Syrische Rebellen in Aleppo / picture alliance

Rebellen kontrollieren jetzt Aleppo - In Syrien macht die Türkei den ersten Schritt

Von der Türkei unterstützte syrische Rebellen haben die Kontrolle über Aleppo übernommen. Die entscheidende Frage ist, wie effektiv Teheran und Moskau den syrischen Streitkräften helfen können, der Offensive entgegenzuwirken.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Türkei versuchen würde, aus dem Loch, das Israel nach dem Angriff vom 7. Oktober in die iranische Einflusssphäre gerissen hat, Kapital zu schlagen. Offenbar ist diese Zeit nun gekommen. Nach einer achtjährigen Unterbrechung übernahmen von der Türkei unterstützte syrische Rebellen am 30. November die Kontrolle über Aleppo und drangen in die Stadt Hama vor, die etwa auf halbem Weg zwischen Aleppo und der Hauptstadt Damaskus liegt. Nicht einmal auf dem Höhepunkt des syrischen Bürgerkriegs konnten die Rebellen dies erreichen. Unterdessen greifen russische Flugzeuge zum ersten Mal seit Jahren Stellungen der Rebellen an, während Präsident Bashar al-Assad auf der Suche nach Unterstützung eine ungeplante Reise nach Moskau unternimmt.

Syrien und der Nahostkonflikt 

Der syrische Bürgerkrieg endete im Dezember 2016, als die syrischen Regierungstruppen die vollständige Kontrolle über Aleppo zurückgewannen. Assad hatte den Konflikt zwar überlebt, doch als sich der Staub gelegt hatte, war er kaum mehr als ein Warlord. Sein Regime hatte wichtige Gebiete im Norden und Osten an eine Vielzahl von Kräften verloren: Hayat Tahrir al-Sham (die den Angriff auf Aleppo an diesem Wochenende anführte), türkische Truppen, der Islamische Staat und kurdische Separatisten. Seinen Sieg verdankte er der russischen Luftunterstützung sowie dem Iran und der Hisbollah, von denen er völlig abhängig geworden war.

Als Russland 2022 in die Ukraine einmarschierte, konnte es Syrien nicht mehr so viel Aufmerksamkeit schenken wie zuvor. Moskau tröstete sich damit, dass der Iran noch immer in der Lage war, das Assad-Regime militärisch zu unterstützen, und dass die Türkei nicht in der Lage war, eine Rebellenbewegung wiederzubeleben. Assad hingegen verstand Russlands Dilemma und wusste, dass er angesichts der Verwurzelung des Iran in Syrien andere Optionen brauchte – daher seine Versöhnungsbemühungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien im Jahr 2023. Obwohl diese Beziehungen wichtig waren, reichten sie allein nicht aus, um das Assad-Regime aus dem Einflussbereich des Irans herauszulösen. Er wusste, dass der sich anbahnende Konflikt zwischen Iran und Israel auf Syrien übergreifen könnte – und wahrscheinlich auch würde.

Wunsch des syrischen Regimes

Dies war der breitere Kontext, in dem der Anschlag vom 7. Oktober stattfand. Er löste einen regionalen Konflikt aus, der die iranischen Interessen in Syrien und im Libanon verletzte und somit eine Lücke für aufstrebende Ersatzleute hinterließ. Die Türkei und ihr Netzwerk von Rebellenkräften hatten die Situation genau verfolgt und entsprechend geplant. Ankara war selbst bemüht, die Beziehungen zum Assad-Regime zu normalisieren. Es sah, wie die arabischen Staaten ihre Beziehungen zu Damaskus wiederherstellten, und wollte ebenfalls von dem Wunsch des syrischen Regimes profitieren, seine regionalen Beziehungen zu diversifizieren.

Doch die Türkei wird es schwer haben, die Lücke zu füllen. Zum einen stimmen die syrischen Interessen nicht so genau mit den türkischen überein wie die saudi-arabischen und emiratischen Interessen, zu denen die gemeinsame Opposition gegen sunnitische Islamisten und die Notwendigkeit, den iranischen Einfluss zu verringern, gehören. Syrien und die Türkei sind sich in Fragen wie der Bekämpfung des kurdischen Separatismus einig, aber im Großen und Ganzen ist die Türkei eher eine Bedrohung als ein Verbündeter. 

Türkische Streitkräfte besetzen weite Teile des syrischen Territoriums im Norden. Ankara ist der wichtigste Unterstützer der syrischen Rebellen. Vor allem aber will Assad sich nicht vom Iran distanzieren, nur um dann einem anderen Land mit regionalen Ambitionen gegenüber verwundbar zu werden. Dies erklärt, warum Assad im Juli das Angebot des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zur Normalisierung der Beziehungen ablehnte und den Abzug der türkischen Streitkräfte aus seinem Land zur Vorbedingung für einen solchen Schritt machte. Die Rebellenoffensive der letzten Tage hat seine Befürchtungen bestätigt.

Schwach und abgelenkt

Ankara wusste, dass seine diplomatischen Bemühungen wahrscheinlich keinen Erfolg haben würden. Dennoch machte es weiter, weil es nicht wusste, dass der Iran und die Hisbollah so schnell geschwächt werden würden. Ihre Zerstörung war eine historische Chance, die sich die Türkei einfach nicht entgehen lassen konnte. Die Geschwindigkeit, mit der die türkischen Stellvertreter eingesetzt wurden, deutet darauf hin, dass Ankara sich auf diese Gelegenheit lange im Voraus vorbereitet hatte. Und dass sie Aleppo so schnell einnehmen konnten, spiegelt wahrscheinlich wider, wie schwach der Iran in der Levante inzwischen ist. Israel hatte den Iran und die Hisbollah monatelang unter Beschuss genommen und sie gezwungen, ihre Ressourcen so einzusetzen, dass Lücken in der syrischen Verteidigung entstanden, die die Rebellen ausnutzten.

Für Israel ist dies eine unbeabsichtigte Folge seines Krieges gegen den Iran. Einfach ausgedrückt: Israel will nicht, dass das Assad-Regime fällt, weil dadurch ein strategisches Vakuum entstehen würde, das sunnitische Dschihadisten verschiedener Art füllen würden. Der Iran mag die dringendere Herausforderung sein, aber sunnitische Aufständische wären dennoch ein Problem. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sehen das ähnlich. Sie wollen ein Ende des iranischen Einflussmonopols in der Levante; sie wollen nur nicht, dass Syrien dabei fällt. Das Problem ist, dass dieses Gleichgewicht angesichts der Kräfteverhältnisse in Syrien schwer zu erreichen, geschweige denn aufrechtzuerhalten ist. Iran und Russland mögen schwach und abgelenkt sein, aber sie haben nicht die Absicht, Syrien fallen zu lassen.

Die entscheidende Frage ist, wie effektiv Teheran und Moskau den syrischen Streitkräften helfen können, der Offensive der sunnitischen Rebellen entgegenzuwirken. Die Rebellen sind seit jeher stark zerstritten, ein Faktor, der ihre Fähigkeit einschränkt, Damaskus und seine Hochburgen an der Mittelmeerküste einzunehmen. Selbst wenn es ihnen diesmal gelingen sollte, das Regime zu stürzen, wird das Land in einen Zustand der Anarchie mit verschiedenen bewaffneten Gruppierungen gestürzt, die von unterschiedlichen regionalen Mächten unterstützt werden. Sicher ist, dass die iranische Vorherrschaft in der Levante zu Ende geht und die Türkei sie ersetzen will. Ein erneuter Bürgerkrieg in Syrien wird wahrscheinlich viel Zeit für die zweite Amtszeit von Präsident Donald Trump in Anspruch nehmen.

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Günter Johannsen | Mo., 2. Dezember 2024 - 15:19

unterstützt Islamisten. Was sucht diese Türkei noch in der Nato? Jetzt mus man diese Türkei ächten. Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Wer mit dem IS kooperiert, ist in Deutschland unerwünschte Person. Also muss Erdogans Unterwanderungstruppe Ditib verboten werden!

Volker Naumann | Mo., 2. Dezember 2024 - 16:39

Antwort auf von Günter Johannsen

Der Herr Erdogan hat ein ganz dickes Pfund in seiner Hand,
den Bosporus, ist so ähnlich wie der Kreuz-Bube beim Skat.

Wir können z. B. durch Schnatterinchen China drohen wegen
irgendwelcher Drohnen (schönes Wortspiel?), aber der o. g. Herr
spielt in eine ganz anderen Liga,

MfG

Sven G. | Mo., 2. Dezember 2024 - 15:35

Eine Gruppe von alimentierten und kuratierten Outlaws, unter der Führung angelsächsischer Dienste, mit Beteiligung von Mördern und Halsabschneidern, - Rebellen und Demokratische Opposition zu nennen, finde ich schon mal sehr abenteuerlich!

Eine Farce, - bzw. Diskreditierung aller Werte für die die Demokratie stehen sollte.

Jeder Hobby-Geopolitiker weiss, dass das der nächste Proxy-Krieg gegen die Russländische Föderation ist.

Man könnte auch ironisch sagen: Bidens letztes Geschenk an seine Sponsoren.

Die destabilisierenden Flüchtlingsströme werden wieder aktiviert, - Richtung Deutschland.
Und, - warum gibt es keine an “Deutschlands Interessen“ orientierte politische Gegenwehr?

Welche politischen oder unternehmerischen Gruppen in Deutschland haben an dieser Entwicklung ein Interesse?

Wie immer:
Cui bono - werte Foristen.

Jochen Rollwagen | Mo., 2. Dezember 2024 - 17:17

Imperien zerbrechen immer zuerst an den Rändern. Die Russische Föderation ist keine Ausnahme. Nach der Blamage Rußlands in Armenien folgt jetzt die nächste in Syrien. Daß Erdogan - der über das was in Rußland läuft oder nicht mehr läuft weit besser informiert ist als "Der Westen" - nicht abwartet bis das Ganze kollabiert, sondern präventiv tätig wird zeigt nur wie weit er strategisch dem "Westen" voraus ist, der immer noch glaubt, Rußland wäre eine "Großmacht". Rußland hat fertig und der bombastische Bluff des Hochstaplers Putin ist aufgeflogen. Dieses Rußland hilft keinem mehr. Das dürfte zu weiteren Unruhen in Afrika (Mali, Niger, Burkina Faso, generell in der Sub-Sahara) führen, wo die ehemaligen Wagner-Söldner als verlängerter Arm Rußlands jetzt verschwunden sind - im ukrainischen Donbass. Auch in Zentral-Asien stehen "interessante" Zeiten bevor. Die Ukraine ist für Rußland Afghanistan hoch zehn und Putin der Totengräber der Russischen Föderation.

Der Westen ist darauf genauso vorbereitet wie einst auf den Zusammenbruch der Soviet-Union: gar nicht.

Karl-Heinz Weiß | Mo., 2. Dezember 2024 - 17:28

Zu Beginn der erneuten Präsidentschaft Trumps wird man durch die Türkei an die (zahlreichen) Trümmer der US-Nation-Building-Strategie erinnert: Libyen, Afghanistan, Syrien: statt Ansätzen für eine Befriedung überall Chaos. Ob die neue US-Administration, die mit immensen Migrationsproblemen konfrontiert ist, eine stringentere Politik verfolgt ? 100 Tage Schonfrist stehen nicht zur Verfügung.

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