- „In Deutschland fallen jedes Jahr 15 Millionen Tonnen an Strohresten an“
Für Papier braucht es Bäume? Nicht im neuen Werk des schwedischen Unternehmens Essity am Standort Mannheim. Dort entsteht Toilettenpapier und bald auch Küchenpapier aus Stroh. Im Interview erklärt Manager Martin Wiens, wie die Gewinnung von Zellstoff aus Stroh funktioniert und was die drastisch steigenden Energiepreise für sein Unternehmen bedeuten.
Martin Wiens ist Factory Manager bei der Essity Operations Mannheim GmbH.
Herr Wiens, Ihr Unternehmen produziert an verschiedenen Standorten in Europa Holzzellstoff für die Papierproduktion. Wieso verarbeitet die neue Fabrik in Mannheim, die Sie leiten, jetzt Stroh?
Die neue Anlage gibt uns eine bessere Position auf dem Weltmarkt. Dort ist der Preis für Zellstoff in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Wir haben uns nun mit der Erzeugung von Zellstoff aus Stroh eine dritte Rohstoffquelle neben Holz und Altpapier erschlossen. Das ist europaweit einmalig. Es gibt keine zweite Fabrik, die aus Stroh Zellstoff gewinnt. Dadurch sind wir bei der Rohstoffversorgung unabhängiger und flexibler. Außerdem ist die neue Anlage ein klares Bekenntnis zu den Nachhaltigkeitszielen des Essity-Konzerns.
Wie funktioniert die Gewinnung von Zellstoff aus Stroh? Was ist daran nachhaltiger als bei der Erzeugung aus Holz?
Wir gewinnen in Mannheim im Jahr 35.000 Tonnen Zellstoff aus 70.000 Tonnen Stroh. Das Verfahren hat das US-Unternehmen Sustainable Fibre Technology entwickelt. Die Essity wendet es in Lizenz an. Wir lösen die Fasern aus dem Stroh mit einer Chemikalienmischung unter wenigen Bar Druck und bei Temperaturen von weniger als 100 Grad Celsius. Das sind sehr moderate Bedingungen, verglichen mit der klassischen Zellstoffproduktion aus Holz. Das Verfahren spart deshalb Kohlendioxidemissionen und Energie ein. Der ökologische Fußabdruck ist um 20 Prozent besser.
Vor kurzem hat der Toilettenpapierhersteller Hakle Insolvenz angemeldet. Wie kann Ihr Unternehmen in Zeiten drastisch steigender Energiepreise bestehen?
Die enorm gestiegenen Strom-, Erdgas-, Rohstoff- und Transportkosten belasten auch uns sehr, weil die Herstellung von Hygienepapieren sehr viel Energie benötigt. Essity ist aber solide aufgestellt. Deswegen können wir einen Teil des Kostenanstiegs intern bewältigen, müssen aber auch unsere Preise nach oben anpassen, um weiterhin wirtschaftlich arbeiten zu können.
Wir treffen im Moment auch Vorkehrungen, um unsere Produktion mit Ersatzbrennstoffen sicherzustellen. Da wir globales tätig sind und Fabriken in ganz Europa haben, können wir mit der Herstellung bestimmter Produkte auch auf andere Standorte ausweichen.
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Woher kommt das Stroh, dass Sie verarbeiten? Sind Sie auf Importe aus Russland angewiesen?
Nein, wir brauchen keine Importe aus dem Osten. In Deutschland fallen schätzungsweise jedes Jahr 15 Millionen Tonnen an Strohresten an, für die es bisher kaum sinnvolle Verwendungsmöglichkeiten gab. Deshalb können wir sogar regional einkaufen und bauen hierfür aktuell ein Netzwerk mit landwirtschaftlichen Betrieben auf. Diese sind an einer sicheren und stetigen Einnahmequelle interessiert.
In welche Produkte gelangt der Zellstoff aus Stroh? Und wie können die Kunden diese erkennen?
Wir arbeiten den Zellstoff aktuell in unsere ZEWA-Toilettenpapiere ein und planen auch Küchenpapiere damit herzustellen. Es war uns wichtig, dass die Produkte genau dieselben Eigenschaften haben, wie wenn sie aus Holzzellstoff gefertigt werden. Verbraucher*innen sollten keinen Unterschied bemerken. Die Produkte sehen genauso aus und fühlen sich genauso an wie bisher.
Ließe sich auch Papier fürs Büro aus Stroh erzeugen?
Ja, das wäre möglich. Aber das ist nicht unser Geschäftsfeld. Unser Verfahren stößt aber auf großes Interesse in der Papier- und Zellstoffbranche. Allein hierzulande gibt es 93 Zellstoffprozenten.
Planen Sie weitere Stroh-Zellstofffabriken in Europa?
Ganz klar. Es war eine größere unternehmerische Entscheidung, diese Pilotanlage im Industriemaßstab zu errichten. Wir haben mehr als 40 Millionen Euro investiert. Wir wollen das Verfahren weiter optimieren, um es dann auszurollen. Die Produktion von Zellstoff aus Holz und Altpapier werden wir natürlich trotzdem weiterführen. Aber für eine neue Holzzellstofffabrik sind Investitionen im Milliardenbereich nötig. Diese produziert dann 1 bis 1,5 Millionen Tonnen Zellstoff, also viel mehr als unsere Fabrik in Mannheim. Die Vorteile der neuen Technologie sind dem gegenüber, dass die Anlagen klein und kompakt sind und mit überschaubarem Investment auch schnell an verschiedenen Standorten aufgebaut werden können
Die Fragen stellte Susanne Donner.
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Und wir gucken wenn`s blöd läuft strohdumm durch die Wäsche? Wie zugegebenermaßen auch ich, da mir oben beschriebene Sachverhalte zu diesem essentiellen Alltagshilfsmittel bis dato gänzlich unbekannt waren;). Man schaut sich halt weniger die Inhaltsstoffe als die Anzahl der Blätter auf den Rollen an, was angesichts aufgetürmter Berge von Lokuspapier in meinem Supermarkt an sich schon eine Herausforderung darstellt! Doch es besteht trotz energiesparenderer Herstellung auch hierbei zu befürchten, dass man mit seinen kleineren, kompakten Produktionsanlagen aus Kostengründen oder Erhalt der Konkurrenzfähigkeit das schon vor dem Konflikt mit den höchsten Energiepreisen der Welt versehene Deutschland verlässt und es billiger ist anderswo zu produzieren und wieder nach hier zu exportieren trotz anfallender Transportkosten. Ich sehe sie schon vor mir, Container, LKWs und Güterwaggons voller Rollen;-) MfG
Wenn der Topf aber nun ein Loch hat …..
Nimm Stroh lieber lieber Heinrich …..
Nein ganz im Ernst. Durch den Wandel der Landwirtschaft hat sich auch der Verbrauch von Stroh geändert. Früher standen Schweine & Rinder auf Stroh und nicht auf Spaltböden. Und das mit Ausscheidungen vermischte Stroh kam als Mist = Düngung wieder in natürlicher Form auf die Felder. Somit brauchte kein Kunstdünger eingesetzt zu werden = nachhaltige Landwirtschaft. Und heute, sind die Getreidesorten so gezüchtet , dass kleiner und Stroh dann untergeackert werden kann allerdings ohne größeren Düngungswirkung gegenüber z.b. Gründüngungspflanzen z.b. Stickstoffbildner. Und, da finde ich die beschriebene Idee sehr gut. Auch vielleicht weiterentwickelt in der Dämmindustrie. Stroh Lehmwickel wurden schon vor Hunderten v. Jahren im Fachwerkbau eingesetzt.
Auf jeden Fall besser als Styropor das „Sondermüll“ ist. Forschung?
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik
vor Hunderten v. Jahren im Fachwerkbau eingesetzt....kann ich betätigen.
Die Dämmwirkung ist sehr gut.
Wir haben ja im Altbau (4-Seiten-Fachwerkhof) sehr viel mit Stroh-Lehm gearbeitet. Schon vor 10Jahren.
Ist etwas aufwendiger, aber bringt sehr gute Ergebnisse in der Dämmung.
Lehm atmet eben.
Es war auch sehr interessant, beim Teil- Abriss die Strukturen der Bauweise (unserer Vorfahren) zu studieren.
Auch das Verfahren mit Stroh Zellstoff herzustellen finde ich gut.
Überlegungen mit Rohstoffen zu arbeiten, die in unseren Land anfallen und sonst ungenutzt bleiben, sowieso.
Da ist wenigstens der Schädel gut gedämmt;) lieber Herr Frank! Was die raumklimatisch und ökologisch effiziente Lehmbauweise betrifft, so müsste man darüber hinaus noch nicht mal mehr das Rad neu erfinden. Denn ein Blick in die Altstädte/Bauweise von z.B. Ländern wie Marokko oder in europäische südliche Gefilde sind da m.E. durchaus lehrreich. Durch Ihren Kommentar angeregt, gugelte ich nach Stroh in Biomasse und zack landete ich Treffer. Was die technischen Daten und Auswertungen von Studien dazu betrifft sind für mich zwar noch böhmische Dörfer, aber meine Frage nach dieser weiteren Verwendung von wie ich lernte "Halmgut" war gar nicht so dumm;) Nachzusehen bei "FNR-Heizen mit Biomasse".
Man kann halt so alt werden wie Kuh....Alles Gute! LG
komisch. Eigentlich wird im modernen Getreideanbau das Stroh auf dem Feld belassen. Mit einer Stickstoffdüngung nach der Ernte werden diese Reste in den Boden eingearbeitet und bilden da organische Masse, die die Bodenfruchtbarkeit erhält. Kann natürlich sein, dass das bei getreidelastigen Fruchtfolgen irgendwann zuviel wird, aber dieses Stroh könnte man auch zu Biogas verarbeiten oder thermisch verwerten ... Klopapier wäre also eher eine Nischennutzung.
in den Köpfen unserer Politiker schon eingerechnet? Ein, wie ich glaube, unerschöpfliches Reservoir.