Die Ukrainerin Kateryna liegt lächelnd im Bett
Die Algorithmen der Übersetzungsapp verstehen Katerynas ukrainisch gefärbtes Russisch nicht so gut / Mathias Brodkorb

Gebrauchsanweisung Deutschland, Teil II - Deutsche Bürokratie im Schnellkurs

Wer den hiesigen Behördendschungel verstehen will, der lese entweder Franz Kafka oder er lerne den Amtsschimmel mit den Augen von Fremden zu sehen. Unserem Kolumnisten war Letzteres vergönnt. Was Deutsche in Jahrzehnten lernen, verdichtet sich für ukrainische Flüchtlinge auf wenige Wochen und Monate: Steueridentifikationsnummer, Meldebescheinigung, Rundfunkbeitrag, Fiktionsbescheinigung und und und – und das alles in einem Deutsch, das selbst Muttersprachler kaum verstehen.

Porträt Mathias Brodkorb

Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Bei diesem Artikel handelt es sich um den zweiten Teil einer Reihe über den Behördendschungel Deutschland. Lesen Sie hier den ersten Teil von Mathias Brodkorbs Erfahrungsbericht.

Bevor Tetiana und Sofi im Sommer nach Odessa reisten, hatten wir ein paar Schwierigkeiten miteinander. Die russische Armee begann damit, auch Odessa unter Beschuss zu nehmen. Ob sie unter diesen Umständen wirklich nach Odessa reisen – und vor allem – auch Sofi mitnehmen wolle, fragte ich sie. Wenn sie ihre Tochter in Deutschland ließe und etwas Schlimmes passierte, könnte sie sich jedenfalls auf eines verlassen: dass ihre Tochter ein neues Zuhause hätte.

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Dorothee Sehrt-Irrek | So., 9. Oktober 2022 - 12:20

helfen, Herr Brodkorb.
Wir hatten nur einmal während der Schulzeit eines Kindes für eine Nacht eine russische Schülerin zu Gast.
Als sie kam, sagte ich aus Versehen "Auf Wiedersehen" auf Russisch zu ihr.
Zum Tee stand ein Zuckerstreuer auf dem Tisch. Sie schraubte vorsichtig den Deckel ab und schüttete sich Zucker in den Tee.
Der kurze Besuch hat uns große
Freude bereitet und eine noch viel größere Freude Ihrerseits entnehme ich Ihrem Bericht, Herr Brodkorb.
Das bürokratische System kann man sicher stärker auf Migrations- oder Flüchtlingsbelange hin spezifizieren.
Ich bin noch nicht sofort bei Ihnen, dass wir dies dem Föderalismus anlasten müssen.
Da mögen bei zentralistischen Systemen an anderer Stelle Probleme auftauchen.
Komplexe Sachverhalte plus Beamtendeutsch bereiten auch mir nicht selten Schwierigkeiten.
Vielleicht sind da Vereinfachungen in Richtung gesprochene Sprache möglich.
Es handelt sich aber auch um das Verwalten von Steuergeldern, ansonsten schreiben sie sehr lebendig.

Tomas Poth | So., 9. Oktober 2022 - 12:23

OK, Zwangshilferitis hört sich im ersten Moment sehr unfreundlich an.
Man stelle sich vor hundettausende von uns flüchten vor irgendeiner Not in ein Land mit völlig fremder Sprache und Schriftbild.
Welche Hürden bauen sich dort allein durch Sprache und Schrift auf, um sich gegenseitig zu verständigen!
Die Erwartungen und Ansprüche an das Land in das wir flüchten sind hoch, denn dieses Land hatte sich vor langer Zeit durch sein Handeln gegenüber seinen Nachbarländern sehr ins Unrecht gesetzt, und hat nun das Ziel alle "Schuld" durch seine Nachfolgegenerationen in der Welt durch Rettung und Heilung aller Unbilden für alle anderen auszugleichen.
Vom Saulus nicht nur zum Paulus, sondern übergöttlich alles auszugleichen was Gott geschaffen hat.
Ok, etwas sehr zugespitzt, aber wie soll das gehen, neben den hundert Sprachen oder mehr, die in Bild und Schrift von der Landesverwaltung vorgehalten werden müßten, um allen aufs äußerste gerecht zu werden?
Tja, und dennoch fand Krystina Hilfe!

Jens Böhme | So., 9. Oktober 2022 - 12:54

Das Bunteste in diesem Staat ist die Knete im Gehirn des Systems.

Erst mal, genau auf den Punkt.
Danke.
Meine Kindern im Kindergarten, fanden das breit hauen der Knete, mit ihren Fäusten ganz berauschend, als die Knete weich war, wurde natürlich ganz wild drauflos geknetet.
Wie ich hier auch mehrmals erwähnt hatte, es hat sich seit dem Mittelalter nichts geändert!
Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare, aber die Dollar - Zeichen, in den Augen, der vermeintlich Mächtigen, fangen auch schon an zu verblassen.
Gierig nach Macht und Euronen, sind auf ihren Gesichtern schon eingebrannt.
Und ihre Lügengeschichten und Heucheleien, werden wir ihnen niemals verzeihen.
Ich höre, gerade, UB - 40, zurück zu führen, auf den Arbeitslosen - Antrag in England !
"We fight for the Right to be free.
Ich kann nur sagen, es wird kommen.

Sabine Lehmann | So., 9. Oktober 2022 - 14:11

Nebenan im EFH wohnt eine ukrainische Familie mit fünf Kindern. Das Haus gehört der Kommune, die ALLES bezahlt. Der Schornstein qualmt, die Hütte ist warm, nachts ist alles hell erleuchtet, auch drinnen. Geld und sparen spielt keine Rolle offenbar. Zwei Autos, jedes Kind ein Fahrrad, der neue Luxus-Gasgrill läuft jeden Tag und nachts stehen die Fenster auf, weil heizen kost ja nix.
Zwanzig Meter daneben unser Haus. Die Heizung kleiner gestellt, die Beleuchtung nachts aus, beim einkaufen der Griff ins Unterste Regal, Abos gekündigt, schlaflose Nächte wie die nächste Ölrechnung bezahlt werden soll und wie es weitergehen soll.
Nebenan? High-Fidelity. Und diese Glücksseligkeit dürfen wir mit unseren Steuern mit bezahlen. Sorry, aber da kriege ich langsam das k……..

Ernst-Günther Konrad | Mo., 10. Oktober 2022 - 07:52

Respekt Herr Brodkorb für ihre Unterstützung. Jedenfalls kann keiner sagen, sie sind nur ein Nachbabbler, wie wir Hessen sagen. Ich glaube Ihnen jedes Wort über die bürokratischen Hemmnisse in diesem Land. Nur, es betrifft nicht nur sprachunkundige Ukrainer. Sie erwähnen es bereits, selbst wir Muttersprachler haben und selbst ich als ehem. Beamter mit Verw. Dipl. verstehe viele amtliche Schreiben nicht mehr. Nicht nur die vielen Schachtelsätze und inhaltlichen Widersprüche zwingen mich, die Schreiben zeitaufwendig akribisch zu bearbeiten, nein auch die vielen Seiten über Rechtsbehelfsbelehrungen, Datenschutz usw. erschlagen auch mich zeitweise. Mit unserem zweiten Enkel erfahre ich von meinem Sohn, das Kindergeld wird nicht mehr mit den Bezügen dargestellt und von einem Sachbearbeiter bearbeitet, nein jetzt kommt es von der Arbeitsagentur für die Beamten. Mehr Formulare, mehr Zuständigkeiten, immer komplizierter. Wenn wir Deutschen schon nicht mehr klarkommen, wie dann ein Ausländer?

Walter Bühler | Mo., 10. Oktober 2022 - 10:10

(1) Meines Wissens wird in Irland hauptsächlich englisch gesprochen, obwohl sich die Republik Irland sich unter großen Schmerzen von Englands Herrschaft losgelöst hat.
In den Gebieten der ehemaligen UdSSR und des Zarenreiches leben viele Menschen, die zwar nichts mit der gegenwärtigen russischen Regierung im Sinn haben, aber eben doch russisch sprechen. Zwar fand und findet in der Ukraine eine gewaltige Umerziehung auf das staatlich neuformulierte Ukrainisch statt (Wladimir -> Wolodymir, Selinski ->Selinskyi, Kiew->Kyiv usw.), aber heute sind noch längst nicht alle sprachlich umerzogen.(wie Tatiana und Sofi).
Die jüngere Kataryna ist jedoch leider ein Opfer dieser nationalen Reeducation.

(2) Noch immer verwundert es mich, dass ein Herr Brodkorb, der so viele Jahre als Minister (!) für große und wichtige Verwaltungen zuständig war, heute den Eindruck vermitteln will, er würde erst jetzt bemerken, wie eine deutsche Bürokratie arbeitet. Was hat er denn als Minister gemacht??

Seltsam.