- „Ich habe diese Körperlichkeit innig geliebt“
Der Filmregisseur Wim Wenders präsentiert auf der diesjährigen Berlinale mit PINA seinen ersten 3D Film. Es ist eine Hommage an die legendäre Choreographin Pina Bausch, die kurz vor den Dreharbeiten verstarb. Im Interview mit Cicero Online verrät Wenders, warum es diesen Film mit Pina Bausch so nie gegeben hätte.
Bei der Premiere ihres Filmes gab es u.a. von der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten viel Applaus und es fielen große Worte. Für einen Film über eine Frau, die wiederum keine Frau der großen Worte war, ja eigentlich kaum ihre Stimme gebraucht hat.
Pina Bausch hat nicht besonders an Worte geglaubt. Pina hat eine andere, eigene Sprache. Das hat ihren Blick geschärft. Sie hat unsere Worte fast verlernt.
Sie haben Pina Bausch vermutlich auch hinter der Bühne sehr intensiv beobachtet, um sich in diese Arbeit einzufinden?
Ja, zu der Zeit, als wir dachten, wir machen den Film gemeinsam, hat sie mich bei den Proben zuschauen lassen. Sie wollte jedoch nicht ihre eigene Arbeit interpretieren müssen. Aber das hätte ich auch nicht von ihr verlangt. Das war dann auch unsere Maxime für den Film, den wir dann ohne Pina gemacht haben. Es war von Anfang an klar, erklären würde ich die Arbeit nicht, dass habe ich Pina versprochen.
Ist bei diesen Proben auch gedreht worden?
Nein, ich hatte Pina nie vor der Kamera. Im Juli 2009 waren wir mit dem gesamten Team in Wuppertal, wollten zum ersten Mal mit den Tänzern und Pina drehen, um ihr zu zeigen, was wir vorhaben, damit sie es sehen, damit sie es verstehen kann. Alle Materialen und die Kameras waren bereits verpackt als Pina plötzlich starb.
Warum ist der Film in 3D gedreht? Der Tanz und die Tänzer sind doch bereits aus sich heraus enorm ausdruckstark. Warum bedurfte es eines derartigen technischen Mittels?
Die Tänzer sind in der Tat sehr ausdruckstark, mit ihrer enormen Körperlichkeit, mit einer ansteckenden Körperlichkeit. Diese Körperlichkeit habe ich innig geliebt, sie ist mir wirklich tief ins Mark gegangen. Bei ihrem Tanz habe ich mich zum ersten Mal wirklich beteiligt gefühlt. Beim Ballett ist mir das nie passiert. Pina hat mich wirklich beteiligt. Doch diese Unmittelbarkeit, diese Körperlichkeit der Tänzer, konnte ich mit meiner Kamera nicht einfangen. Ich stand wie vor einer großen Wand, dahinter die Tänzer. Ich war nicht in deren Reich, in deren Raum, ich konnte nicht dorthin mit meinen Kameras. Das war wie verhext. Ich wusste nicht, dass mir 3D fehlte, ich wusste nur, dass ich aus irgendeinem Grund nicht an die Tänzer herankam. Ich musste Pina oft erklären, warum wir den Film immer noch nicht machen konnten, obwohl ich jeder Zeit hätte alles stehen und liegen lassen wollen, um den Film zu machen. Aber ich wusste nicht wie, ich kam nicht an die Tänzer heran. Auch das Studium anderer Tanzfilme hat mir eigentlich nur bewiesen, das niemand wirklich weiß, wie man filmisch in den Tanz hineinkommt, in dieses Königreich. Mein erster 3D-Versuch hat mir dann die Tür aufgemacht und ich konnte durch diese Wand hindurch, in diese ganz eigene Welt des Tanzes.
Hat sie der 3D Filmdreh irgendwie eingeschränkt. War es schwierig Bewegungen einzufangen?
Als wir mit dem Dreh begonnen haben, war das historisch der erste Moment, da man so etwas überhaupt hätte machen können. Es gab nun die Software, die Kameras, um natürliche Vorgänge, um Bewegungen, Menschen real live vor der Kamera aufzunehmen. Und zwar so, dass es fließend und elegant aussah. Vorher ging das noch nicht. Entsprechend klobig war unser erstes, teilweise selbstgebautes Equipment. Die ersten Aufnahmen haben wir mit einem riesigen Technikungeheuer gemacht. Schienen konnte ich da nicht legen, daher haben wir diese fliegende Kamera erfunden. Beim zweiten Dreh hatten wir dann schon leichtere Kameras, so dass wir viel flexibler arbeiten konnten.
Welchen Einfluss hat die 3D-Technik auf die filmische Dramaturgie im Besonderen und auf den Dreh im Allgemeinen?
Wir haben sehr schnell gemerkt, dass gewohnte Kamerabewegungen oder gar schnellere Schwenks, dass das alles nicht möglich war, weil jeder noch so kleine Fehler sofort multipliziert oder zum Quadrat erhoben wurde und fürchterlich aussah. Wir mussten also anders vorgehen. Wir haben gelernt die Kamera neu zu bewegen, mussten einsehen, dass Perspektivwechsel schwierig sind, da wir damit das Raumgefühl verändern. Im Actiongenre wird das zwar viel gemacht, letztlich ist das aber immer auch ein bisschen unangenehm und anstrengend für das Auge. Wir wollten daher viel bescheidener vorgehen, auf Objektivwechsel verzichten und mit einer Weite drehen. Wir haben uns im Vorfeld sehr mit der Physiologie des Sehens befasst, uns angeschaut, was ist für das Auge angenehm, was schwierig, was macht Kopfschmerzen. Wir wollten kein Action 3D, sondern ein anderes 3D.
In ihrem Film sind die Gesichter der Tänzer dem Zuschauer näher als im Theater. Ist das vielleicht ein Mehrwert des Films im Vergleich zum Theater, dass die Gesichter nun die Geschichten unmittelbarer miterzählen können?
Ich habe von jedem dieser Tänzer wirkliche Portraits gedreht, weil ich dieses Orchester von Pinas Stimmen, ihre Körperstimmen, auch vorstellen wollte und weil ich unbedingt zeigen wollte, dass es die Tänzer sind, die diese Sprache jetzt weitersprechen, diese Kunst weitertragen. Tanztheater kann man nicht weitergeben. Kein anderes Ensemble wird Pinas Stücke spielen können. Diese Stücke gibt es nur, weil es dieses Ensemble gibt. Tanztheater ist sehr fragil. Es verschwindet, wenn es nicht aufgeführt wird. Dessen war sich auch Pina bewusst. Das war auch Pinas große Last und einer der Gründe, warum wir diesen Film machen wollten. Pinas Ensemble spielt eine ganz wichtige Rolle. Es ist Pinas Gesicht geworden. Das wollte ich zeigen.
Sie haben gesagt, dass der Körperausdruck von Pina Bausch und ihren Tänzerinnen etwas ist, was sie als Filmregisseur, der mit bewegten Bilder arbeitet, so nicht kannten. Haben sie beim Filmen Dinge entdeckt, die sie auch in einem Spielfilm einsetzen könnten?
Als Filmregisseur hat man natürlich schon mit der Körpersprache der Schauspieler zu tun. Die sagenumwobene Präsenz eines Filmstars ist eine Umschreibung dafür, dass jemand eine besondere Beziehung zur Kamera hat. Es gibt Leute, die haben eine elektrisierende Präsenz. Das ist ihre Körpersprache. Ich hab von Pina gelernt, dass das was wir als Filmregisseure davon wissen, nicht das ist, was Pina herausgefunden, was sie gesehen und wofür sie ihren Blick geschärft hat. Wir sind in dieser Beziehung Analphabeten, wir können vielleicht das kleine Einmaleins, aber Pina hat da wirklich eine Anthologie geschaffen und einen Einblick in die Körpersprache und in die Psychologie des Körpers gefunden, der uns Filmemachern noch fremd ist. Und wir haben ja auch so viel anderes zu beachten: Die Geschichte, die Schauspieler, die Charaktere, den Dialog. Im Film gibt es all diese Dinge zu beachten, die letztlich diese Körperlichkeit verdecken.
Sie zeigen am Ende des Filmes einen Menschenzug auf einem Hügel in einer Kohlegrube. Sind das bewusste oder unbewusste Bergmann-Assoziationen?
Die Menschenkette auf dem Hügel ist ganz deutlich eine Anlehnung an Ingmar Bermann. Eigentlich wollten wir in dieser Grube in Bottrop, in dieser Mondlandschaft anfänglich nur um einen See herum drehen. Aus dem Augenwinkel sah ich dann diesen Hügel. Ich hatte meine Tänzer bereits hoch geschickt, und als sie da hochgingen, sah ich dieses Bild und musste an das Siebente Siegel von Ingmar Bergmann denken. Ich hatte Glück, dass mein Kameramann mich sofort verstanden hatte. Mehr als zwei Minuten hatten wir dafür nicht. Das war sozusagen die letzte Einstellung. Ohne Probe. Es war also ganz viel Glück, das ich das aus dem Augenwinkel habe sehen können. Die Szene erinnert zwar optisch an Bergman, ist aber irgendwie auch das Gegenteil davon, weil sie voller Lebensfreude steckt.
Die Verlagerung der Szenerie von der Bühne in das unmittelbare Wuppertaler Umfeld, der Tanz zwischen Grube und Schwebebahn, ist diese Idee bereits mit Pina Bausch entstanden? Nein, mit Pina wollten wir eigentlich in die Welt hinaus. Nach Südamerika, nach Asien. Die Arbeit mit Pina hätte aber vor allem auf der Bühne stattgefunden. Ohne Pina mit Ensemble nach Südamerika zu reisen, habe ich dann verworfen. Schließlich hat sich ein neues Konzept herauskristallisiert. Das große Loch das Pina hinterlassen hat, konnte letztlich nur von diesem Kessel gefüllt werden, von ihren Tänzern. Also habe ich mich entschieden, mit den Tänzern rauszugehen. Auch ein Film Pinas von 1990, der Außenaufnahmen zeigt, hat mich dazu ermutigt. Es ist uns aber auch gar nichts anderes übrig geblieben. Das Stadttheater Wuppertal wurde im Frühling geschlossen und wir hatten keine Bühne mehr. Ich wollte, dass die Stadt Wuppertal, in der Pina 30 Jahre lang lebte, die sie inspirierte, auch Teil des Films wird. Den Tanz hinauszutragen in die Stadt, war eine wunderschöne Aufgabe. Ich kenne das Ruhrgebiet gut. Diese Halde, in der wir drehten, war nur zehn Kilometer von meinem Gymnasium entfernt. Ich wusste es gibt diesen Wahnsinns Berg, diese Wüste mitten im Ruhrgebiet. Eine Kulturlandschaft, die einzigartig ist auf der Welt.
In welchem Ausmaß hätten Sie Pina Bausch in diesen Film integriert, wenn Sie mit ihr diesen Film gemacht hätten?
Dann hätten wir diesen Film nicht gemacht. Dann wäre es Pinas Blick auf ihr Ensemble gewesen und nicht der Blick des Ensembles auf Pina.
Herr Wenders, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Timo Stein
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