beobachten (zum Beispiel: Tun) war aber offenbar nicht drin. Auch keine Befragung Snowdens. In einer schriftlichen Mitteilung erklärte der Generalbundesanwalt: „Gegenwärtig prüfe ich, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, welche die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gebieten. Für die Durchführung von Ermittlungen im Sinne der §§ 160ff StPO, namentlich die Vernehmung von Zeugen, ist daher kein Raum.“
In anderen Worten: Range lehnte die Zeugenvernehmung von Edward Snowden ab, weil er diesen Schritt als zu früh empfand. Stattdessen erklärte er, Snowden sei „indes nicht gehindert“, sich zu äußern. „Er mag Informationen, insbesondere Tatsachen zu den öffentlich erhobenen Vorwürfen übermitteln.“ Hier nimmt der Generalbundesanwalt eine komplette Umkehrung der Aufgaben vor: Anstatt sich selbst um eine Gewinnung von Informationen zu bemühen, erwartet er von anderen, ihm diese auf dem Tablett zu servieren. Weiter hieß es aus dem Schreiben: „Auch mag [Snowden] Journalisten, denen er nach eigenem Bekunden belastbare Dokumente/Datenbestände überlassen hat, dazu bewegen, diese dem Generalbundesanwalt unmittelbar vorzulegen.“
Viele Snowden-Dokumente bereits veröffentlicht
Dabei haben diese ihre Dokumente teilweise längst veröffentlicht: Glenn Greenwald, der Journalist, der Snowden in Hong Kong traf, hat alle Akten, aus denen er in seinem Buch „Die globale Überwachung“ zitiert, auf seine Webseite gestellt. Zwar ist das nur ein kleiner Ausschnitt aus dem gesamten Material. Aber die Bundesanwaltschaft hätte dort durchaus mal surfen können. Range hat auch nicht den Journalisten Jacob Appelbaum kontaktiert, der Merkels Handynummer in Snowdens Datensatz gefunden hat. Der Generalbundesanwalt hätte sich aber auch jenen Zeugen, die dem Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Rede stehen, nähern können.
Eine NSA-Ermittlung gerade jetzt abzusagen, ist insbesondere deshalb absurd, weil der parlamentarische Untersuchungsausschuss ernsthaft eine Befragung Snowdens erwägt. Dem „Stern“ hat der Whistleblower verraten, dass er beim US-Geheimdienst intensiv mit Deutschland befasst war. Snowden könnte hierzulande also noch einiges zur Aufklärung beitragen.
Vor einem halben Jahr hatte man der Generalbundesanwaltschaft mangelnde Informationen als Begründung, nicht zu ermitteln, vielleicht noch durchgehen lassen. Heute ist diese Rechtfertigung nur als eines zu bezeichnen: als glatte Lüge.
Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele glaubt sogar, die Behörde habe unter politischem Druck gestanden. Die Bunderegierung blockiert eine Aufklärung in der NSA-Affäre; sie ist auch nicht daran interessiert, die guten Beziehungen zu den USA zu gefährden. Ströbele will nun Justizminister Heiko Maas (SPD) vor den Ausschuss zitieren, um ihn über eine mögliche Einflussnahme auf die Bundesanwaltschaft auszufragen. Maas selbst weist diesen Vorwurf von sich. Zudem hieß es, auch Kanzlerin Merkel wollte nichts mit der Sache zu tun haben.
Wie auch immer man es dreht: Ist an den Vorwürfen politischen Drucks nichts dran, dann wäre Harald Range faul oder feige. So jemand wäre als Generalbundesanwalt nur noch schwer haltbar. Da das für einen Mann in dieser juristischen Spitzenposition nur schwer vorstellbar ist, liegt die andere Erklärung näher. Erhärten sich die Vorwürfe jedoch, wäre das ein echter Skandal. Dann wäre die Unabhängigkeit von Staatsanwaltschaften in diesem Land keinen Pfifferling wert.
Update vom 4.6.2014: Generalbundesanwalt Harald Range ermittelt nach Medienberichten nun doch wegen der Ausspähung von Merkels Handy. Eine Anfrage von Cicero Online dazu hatte die Behörde am Freitag unbeantwortet gelassen. Am Dienstag hieß es gegenüber diesem Magazin, der Gerneralbundesanwalt werde alsbald seine Entscheidung bekannt geben und die Öffentlichkeit informieren. Indes wies Bundesjustizminister Heiko Maas eine politische Einflussnahme auf die Bundesanwaltschaft am Mittwoch im Deutschlandfunk zurück.
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