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Annexion der Krim? - „Putin würde sich geopolitisch ins Aus spielen“

Auch wenn die Krim unabhängig wird, erwartet die Historikerin Ruth Deyermond keine weitere Eskalation der Krise. Denn die Nachteile für Putin überwiegen

Autoreninfo

Laetitia Grevers hat Geschichte in London studiert. Ihre Texte sind unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

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Ruth Deyermond ist Historikerin am King's College in London. Sie forscht zu post-sowjetischer Sicherheitspolitik und US-russischen Beziehungen.

Cicero Online: Frau Deyermond, ist der Eingriff Russlands auf der Krim völkerrechtswidrig?         
Ruth Deyermond: Ja. Im Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, den Russland 1997 mit der Ukraine abgeschlossen hat, steht, dass Russland die territoriale Integrität der Ukraine respektiert. Eine Besetzung widerspricht diesem Abkommen.

Wie legal ist die Unabhängigkeitserklärung der Krim?

In der ukrainischen Verfassung steht, dass ausschließlich ein Referendum in der gesamten Ukraine über die Unabhängigkeit eines Gebietes entscheiden kann. Die Ukraine kann gegen das Referendum Einspruch erheben.

Was schätzen Sie, wie die Ukraine reagieren wird, sollte sich die Krim selbständig machen?
Kiew wird die Unabhängigkeit nicht anerkennen. Und die Krim wird auf ihrer Position beharren. Es ist möglich, dass sich der Interessenskonflikt gewaltlos entwickelt und zum schwelenden Konflikt wird. Wie etwa in Südossetien und Abchasien. Andererseits kann die Ukraine auch militärisch eingreifen, um die Unabhängigkeit der Krim zu verhindern. Wenn das passiert, werden Polen und die baltischen Staaten der Ukraine am ehesten zur Hilfe kommen.

Was ist mit den USA und der EU?
Eine militärische Intervention der beiden ist ausgeschlossen. Aber auch sie werden sich gegen das Referendum stellen. Vor allem durch wirtschaftliche Einschränkungen kann Druck auf Russland und die Krim ausgeübt werden. Die USA wollen die Vermögenswerte einflussreicher russischer Individuen einfrieren und die Kreditinstitute des Landes vom wichtigen amerikanischen Finanzmarkt abschneiden. Die EU droht mit einem Gas-Boykott. Dass der wirklich umgesetzt wird, ist aber sehr unwahrscheinlich. Einige EU Ländern sind zu stark von russischem Gas abhängig.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Putin nach mehr als nur der Unabhängigkeit der Krim strebt? Wird er versuchen, die Krim zu annektieren?
Das ist sehr unwahrscheinlich. Er würde sich dadurch kaum Vorteile verschaffen, Russland nur in Unkosten stürzen und sich geopolitisch ins Aus spielen.

Was wären die geopolitischen Konsequenzen eines solchen Zuges?
Es würde selbstverständlich die Beziehungen zu den westlichen Staaten ruinieren. Aber nicht nur das. Russland hat sich während der letzten zehn Jahre für nationale Souveränität stark gemacht. Im Irak, in Syrien. Diese Politik teilt Russland mit den anderen Schwellenländern Brasilien, Indien und China. Die diplomatischen Beziehungen zu diesen Staaten wären im Keller, wenn er plötzlich versuchen würde, Teile der Ukraine an sich zu reißen. Hinzukommen die miserablen Beziehungen zur Ukraine, die ein solches Vorgehen mit sich bringen würde. Das kann Russland sich nicht leisten.

Wie abhängig ist Russland von der Ukraine?
Die Ukraine ist für den russischen Rohstoffhandel unersetzlich. 80 Prozent der russischen Gasexporte nach Europa gehen über die Ukraine und sie ist ein bedeutender Markt für russisches Gas. Außerdem ist die Ukraine ein wichtiger militärischer Pufferstaat und seit Jahren Standort der Schwarzmeerflotte.

Wenn Putin nicht weiter in der Regierungsbildung der Ukraine interferiert und die Wahlergebnisse im Mai positiv ausfallen, könnten sich dort demokratische Strukturen entfalten. Wird Putin dann nicht auch einen Maidan in Russland fürchten?
Putin hat Angst vor einem russischen Aufstand. Das zeigt die Geschichte. Die US-russischen Beziehungen haben sich während der späten Bush-Ära und den Farbrevolutionen – also der Rosenrevolution in Georgien, der Orangenen in der Ukraine, der Tulpenrevolution in Kirgisistan und der Zedernrevolution im Libanon – brutal verschlechtert. Zu dieser Zeit hat Putin Gesetze erlassen, die die Handelsfreiheit ausländischer Nichtregierungsorganisationen einschränkt. Seine Politik und seine Sprache wendeten sich scharf gegen die Demokratisierungsprozesse um ihn herum. Heute ist die Wahrscheinlichkeit eines russlandweiten Aufstandes aber gering.

Woran liegt das?
Rund 70 Prozent der russischen Bevölkerung unterstützen Putins Politik in der Ukraine. Die Russen sind stolz auf ihren Macho-Präsidenten, der die „westliche Invasion“ abwehrt. Ein Großteil der Russen identifiziert sich mit anti-westlichen, anti-demokratischen Werten. Sie sind keine Bedrohung für Putins Autokratie.

Wie lässt sich die Krise in der Ukraine friedlich lösen?
Durch Verhandlungen zwischen Russland, der EU und den USA. Sie müssen sowohl der Ukraine als auch der Krim mehr Sicherheit bieten. Die Ukraine soll durch Europa und die USA geschützt werden, die Krim durch Russland. Außerdem braucht das Land finanzielle Unterstützung. Europa hat bereits Hilfen in Höhe von 15 Milliarden Euro für die Ukraine angekündigt.  

Was ist mit der ukrainischen Selbstbestimmung?
Der Staat besteht aus antagonistischen ethnischen und politischen Gruppen. Diese Spaltungen können zunächst nur durch äußere Einflüsse gelindert werden. Dafür müssen sowohl Russland als auch die EU und die USA ein klares Signal an die Ukraine senden, dass im Falle einer militärischen Auseinandersetzung zwischen der Krim und der restlichen Ukraine jegliche Unterstützung eingestellt wird. Ein Gewaltkonflikt muss um jeden Preis vermieden werden.    

Wann waren die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zuletzt so schlecht?
Im August 2008 während des Georgienkriegs.

Was sind die Unterschiede zwischen damals und heute?
Dieses Mal reden wir nicht über Krieg. Bis jetzt zumindest hat die Besatzung der Krim nicht zu Gewalt geführt. Damals waren die USA stärker in die Krise involviert, sie haben eine Nato-Osterweiterung öffentlich befürwortet. Russland fühlte sich bedroht und schickte seine Truppen bis zu den Vorstädten von Tiflis. Der Ursprung der jetzigen Krise ist ein interner politischer Konflikt in der Ukraine. Er ist zum Großteil der politischen Unfähigkeit Viktor Janukowitschs zuzuschreiben. Die EU, Russland und die USA wurden da nur Stück für Stück mit hereingezogen.

Aktualisiert am 17.03.2014.

 

 

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