Zusammenhaltsforschung - Die neue Form des Gehorsams

Wenn heutzutage zu mehr Zusammenhalt aufgerufen wird, meint das fast immer: Unterwerfung unter das rot-grüne Politprojekt. Ausdruck dieses Denkens ist das Forschungsinstitut für gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Eine Gesellschaft, die permanent über Zusammenhalt redet, wird ihn niemals finden. Dort, wo Zusammenhalt nicht selbstverständlich ist und gelebter Alltag, lässt er sich auch nicht herstellen. Denn Zusammenhalt ist nichts, was sich auf dem Reisbrett sozilogischer Politberater generieren ließe, sondern erwächst spontan, aus Verbundenheit, Nähe und gemeinsamen Zielen und Interessen.

Insofern ist allein die Existenz des „Forschungsinstituts gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (FGZ) ernüchternd und beredt. Denn man erforscht bekanntlich nur das, was einem fremd ist und was man nicht kennt. Eine Gesellschaft, die allen Ernstes ein Institut zu Erforschung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes gründet, hat offensichtlich jeden gesellschaftlichen Zusammenhalt verloren – und zugleich eine Menge Steuergelder zu Finanzierung akademischer Kindereien.

Im Juli dieses Jahres ist das FGZ in seine zweite Förderphase getreten. Bis Juli 2029 bekommt das Institut aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) fünfzig Millionen Euro. Das ist gemessen an anderen Forschungstöpfen nicht viel – Sozialwissenschaften sind eben eher günstig –, dennoch ist die Frage nicht unberechtigt, was ein solches Institut zu Erforschung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes eigentlich treibt.

Überflüssige Doppelstruktur?

Gegründet wurde das Institut am 1. Juni 2020. Einen festen Ort hat das Institut nicht. Ganz im Sinne des Zeitgeistes von Netzwerken und Verbünden ist das „Institut“ ein Zusammenschluss unterschiedlicher Forscher und Arbeitsgruppen an insgesamt elf Standorten. Dort arbeitet man an – wiederum sehr zeitgeistschnittig – 83 Forschungs- und Transferprojekten, die in drei Cluster gegliedert sind.

Wenn man ehrlich ist, deutet schon der einfältige Sound progressiven Wissenschaftsmanagements und die Struktur an, dass man es hier mit einer womöglich überflüssigen Doppelstruktur zu Alimentierung des wissenschaftlichen Mittelbaus zu tun hat. Diesen bösen Verdacht könnte das Zentrum natürlich leicht durch beeindruckende und atemberaubende Forschungsergebnisse aus der Welt schaffen. Doch auch da sieht es eher mau aus: Acht Sammelbände und neuen „Working Papers“ sind auf der Homepage des FGZ verzeichnet – nach vier Jahren.

Das wäre an sich schon nicht allzu viel. Doch Titel wie „Staatsangehörigkeit und ‚Doppelpass‘: legitime Symbolik und theoretische Fallstricke”, „Wiederkehr der Vormoderne? – Varietäten des Liberalismus in einer postsouveränen Welt“ oder „Populistische Einstellungen in der Bevölkerung – Messung und Analyse anhand einer Kurzskala” zeigen, dass hier – drücken wir es vornehm aus – ein sehr breites Themenfeld beackert wird.

Ein Kessel Buntes

Schaut man dann weiter in die Publikationsdatenbank des Instituts, so erweist sich auch diese – wenig überraschend – als ein Kessel Buntes. Da sind selbstverständlich eine Reihe sehr spannender und für sich genommen interessanter Arbeiten bei. Doch die wurden an den Heimatinstituten der Verfasser erarbeitet. Ohne das FGZ gäbe es sie auch. Wo genau der Bezug zu dem Thema „Zusammenhalt“ besteht, erschließt sich nicht immer.

Das könnte natürlich auch daran liegen, dass das Thema Zusammenhalt selbst ein Wahngebilde ist. In einer Rezension spottet der Soziologe Stefan Lessenich schon vor zwei Jahren, was denn eigentlich das „Obskure Objekt der Begierde sei“ und kam zu dem Schluss, dass es sich hier um ein Problemkonstrukt der bürgerlichen Mitte handele, die mit großer Angst auf die politischen Ränder schaue.

Man kann es auch deutlicher formulieren: Das ganze Gerede vom gesellschaftlichen Zusammenhalt ist Ausdruck des Unbehagens im linksliberalen urbanen Bürgertum, die Deutungshoheit zu verlieren. Entsprechend werden alle politischen und gesellschaftlichen Strömungen, die nicht in das „progressive“ Weltbild des Justemilieu passen, als Spalter diffamiert. Nur wer sich dem Mainstream beugt zeigt, dass er Zusammenhalt möchte.

Der Begriff Zusammenhalt folgt dabei einer totalitären Logik. Denn Zusammenhalt meint Integration. Und Integration wiederum bedeutet die Herstellung einer Einheit. Diese Einheit kann es aber nur geben, wenn ein Einheitsdenken und einer Einheitsmoral herrschen. Und dieses Einheitsdenken wird vorgegeben durch jene sozialen Milieus, die die kulturelle Deutungsmacht haben. Der Ruf nach mehr Zusammenhalt ist nichts anderes als der Aufruf zum Gehorsam. Und ein Institut für Zusammenhaltsforschung Ausdruck eines Milieus, das die Welt außerhalb seiner eigenen Blase nicht mehr versteht.
 

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