- Schenkt den Kindern Billigschrott
Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Heute wachsen die Kinder damit auf, dass ihr Spielzeug innerhalb kürzester Zeit den Geist aufgibt. Beste Voraussetzung für ein wirklich authentisches Bedürfnis nach Nachhaltigkeit
Jetzt, da die ersten Sollbruchstellen an den Weihnachtsgeschenken zu Tage treten, da pinke Retro-Wecker den Geist aufgeben, Edelsteine aus Diademen kullern, Star-Wars-Leuchtstäbe erkalten und Wackelkontakte das Spielzeughandy erschüttern, ist es Zeit für eine Feststellung: Kein Mensch glaubt an den Weihnachtsmann, an Wichtel und Engel, die in emsiger Handarbeit und mit der Stichsäge zu Werke gehen – und am Ende diese Mengen an Ramsch produzieren.
„So etwas kann man ja nicht basteln“, stellt auch die Älteste mit Blick auf ihre Elektronikgaben unter dem Tannenbaum fest. Ihr Glauben an Weihnachtsmann und Christkind hat nicht zuletzt die mangelhafte Verarbeitung der Himmelsgaben maßgeblich erschüttert.
Weisere Konsumenten
Man wundert sich doch immer wieder, dass selbst wir Erwachsenen auf all den hübschen, aber doch einfach zu billigen Tand hereinfallen. Aber ich schöpfe Hoffnung. Ich habe das Gefühl, kommende Generationen schlagen den gewieften Unternehmern der Spielzeugindustrie ein Schnippchen. Sie müssten dank der immerwährenden Enttäuschung zu weiseren Konsumenten heranwachsen als wir und die einst darbenden Nachkriegsjahrgänge es je sein konnten. Denn was kann es Wirkungsvolleres geben als den pawlow‘schen Frusteffekt eines gerade lieb gewonnenen Spielzeuges, das schon nach wenigen Tagen den Geist aufgibt – und das immer und immer wieder?
Das Bundesumweltamt hat kürzlich die Erkenntnisse aus einer Studie zur Obsoleszenz von Elektro- und Elektronikgeräten der Öffentlichkeit mitgeteilt Da ist viel von Zahnrädern aus Billigkunststoff und hitzeempfindlichen Bauteilen an den bewusst richtigen Stellen die Rede. Eine folgende Konferenz „Wider die Verschwendung“ sollte Wege aus der Wegwerfgesellschaft aufzeigen. Vorbilder wie Frankreich werden in der Debatte angeführt, das den geplanten Einbau von Sollbruchstellen in Geräten mit zwei Jahren Haft und 300.000 Euro Geldstrafe ahndet.
Wir brauchen eine Kultur der Reparatur
Wolfgang Heckl, Physiker und Generaldirektor des Deutschen Museums in München, sieht eine Zeitenwende bevorstehen: Nicht mehr Wegwerf- sondern Reparaturgesellschaft! Ressourcenknappheit führe dazu, dass nicht mehr das Ausrangieren im Vordergrund stehe, sondern der upgecycelte Rucksack zum typischen Accessoire einer schönen neuen Welt würde.
In seinem Buch plädiert Heckl für eine „Kultur der Reparatur“ und zieht selbstgestrickte Wollschals und Repair Cafés, von denen das erste 2009 in Amsterdam gegründet wurde, und das sich heute in jeder deutschen Großstadt findet, als Indizien heran.
All diese Anzeichen wirken heute noch als allzu angestrengte Bemühungen einiger weniger Moralapostel. In Zukunft könnte aber eine Generation, die mit all dem Billigschrott aufwächst und davon die Nase voll hat, ein wirklich authentisches Bedürfnis nach Nachhaltigkeit entwickeln. Die Industrie wird es merken, wenn sie die vielfach desillusionierten Kinder einer entzauberten Glitzerwelt eines Tages als Kunden verloren hat.
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