- „Es sollen nicht Krankheiten, sondern die Kranken selbst eliminiert werden“
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist nicht mit der Menschenwürde vereinbar, sagt er:
Der Philosoph Robert Spaemann im Interview über die brutalen Konsequenzen unserer Gesellschaftsprinzipien, die Frage nach dem Sinn des Lebens und den Einspruch der Kanzlerin.
Professor Spaemann, seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist in Deutschland die Präimplantationsdiagnostik (PID) faktisch erlaubt. Angela Merkel hat dafür plädiert die Rechtslücke zu schließen, und die PID grundsätzlich zu verbieten. Würden Sie das befürworten?
Nun, es gäbe zum Thema Embryonenschutz sicher noch andere, wichtigere Punkte, aber ich wäre unbedingt dafür.
Aus der Union heißt es: Mit einem Verbot der PID würde man ein grundsätzliches Werturteil über das Leben an sich fällen. Das klingt gewaltig. Aber ob mit oder ohne PID: Die überzähligen Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung entstehen, werden doch in jedem Fall vernichtet. Ganz egal, ob vorher geprüft wurde, ob sie nun gesund sind oder nicht. Und selbst nachdem ein Embryo in die Gebärmutter einer Frau eingepflanzt wird, kann in Deutschland grundsätzlich jedes Kind bis zum dritten Monat problemlos abgetrieben werden. Wozu also die Aufregung ausgerechnet um die PID?
Sie haben vollkommen Recht, es bleiben an vielen anderen Stellen Lücken, an denen menschliches Leben geopfert wird. Trotzdem: Eine Entscheidung gegen die PID hätte auch eine große Symbolkraft. Es heißt immer, wer A sagt, muss auch B sagen, doch das stimmt nicht immer. Manchmal zuckt man vor dem B zurück, und muss anschließend auch A revidieren. Ein bisschen so ist es mit der PID: Die Kanzlerin weigert sich B zu sagen, vielleicht ringt sie sich eines Tages dazu durch, auch A zu streichen.
Wie beurteilen sie als Moralphilosoph grundsätzlich die Haltung unserer Gesellschaft zum Leben?
Es geht uns zunehmend gar nicht mehr ums Leben selbst, sondern um Wohlbefinden. Das oberste Gesetz unserer Gesellschaft ist heute: Wohlbefinden vermehren, Leiden vermeiden. Aber wenn dies unser oberstes Prinzip ist, hat das ganz brutale Folgen. Und sie betreffen nicht nur unseren Umgang mit Embryonen, sondern auch mit dem Thema Sterbehilfe. In Holland werden heute schon Leute ohne ihre Zustimmung zu Tode befördert. Man muss sich klar machen, in welche Richtung sich das entwickeln kann. Goebbels hat damals sein Euthanasieprogramm mit „Ich klage an“ vorbereitet, einem Film, der übrigens nur mit Mitleid operiert: Eine kranke Frau bittet darum getötet zu werden und ihr barmherziger Mann tut das schließlich. Am Ende wird er vor Gericht angeklagt, der Sinn des Filmes war es, das Gesetz anzuprangern, das Sterbehilfe unter Strafe stellt. Goebbels wollte damit freie Bahn für die Massentötung schaffen. Aber es begann mit dem hedonistischen Argument, mit Mitleid.
Für uns ist der Sinn des Lebens heute, Träger angenehmer Gefühle zu sein. Wenn es das nicht mehr ist, dann hat es zu verschwinden. Man versucht dem Leidenden zu helfen, aber wenn das nicht mehr gelingt, dann beseitigt man ihn.
Die FDP fordert, die PID unter Einschränkung auf bestimmte kritische Situationen zuzulassen. Wäre das nicht ein sinnvoller Kompromiss?
Nein, diese Einschränkung wird sich in der Praxis ganz sicher nicht durchhalten lassen. Und die FDP zeigt mit diesem Vorschlag, dass sie das Problem weder verstanden hat, noch es verstehen will. Aus ihren Reihen hieß es kürzlich, die PID sei doch wichtig und etwas Gutes, denn man könne damit Krankheiten eliminieren. Das ist ein katastrophaler Sprachgebrauch und eine Lüge, denn es sollen ja eben im Ernstfall nicht die Krankheiten, sondern die kranken, ungeborenen Kinder selbst eliminiert werden. Wie gesagt: Den Leidenden zu beseitigen um das Leiden abzuschaffen, das kann unmöglich die Lösung sein.
Nun geht es den Verteidigern der PID ja vor allem auch um die Frau: Indem man ihr die Möglichkeit nähme, sich gegebenenfalls nach einer PID gegen ein Kind zu entscheiden, mute man ihr stattdessen später eine Abtreibung zu – eine höhere Belastung für die Frau, mit gleichen Folgen für das Kind.
Das ist natürlich völlig richtig, und gleichzeitig vollkommen pervers. Es später abzutreiben ist genauso schlimm, wie es vorher zu vernichten. Und wenn - wie es auch das Verfassungsgericht festgestellt hat - menschliches Leben tatsächlich mit der befruchteten Eizelle beginnt, dann endet jedes weitere Kalkül darüber ob es nun eine Zumutung für die Frau ist, oder nicht.
Demnach zählt für Sie auch das Argument, die PID würde die Zahl der Abtreibungen verringern, nicht?
Selbst wenn das stimmt, spielt es keine Rolle. Wenn die Frage ist: Darf dieses Kind leben oder nicht, dann darf die anschließende Frage doch nicht sein: Aber was für Folgen hat es, wenn es lebt? Man redet in dem Zusammenhang immer von der Entscheidung der Frau. Aber ob ich einen Menschen, der einmal in die Existenz getreten ist, selbst im embryonalen Zustand, ob ich den am Leben lasse, oder nicht, kann keine Frage der Entscheidung sein. In meinem näheren Umkreis ist übrigens vor einem Jahr ein Kind geboren worden, bei dem schon in der pränatalen Untersuchung ein schwerer Fall von Gaumenspalte festgestellt worden ist. Die Mutter wäre mir ins Gesicht gesprungen wenn ich sie gefragt hätte ob sie sich für das Kind entschieden hat. Sie hätte gesagt: Hältst Du das wirklich für eine Entscheidung die ich habe? Das Kind ist doch da, welche Alternative habe ich denn? Sie hatte es sehr schwer, das Baby wurde ein Jahr lang von der Sonde ernährt, aber allmählich löst sich das Problem. Und das Kind ist immer heiter, und eine Freude für die ganze Familie. Es gibt viele solcher Fälle, und oft sind gerade kranke Kinder ein großes Glück für die Familie, so merkwürdig das klingt.
Inwiefern?
Weil auf einmal eine völlig neue Solidarität in der Familie entsteht. Nur, das alles sind müßige Überlegungen wenn klar ist, dass das Personsein, das Menschsein des Menschen nicht irgendwann datiert werden kann, sondern dass es Respekt verdient wenn es einmal da ist. Der Gedanke der Entscheidung für oder gegen das Kind sollte dabei aus dem Sprachgebrauch verschwinden, hier gibt es nichts zu entscheiden.
Sie sprachen von Sterbehilfe und Abtreibung. Offensichtlich fällt es uns besonders an den Rändern unserer Existenz, dort wo menschliches Leben beginnt und endet, schwer eine klare Haltung zum Wert des Lebens zu finden. Warum eigentlich?
Weil genau dort die Frage nach der Würde des Lebens als solche auftaucht. In der Mitte des Lebens gilt es glücklich zu sein, dazu passt eine Morddrohung nicht. An den Rändern des Lebens dagegen kann es passieren, dass das Ziel des maximalen Wohlbefindens nicht mehr erreichbar ist. Dass das Leben als Träger freudiger Gefühle nicht mehr funktioniert, egal was man tut. Aber genau an diesem Punkt erweist sich eben, ob man begriffen hat, was die Würde des Menschen heißt. Und ich wehre mich übrigens dagegen vom „Wert des Lebens“ zu sprechen...
Weshalb?
Weil Werte immer nur für den Menschen da sind, sie haben eine Funktion: Freundschaften, Familie, und so weiter. Aber das Wesen, für das Werte Werte sind, kann nicht selbst wieder ein Wert sein. Für wen sollte dieser Wert sein? Kant sagt ganz richtig: Der Mensch hat keinen Wert, sondern eine Würde. Werte sind gegeneinander abwägbar, die Würde nicht. Darum kann man sagen: Die Grundrechte konkurrieren gelegentlich miteinander, dann muss man sie gegeneinander abwägen. Wissenschaftsfreiheit impliziert zum Beispiel nicht das Recht, fremdes Leben zu verwerten und zu vernichten. Aber die Würde des Menschen selbst lässt sich mit nichts anderem abwägen. Überhaupt wird bei uns viel zu viel von Werten geredet. Da braucht nur jemand mit einem anderen Wertesystem kommen, und schon können wir uns die Ganzen Überlegungen sparen.
Noch einmal zurück zur Präimplantationsdiagnostik: Angela Merkels Forderung nach einem Verbot der PID kam überraschend, viele vermuten, mit ihrem Vorstoß wolle die Kanzlerin lediglich den konservativen Flügel der Union bedienen...
Die Tatsache dass Merkel früher anderer Meinung war, spielt eigentlich keine Rolle. Entweder sie hat ihre Meinung aus Opportunismus geändert, oder sie hat sich überzeugen lassen, in jedem Fall scheint es mir gut zu sein, dass sie da Position bezieht. Im Übrigen habe ich es nicht so gerne, hier vom „konservativen“ Flügel zu sprechen. Denn was heißt „konservativ?“ Der Gegensatz soll wohl „fortschrittlich“ sein. Aber um zu begreifen, was man unter „fortschrittlich“ versteht, muss man zuerst einmal wissen, wohin der Fortschritt geht. 1933 hat man Menschen, die keine Nazis wurden, gesagt sie seien gegen den Fortschritt. Die ganze Nazibewegung definierte sich als fortschrittlich. Also, es gibt Fortschritte in der Medizin, Fortschritte in der Narkosetechnik, Fortschritte in der Entwicklung von Atombomben. Aber überall dort, wo das Wort Fortschritt im Singular benutzt wird, da zucke ich zusammen, da will jemand betrügen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Constantin Magnis
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