- Verfassungsschutz stoppte Entschuldigungsbrief von Mitarbeitern
Der NSU mordete über Jahre – und der Verfassungsschutz will davon nichts gesehen haben. Agenten in Brandenburg wollten sich bei den Angehörigen der Opfer entschuldigen. Doch Vorgesetzte stoppten die Aktion. In einer Dokumentation, die WDR und SWR am Montag und Mittwoch zeigen, gelang es Reportern erstmals, 40 Nachrichtendienstler zu befragen
Viel wird dieser Tage über den deutschen Verfassungsschutz geredet. Über seine Fehler und Versäumnisse, über das Nicht-Entdecken von „NSU“ und das Schreddern danach. Was genau aber die mehr als 5000 Mitarbeiter in 16 Landesämtern und dem Bundesamt für Verfassungsschutz ganz praktisch tun und welche Menschen für den Nachrichtendienst arbeiten, was sie motiviert und bewegt, das ist – natürlich – geheim.
Muss das so sein? Ist das vielleicht schon ein Teil des Problems, dass die Öffentlichkeit keine Ahnung hat, was sich hinter den Kulissen abspielt? „Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?“ – das ist eine durchaus gängige Außenansicht. Wir wollten wissen: Wer sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort arbeiten? Vor einem Jahr sind wir mit dieser Fragestellung an die Arbeit gegangen und haben versucht, die Geheimen zu etwas mehr Offenheit zu bewegen. Mit dem Anspruch, alles fragen zu dürfen – und der Hoffnung, ehrliche Antworten zu bekommen. Und mit dem Angebot, dafür Anonymität zu bieten. Ein Deal, den der Verfassungsschutz eigentlich gut kennen sollte.
Ausgerechnet das biedere Baden-Württemberg war das erste Amt, das in den Deal einschlug: Mehr als ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fanden sich bereit, vor der Kamera „auszupacken“: „Schämen Sie sich nach NSU, Verfassungsschützer zu sein? Was sagen Ihre Freunde? Wissen die überhaupt, wo sie arbeiten?“. Die Offenheit der Antworteten zu „NSU“ erstaunt: „Es hat mich straucheln lassen“, sagt ein Beamter in Sachsen. Von „Stockfehlern“ spricht eine leitende Verfassungsschützerin in Stuttgart, die „fassungslos“ ist und sagt „ich habe selbst Freunde mit Migrationshintergrund – wie erklärst Du das denen?“
Entschuldigungsbrief an NSU-Opfer gestoppt
In Brandenburg fand sich 2012 in dieser Stimmung eine Gruppe Verfassungsschützer zusammen, die den Angehörigen der NSU-Mordopfer einen Brief schreiben wollte. Um sich zu entschuldigen. Nicht für eigene Fehler. Sondern für den eigenen Berufsstand. Doch der Brief wurde nie abgeschickt, Vorgesetzte stoppten die Initiative. Carlo Weber, Chef des zuständigen Verfassungsschutzes in Brandenburg – der allerdings erst danach den Posten übernahm – erklärte: Auch Polizei und Justiz hätten ja viele Fehler gemacht. Eine solche Initiative sei deshalb „keine gute Idee“. Der Versuch einer starken Geste gegenüber den Angehörigen der NSU-Opfer versandete auf dem Dienstweg.
Es gehört zu den widersprüchlichen Erfahrungen unserer Recherche unter 40 Verfassungsschützern: Persönlich berührte Beamte wollen sich entschuldigen; der Apparat will es nicht zulassen. Als wir in anderen Ämtern nach der Brandenburger Initiative fragen, zeigen sich viele Kolleginnen und Kollegen – darunter auch Präsidenten – aufgeschlossen, ja begeistert von der „wundervollen“ Idee. Und doch fand und findet sie nicht statt. Letztlich sind wir auch nur eine Verwaltungsbehörde mit Sonderbefugnissen, sagt ein Mitarbeiter.
Der Verfassungsschutz habe mit „James Bond“ nichts zu tun. Auch das ist nicht unsere Erkenntnis, sondern ein Zitat aus den Interviews. Und trotzdem erzählen die „Operativen“ von Tempo 200 auf der Autobahn, roten Ampeln, die „alltäglich“ überfahren werden. Und als wir fragen, was denn die Geheimen über James-Bond-Filme denken, hören wir in Dresden: „Natürlich schmunzelt man. Aber ich bitte Sie um Verständnis, dass ich jetzt nicht sagen kann, an welchen Stellen“. In Potsdam ist ein Verfassungsschützer ehrlich: „Ich schaue James Bond, weil ich gerne schöne Frauen und tolle Urlaubsziele sehe.“ Ein anderer sagt mit einem Leuchten in den Augen: „Es ist aufregend, einen eigenen Panzerschrank zu haben!“
Verfassungsschützerin findet Snowden-Enthüllungen „unanständig“
Und dann fragen wir natürlich auch nach der NSA-Affäre. Hätte man vor Edward Snowden einschlägige US-Filme über Geheimdienste angesehen, sagt Jochen Hollmann, Chef des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt, wäre einem nicht verborgen geblieben, was die US-Dienste können. Ist das Selbstironie? Eine seiner Mitarbeiterinnen findet die Enthüllungen von Edward Snowden jedenfalls trotzdem „unanständig“. Kollegen in anderen Ämtern sind da pragmatischer. Snowden sei „hilfreich“ für das Erkennen der Defizite gewesen, räumt einer ein. Ein anderer sagt unumwunden, es sei wichtig, wenn auch Missstände der Geheimdienste angeprangert würden. Ein starker Satz.
Gar keinen Satz bekommen wir dagegen vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch hier haben wir natürlich angefragt, um Interviews gebeten. Erst hören wir monatelang nichts. Dann, nach den ersten Dreharbeiten in Stuttgart, signalisiert das Bundesamt plötzlich Interesse an unserem Projekt. Ein Interview mit Präsident Hans-Georg Maaßen wird vereinbart, Interviewpartner aus der Arbeitsebene werden gesucht. Auch Dreharbeiten bei der Ausbildung neuer Verfassungsschützer sollen möglich sein.
Doch so plötzlich wie die Zusage kommt dann wieder der Rückzug. Weil wir auch einen Kritiker, den Ex-Verfassungsschützer Winfried Ridder, zu Wort kommen lassen, lehnt das Bundesamt eine Mitwirkung ab. Und informiert über den Wiederausstieg flugs alle Landesämter. Einen Einschüchterungsversuch des Bundes könne man in dieser „Information“ über die Absage aber nicht erkennen, sagt die niedersächsische Verfassungsschutz-Chefin Maren Brandenburger, eher einen Disput darüber, wie viel Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit möglich und nötig sei.
Unter dem Strich stehen für uns zwei Erkenntnisse: Das Verhältnis von uns Bürgern zum Inlandsnachrichtendienst dürfte zweifellos entspannter werden, wenn wir mehr über unsere Verfassungsschützer wüssten. Denn vieles ist weit banaler, als man annimmt. Aber klar wurde auch: Es gibt kaum „den Verfassungsschutz“. Sondern im föderalen System mindestens so viele Meinungen wie Verfassungsschutzämter. Und das sind allein im Inland und ohne die Bundeswehr: siebzehn.
„Spitzel und Spione – Innenansichten aus dem Verfassungsschutz“ läuft am 13.10.2014 um 22:00 Uhr im WDR und am 15.10.2014 um 20:15 Uhr im SWR.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.