War man im Auswärtigen Amt zu naiv? Frank-Walter Steinmeier in seiner Zeit als Außenminister mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow / dpa

Deutschland und Russland - Die Warnsignale nicht gesehen

An der Universität Potsdam wurde über die deutsche Russlandpolitik seit 1990 diskutiert. Die meisten Experten auf dem Podium ließen kein gutes Haar daran. Einzig der stellvertretende Botschafter der Ukraine zeichnete ein differenzierteres Bild.

(C) Patrick Müthing

Autoreninfo

York Herder ist ausgebildeter Journalist und hospitiert derzeit bei Cicero.

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Bei schwülen 30 Grad und praller Sonne füllten gut 50 bis 60 Leute einen kleinen Hörsaal der Universität Potsdam. Am Neuen Palais, der einstigen Hauptresidenz von Wilhelm II., diskutierten der Historiker Bastian Matteo Scianna, der Politikwissenschaftler Joachim Krause, Mitherausgeber der Zeitschrift für Strategische Analysen (SIRIUS), der ehemalige Wehrbeauftragte und jetzige Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, Hans-Peter Bartels, und der stellvertretende Botschafter der Ukraine, Maksym Yemelianov, über die Verfehlungen der deutschen Russlandpolitik. Die aus einer Lehrveranstaltung heraus initiierte Veranstaltung solle „ein Beitrag zum Diskurs sein“, so der Universitätspräsident Oliver Günter in seinem Grußwort.

In einem kurzen Impulsvortrag zeigte der Historiker Sönke Neitzel die Unterschiede zwischen Analysten und Kommentatoren bei diesem „emotionalen Thema der deutschen Russlandpolitik“ auf, zu der jeder eine Meinung habe. Aufgabe der Analysten, also des Podiums, sei es zu trennen: „Was wissen wir, was glauben wir zu wissen, und was wissen wir nicht.“ Die Historiker müssten dafür das „Hinterland“ beleuchten, um genau das herausfinden zu können.

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Henri Lassalle | Fr., 14. Juli 2023 - 15:00

Deutschland als Wirtschaftsnation, in der fast ausschliesslich Ökonomie und Geldvermehrung einseitig und besonders auch die Politik bestimmen, hat Warnsignale nie bewusst wahrnehmen wollen, obwohl die Zeichen unübersehbar waren- wir haben sie gesehen und analysiert, warum nicht die Regierung?
Schon allein ein Detail wie der unverändert übernommene Zarenadler in der rusischen Flagge, das ist auch ein Signal. Politikpersonal von einer solchen Naivität und Hörigkeit und Opportunismus gegenüber der Wirtschaft ist beängstigend, denn Unkenntnis, Naivität und Arglosigkeit im Poltikgeschaft kann wirklich gefährlich werden. Putin und seine Clique haben das natürlich benutzt. Und die sind nicht die einzigen

Plötzlich sind auch die letzten Backbencher hellhörig und haben "es" von Anfang an gesehen! "ein Detail wie der unverändert übernommene Zarenadler in der rusischen Flagge, das ist auch ein Signal!" - Genau, Herr Lasalle, ein Signal! Nur worauf und wozu? Dass Sie vergessen hatten, sich die Zähne zu putzen?
Sorry, aber es wäre wohl sehr viel ergiebiger geworden, darüber zu "sympositionieren", wie man in Washington über die Auflösung des Sowjet-Regimes unter Gorbatschow dachte, warum man die Einheit Deutschlands torpedieren wollte und warum man es dort nicht so gut fand, dass Deutschland russisches Gas über eine Ostsee-Peiplein beziehen wollte! Was doch eigentlich eine innere Angelegenheit der Deutschen sein dürfte! - Aber mit diesem Symposion lässt sich natürlich viel mehr Schaum schlagen!

Dieter Schäfer | Fr., 14. Juli 2023 - 15:02

Wieder einmal der gleich Zinnober über den immer schon angeblich drohenden russischen Imperialismus. Es wird von den Atlantikern und von denen, die nicht tief genug denken wollen, immer weiter wiederholt - in der Hoffnung, dass es dann endlich wahr wird. Wird es aber nicht. Die dauerhafte Nato-Osterweiterung ist und war der Grund. Wir hatten mit Kohl 16 Jahre, mit Schröder 7 Jahre und mit Merkel 16 Jahre Frieden mit Russland. Allesamt keine ausgesprochenen Atlantiker. Seit dem diese mit den Grünen das Ruder übernahmen, ist auch die deutsche Diplomatie den Bach runter.

Keppelen Juliana | Fr., 14. Juli 2023 - 16:10

Antwort auf von Dieter Schäfer

Nur war offensichtlich der friedliche wirtschaftliche und diplomatische Austausch der uns ein friedliches und wirtschaftliches Wohlergehen beschert hat unter den Vorgängerregierungen total falsch. Jetzt heißt es wieder "vorwärts Kameraden wir müssen zurück" die Falken, Waffenschmieden und Hirnwäscher schießen wie Schleimpilze aus dem Boden und sie nennen Friedensforscher aber sie wirken wie Wiedergeborene (oder auch geistige Überbleibsel) der PR Abteilungen aus dem 1. und 2. Weltkrieg.

Keppelen Juliana | Fr., 14. Juli 2023 - 16:20

Antwort auf von Dieter Schäfer

waren Transatlantiker hatten aber im Unterschied zu der heutigen Regierung (und den vielen Experten) auch die Interessen ihres Landes im Auge auf den sie einen Eid geschworen hatten.

aber in einem besonderen Sinne, der auf Schröder m.E. nicht zutrifft?
Alle drei waren auch Europäer und ganz entschieden Deutsche, wie es aber auch nicht auf Schröder zutrifft?
Kohl und Merkel(gewissermaßen als evtl. DDR-Beitrag) waren evtl. der Meinung, dass sie ihr "Imperium" von Deutschland aus würden lenken und leiten können.
Beide gerierten sich m.E. auch so.
Die anderen Länder schauten zu, solange sie damit ihre eigenen Interessen durchsetzen konnten, auch über Europa und die Bundesrepublik.
Das ist dann vielleicht anstrengend gewesen für Kohl und Merkel, die Balance zwisch "Gottkaiser/Göttin" und dem Rest der Welt zu halten.
Merkel flog ständig herum. Kohl residierte dagegen gediegener?
Es scheint mir unsinnig, sich zu "Göttern" aufzuschwingen, wenn man dazu die ganze Welt braucht, vor allem die eigene Bevölkerung als evtl. dieser Dienende?
Die Deutschen haben es mit sich machen lassen?
Da lob ich mir Schröders Brechtzeilen "und das Liebste mag´s uns scheinen, so wie andern..."

alessandro laporta | Fr., 14. Juli 2023 - 18:03

Antwort auf von Dieter Schäfer

es ist mittlerweile eine alte Schimäre "Die dauerhafte Nato-Osterweiterung", wie Sie behaupten, immer wieder als Grund für Putins handeln anzuführen. Die Nato hat sich nicht von sich aus erweitert. Vielmehr haben alle Staaten des ehemaligen Ostblocks aus eigenem Antrieb gehandelt und um Aufnahme in die Nato gebeten. Es somit schlicht und einfach faktisch falsch, von einer NATO-Osterweiterung zu sprechen. Das ist klassische russische Propaganda, der sie da auf den Leim gegangen sind.
Alle diese Staaten wissen ganz genau, weshalb sie sich unter den Schutzschirm der Nato begeben haben. Ein absolut verständliches und vor allen Dingen legitimes Handeln.
Im Übrigen Herr Schäfer, ist Russland nicht nur angeblich, sondern es ist ein imperialistischer Staat. Oder was glauben Sie, wie die enorme Landmasse in den vergangenen 250 Jahren zustande gekommen ist?

Christoph Kuhlmann | Fr., 14. Juli 2023 - 16:23

dass das ganze Desaster durch CO₂ Bepreisung und das Abschalten der AKW weiter auf die Spitze getrieben wird. Das lässt auf eine ideologische Fixierung schließen, die nicht in der Lage ist, die Realität wahrzunehmen. Wir hatten es ja gerade bei Bundeswehr und Friedensdividende.

Gerhard Lenz | Fr., 14. Juli 2023 - 16:51

Putins Freunde hier beweinen, dass wir uns verteidigungspolitisch noch immer an der Seite der USA befinden, und dass der "Verteidiger konservativer Werte" im Kreml bei uns so schlechtgelitten ist.

Und so werden ausgerechnet jene, die der überfallenen Ukraine zur Seite stehen, als Kriegstreiber beleidigt, während der eigentliche Aggressor Putin doch nur die Interessen Russlands gegen eine NATO verteidigt, die ihm auf den Pelz gerückt ist.
Und gegen Nazis in Kiew.
Und gegen die Ukraine überhaupt, deren Existenz alleine schon eine Beleidigung Putins ist.

Alles bekannt, da gibt es nichts mehr zu diskutieren.

Natürlich hätte man achtsam sein müssen, als Putin in Tschetschenien metzelte, das kleine Georgien dezimierte , der Ukraine Territorien wegnahm, Oppositionelle ermordete und einsperrte.

Waren wir nicht - das schlechte Zeugnis ist verdient.

Apropos: Es gab doch hier mal eine Kolumne: Mit Gerd Schräder auf eine Currywurst.

Gibt es infolge der Sanktionen etwa keine Würste mehr?

Albert Schultheis | Fr., 14. Juli 2023 - 18:46

Wie soll da so etwas wie ein Diskurs ermöglicht werden?
Das ist ärgerlich, "Aufwand und Erfolg" passen dann nicht mehr zusammen!
Ich werde mich in Zukunft wohl etwas zurückziehen.
Ich wünsche Ihnen, liebe Ciceronen und Mitkommentatoren, viel Glück, Gesundheit und den Mut zum Tacheles, und unserem Land würdigere, bescheidenere und fähigere Führer.
Ihr
Albert Schultheis

Hans Süßenguth-Großmann | Fr., 14. Juli 2023 - 22:47

Ich frage mich welchen Sinn die Veranstaltung haben sollte. In einer Beziehung mit Russland ging es uns gut, jetzt soll es uns besser gehen, wenn wir keinerlei Beziehung zu Russland haben.
Nein wir sollen leiden, für die ganzen "Sünden" die wir begangen haben. Ich begreife es nicht und ich sehe keinen Sinn in der gegenwärtigen Politik. Früher ging es uns gut, heute geht es uns besser; es wäre besser. wenn es uns wieder gut gehen würde.

Kai Hügle | Sa., 15. Juli 2023 - 00:00

Einerseits sind Merkel und Steinmeier zwei der größten Feindbilder im Forum. Andererseits überwiegt hier wohl die Nähe zu Putin, so dass man viel Milde walten lässt bei der Beurteilung einer Politik, die sich über alle Warnungen hinwegsetzte und sich spätestens im Februar 2022 als naiv erwies.
Nun hängt man hier an den Lippen von Politiker:innen von AfD und den Linken, die auch nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eifrig Kreml-Propaganda aufsagen, so wie sie das damals in der DDR gelernt haben.
Die ungekrönte Königin in dieser Disziplin - eine gewisse Sahra Wagenknecht, die einen oder zwei Tage (!) vor dem russischen Einmarsch folgendes sagte:

»Russland hat faktisch kein Interesse, einzumarschieren. (...) Wir können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter Nationalist, der sich berauscht, Grenzen zu verschieben.«

Das ist die Art von Expertise, die sich ein Land wie Deutschland nicht leisten kann.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 15. Juli 2023 - 10:19

Merkel mit Putin, Merkel mit Erdogan, Merkel mit usw.?
Aber nur überlegt.
Erdogan hat m.E. aber offen aufbegehrt.
Er hatte evtl. keine Lust von "Merkels Gnaden" an der langen Leine gehalten zu werden? Der Rest wusste Bescheid?
Wie ich schon sagte, man sollte die Politik der DDR für evtl. diese Entwicklung nicht ausser Acht lassen.
Das "von oben" gefiel den Polen und anderen Staaten aber auch nicht.
Wichtig war dann eventuell, dass Deutschland für "Alles und Jeden schuldig" war, jedenfalls zahlte?
Kohl und Merkel waren evtl. teuer, wie teuer die DDR-Regierungen für deren Bürger waren, kann ich nicht einschätzen. Ich habe mich über die Verwahrlosung in der DDR jedenfalls gewundert.
Das System scheint mir aber neu.
Wenn es aber alle Welt so möchte, bitte sehr.
Eine Gegenüberlegung wäre vlt., was Deutschland denn bewegen könnte, ohne "für alles zu zahlen"?
Schwer zu sagen, aber wenn man nur bewegt, was man sowieso bewegt, kann das an die Substanz gehen?
Ich wertschätze die Bundesrepublik