- „Das Zauberwort heißt Multimodalität“
In Berlin gehören volle Busse und Bahnen zum Alltag. Die Fahrräder von Bike-Sharing-Anbietern verstopfen die Straßen und die Feinstaubbelastung ist hoch. Dieses Chaos will Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe, bekämpfen. Kann das gelingen?
Sigrid Evelyn Nikutta ist seit 2010 Vorsitzende des Vorstandes der Betrieb der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Sie studierte Psychologie mit dem Schwerpunkt Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie. Ab 1993 arbeitete sie im Management eines mittelständischen Unternehmens in Bielefeld bevor sie 1996 zur Deutschen Bahn AG wechselte.
Frau Nikutta, jetzt im Sommer fällt es besonders auf: Bahnen, Trams und Busse sind oft überfüllt, die Menschen stehen schwitzend aneinander gedrängt. Ist das die Mobilität der Zukunft, von der alle reden?
Zunächst einmal ist es eine positive Nachricht, dass immer mehr Menschen bei ihrer täglichen Mobilität auf Busse und Bahnen setzen. Wir haben deshalb auf vielen Linien Takte verdichtet, die Betriebszeiten erweitert oder bieten die dichte Taktfolge heute länger an als früher. Damit Busse und Bahnen auch in der wachsenden Stadt weiterhin das Rückgrat der Mobilität bilden, benötigen wir vor allem neue und mehr Fahrzeuge. Bei U-Bahn und Straßenbahn läuft das größte Beschaffungsvorhaben der BVG-Geschichte. Richtig ist aber auch, dass der Nahverkehr der Zukunft nicht nur schnell und zuverlässig, sondern auch komfortabel sein muss. Wir arbeiten deshalb daran, neue, attraktive Mobilitätsangebote zu schaffen.
Für mehr Züge und schnellere Taktungen braucht es auch mehr Personal. Das fehlt aber. Worauf muss sich Berlin einstellen?
Bei allen Mehrleistungspaketen der vergangenen Jahre, haben wir natürlich auch an die nötige Personaldecke gedacht. Ende 2017 hatten wir mehr als 6600 Fahrer in unseren Reihen, gut 900 mehr als vier Jahre zuvor.
Wie wichtig ist der Ausbau des Verkehrsnetzes?
Sehr wichtig, der Straßenbahnausbau nimmt deutlich Fahrt auf. Drei neue Strecken sind schon im Planfeststellungsverfahren, für weitere laufen die Vorplanungen. Ich freue mich auch, dass heute wieder über den Ausbau des U-Bahn-Netzes nachgedacht wird. Das Netz der Zukunft wird mehr Menschen in kürzerer Zeit komfortabel und zuverlässig an ihr Ziel bringen.
Gerade mit Hamburg und dem HVV will sich die Berliner BVG gerne messen. Dort können Fahrgäste aber schon lange auch ihr Fahrrad, außer zu Stoßzeiten, umsonst mitnehmen. Wieso geht das nicht in Berlin?
Die BVG ist das größte Nahverkehrsunternehmen in Deutschland und bei allem Respekt vor unseren Kollegen in Hamburg, unterscheiden wir uns doch in der Vielfalt der Verkehrsangebote und in der Anzahl der Fahrgäste. Und wie Sie selbst anfangs feststellten, kann es bei täglich mehr als drei Millionen Menschen, die unsere Busse und Bahnen nutzen, schon mal eng werden. Ein Fahrrad braucht aber eben auch Platz und insofern finde ich, dass wir in Berlin eine klare und einfache Regelung für die Mitnahme von Fahrrädern haben und sie hat einen großen Vorteil – sie gilt ohne Zeitbeschränkung.
Wie wichtig ist das Image für öffentlichen Nahverkehr? Eine sechsstellige Summe soll allein Ihr berühmt gewordene Video „Is’ mir Egal“ gekostet haben. Ist dieses Geld da wirklich sinnvoll angelegt? Öffentlicher Nahverkehr sollte doch in erster Linie funktionieren.
Ja genau. Am Funktionieren arbeiten täglich 14.600 Kollegen. Wenn wir aber wollen, dass in Zukunft noch viel mehr Menschen auf umweltfreundliche Mobilität umsteigen, dann muss das Angebot auch gut rüberkommen. Salopp gesagt, es soll auch hipp und cool sein, BVG zu fahren. Und dafür hat unsere erfolgreiche und weltweit beachtete Kampagne schon Großes geleistet. Das ist gut angelegtes Geld. Der wichtigste Faktor ist aber, dass wir mit der Kampagne und den zeitgleich gestarteten Servicekanälen auf Twitter einen Kundendialog auf Augenhöhe eröffnet haben.
Das Verkehrsnetz des BVG ist 100 Jahre alt, muss ständig erneuert werden. Die Bahnen sind im Schnitt 30 Jahre alt. Sollte man das Geld des Werbeetats nicht besser in die Sanierung des Verkehrsnetzes investieren?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun und auch hier sprechen die Zahlen für sich selbst: wir investieren jährlich hohe Millionensummen in unsere Infrastruktur und Verkehrsanlagen. So haben wir allein im vergangenen Jahr mehr als 380 Millionen Euro in Neubau und Sanierung unserer Infrastruktur und neue Fahrzeuge investiert.
Verkehr der Zukunft heißt auch, Feinstaub und Smog zu reduzieren. In den kommenden fünf Jahren wollen Sie zum Großteil auf E-Busse umgestiegen sein. Wie zuverlässig funktionieren die bereits vorhandenen nach zahlreichen Ausfällen?
Unser Ziel ist die Elektrifizierung der gesamten Busflotte. Wie schnell das geht, hängt vor allem von der Angebotsentwicklung auf dem Markt ab. Aktuell haben wir fünf E-Busse im Bestand. Dass es am Anfang ein paar Kinderkrankheiten gab, war zu erwarten. Inzwischen fahren die Busse ziemlich zuverlässig. Für uns war es vor allem wichtig, in dem Projekt zu erproben, ob der elektrische Betrieb einer kompletten Linie in Berlin möglich ist. Und das ist gelungen. Aktuell sind wir bei der Vergabe des ersten Serienauftrags über 30 E-Busse. 30 weitere Busse sind in Planung.
Digitalisierung heißt auch Automatisierung. Zudem testen Sie inzwischen autonom fahrende Busse. Durch die Sharing-Anbieter erwächst dem ÖPNV Konkurrenz auf der Straße. Wie wollen Sie es schaffen, da zeitgemäße praktische Angebote zu machen und die Straßen vom Verkehr zu entlasten?
Der Nahverkehr der Zukunft muss passgenau auf die Bedürfnisse der Fahrgäste zugeschnitten sein. Das Zauberwort heißt dabei Multimodalität. Das Rückgrat auch künftiger Systeme bleibt dabei der Nahverkehr mit Bussen und Bahnen. Das ist in Metropolen wie Berlin nicht zuletzt eine Platzfrage. Eine U-Bahn bringt über 700 Menschen gleichzeitig schnell und umweltfreundlich an ihr Ziel. Und in der Hauptverkehrszeit fahren 160 Züge durch Berlin. Die gleiche Anzahl an Menschen in kleinen individuellen Fahrzeugen, würde zwangsläufig zum Kollaps auf den Straßen führen. Neben dem Hochleistungsnahverkehr wird es in Zukunft aber auch individuellere Angebote geben, die clever mit dem System verknüpft sind. Das können fahrerlose Kleinbusse sein, wie wir sie aktuell testen. Das können digitale Rufbusangebote für geteilte Fahrten sein, wie wir sie gemeinsam mit einem Partner derzeit vorbereiten. Nur eins hat im städtischen Verkehr der Zukunft sicher keinen großen Stellenwert mehr: das eigene Auto.
Im Gespräch ist immer wieder, dass die BVG-App künftig zur „Hauptmobilitätsapp“ werden könnte. Was kann man sich darunter vorstellen?
Richtig. Das ist unser Ziel. Wir wollen die Mobilität der Zukunft in unserer Stadt maßgeblich mitgestalten. Schon heute hat unsere App über 3,5 Millionen Nutzer. Sie kann und wird sich natürlich in Kooperation mit vielen anderen Verkehrsakteuren zu einer Art Mobilitätsplattform entwickeln. Dabei spielt die gut durchdachte und aufeinander abgestimmte Verknüpfung von klassischem Nahverkehr mit Sharing-Angeboten eine herausragende Rolle. Hier wird die Palette von Fahrrad, über E-Scooter, Carsharing Autos, vielseitigen Taxiangeboten und künftig sicher auch bis zu autonomen Fahrzeugen reichen. Wir wollen den unkomplizierten Umstieg ermöglichen, Bahnhöfe und Haltestellen sollen zu multifunktionalen Mobilitätsstationen werden.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
Beim Berliner Nahverkehr kann man besichtigen, wohin eine falsche Ideologisierung der Verkehrspolitik in Summe nach Jahrzehnten führt:
1. Ideologie (50er/60er Jahre, autogerechte Stadt): Straßenbahn ist altmodisch; Ergebnis: West-Berlins Straßenbahn, die in wichtigen Bereichen unabhängig trassiert war (nach Lichtenrade, Spandau etc.), wurde komplett abgeschafft. Jetzt wird sie in Kleinststückchen im Schneckentempo wieder aufgebaut.
2.Ideologie: Ökologie duldet keinen U-Bahnbau (Grüne; 90er Jahre bis jetzt). Ergebnis: In Berlin ist bis auf Miniabschnitte (Pankow, Hermannstr.) seit Mitte der 90er Jahre keine U-Bahn neu gebaut worden. Ergebnis: ein gigantisches und umweltschädliches Busnetz in West-Berlin.
Erst jetzt getraut man sich überhaupt wieder, über neue U-Bahnstrecken nachzudenken, so stark war die geistige Dominanz der ökologischen U-Bahn-Gegner. Gegenbeispiel: Wien - neue U-Bahn und neue Straßenbahnstrecken.
Wenn Frau Nikutta auf Brennstoffzellenbusse und -bahnen umsteigt, hat sie wenigstens das Problem erledigt.
Den Treibstoff dafür kann sie im übrigen auch selber herstellen. Strom für Batterien muss sie jedoch teuer einkaufen.
Also ich wuerde darauf nichts setzen. Aber danke fuer den Lacher zum Wochenende.
Viele aktuelle Stau-Brennpunkte, in Berlin, sind direkt, auf die Politik unterstützte arrogante Fehlplanung der BVG zurück zu führen! Im "Ost" Teil der Stadt, hat der vom BVG-Wahnsinn verursachte Stau, jetzt die BVG selber oft am Wickel! Was mich persönlich unheimlich erfreut! Ein schönes, direktes, Beispiel ist die Rudower Chaussee in Adlershof! 3 Ampeln auf 100 Meter Länge, 5 auf 300 Meter, alle mit BVG Vorrangschaltung. An diesen,im politischen Wahn, auf die spitze getriebenen Ampel-Horror, verzweifeln nicht nur Autofahrer, auch Fußgänger haben das Nachsehen! Da der Hass auf Autofahrer und der Wille diese zu schädigen, fest zur Berliner political correctness gehören, prüft niemand mehr den Schwachsinn, der von der BVG Obrigkeit in den Ähter geblasen wird. So erwarte ich das selbe Desaster am Bahnhof Schöneweide und, auch wieder, Dank der BVG, haben wir es ja schon an der Tresskow Allee. Die Steigerung des Stau-Wahnsinns und der Unverhältnismäßigkeit, ist der Bau der U-55