- Revoluzzer im Bade
Das Gemälde „Der Tod des Marat“ von Jacques-Louis David liefert stichhaltige Argumente gegen den Staatsterror. Jener Jean-Paul Marat rief als Schreibtischtäter der Revolution zu Massakern auf. Sein Porträtist David wurde später Hofmaler Napoleons.
Worin besteht die hohe Kunst der Politik? Wohl darin, Pragmatismus und Programmatik, die zwei widerstrebenden Vektoren einer Gesellschaft, geschickt auszubalancieren. Seit anderthalb Jahren regiert in Deutschland die Ampelkoalition, wobei der Balanceakt von drei Parteien gleichzeitig zu bestreiten ist, da diese ja wiederum je verschiedene Ansichten zu Programmatik und Pragmatismus hegen. Das hört sich komplizierter an, als es die Wirklichkeit darstellt. Bestes Beispiel bietet die Schweizer Eidgenossenschaft, wo das Ampelprinzip in der Bundesverfassung von 1874 festgelegt wurde und seit 150 Jahren ganz ordentlich funktioniert. Dabei ist die Schweizer Ampel gar auf vier Farbtöne gestimmt, diese reichen von der Sozialdemokratie über die Liberalen, die Christdemokraten bis zu den Rechtspopulisten, alle in zänkischer Eintracht in den Bundesrat gewählt.
Nun gibt es aber Momente in der Geschichte, wo der kreative Antagonismus zwischen der Schwerkraft von Gewohnheit und der Fliehkraft politischer Ideale auseinanderbricht, wenn radikale Programmatik die Bremsfunktion ihres Widerparts diktatorisch außer Kraft setzt. Ein Vertreter dieser Haltung ist Jean-Paul Marat, Mitglied des Nationalkonvents, als die Französische Revolution im Juli vor 240 Jahren dem Siedepunkt zustrebte. Marat litt an einem Ekzem am Körper, von dessen Juckreiz er durch Bäder Linderung suchte. Er war der Revolutionär vom Typus Schreibtischtäter: Von der Badewanne aus heizte er den Volkszorn an über sein Agitationsblatt L’Ami du Peuple, dem Volksfreund. Seinen Hetzschriften werden die Septembermassaker von 1792 zugeschrieben, als ein aufgestachelter Mob die Gefängnisse stürmte, Hunderte wehrloser Häftlinge abschlachtete, darunter Priester und Nonnen, die von vornherein als Gegner der Revolution galten.
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Ich zitiere den Autor: ' ... Jean Paul Marat, eine tollgewordene Kellerratte, der das Versagen des öffentlichen Kanalisationssystems die Möglichkeit gibt, aus ihrer Latrine hervorzuschießen und alles wütend anzufressen, schmutzig, manisch, deformiert, luetisch und von einem unstillbaren Hass gegen alle erfüllt, die gewaschen, vollsinnig, nicht deformiert und nicht luetisch sind, der typische Vertreter des Gesindels der Revolution, der unterirdischen Existenzen, die aus Bordellkneipen und verfallenen Werkstätten, Waldwinkeln und Erdhöhlen plötzlich emportauchen ...'. Egon Friewdell, Kulturgeschchte der Neuzeit. Das Buch wurde 1938 von den nationalsozialistischen Machthabern verboten. Friedell selber, lt. Wikipedia '... Journalist und Schriftsteller, Dramatiker, Theaterkritiker und Kulturphilosoph ...' nahm sich 1938 nach dem 'Anschluss' Österreichs das Leben, als ihn SA-Schergen 'abholen' wollte. Ihm besten Ger-Money aller Tage und Zeiten zitiert man ihn besser nicht.
... gäb´s neben dem Dank an Beat Wyss und Cicero auch mal für solche Themen festzuhalten, dass es da anscheinend einen erwischt hat, der in einem anderen Sinn "das Kind mit dem Bade" ausgeschüttet hat - als ob Massaker an x-beliebigen Leuten auch "das Böse resp. Falsche" ausrotten könnten (wer oder was auch immer von den jeweiligen Betrachtern und Apologeten so bezeichnet wird).
Parallelen zu heutigen Akteuren mancher Couleur sind rein zufällig, aber nicht immer von der Hand zu weisen, wenngleich anstelle von - gottbewahre - Messermorden im Zeitalter von Demokratie lediglich an Abwahl zu denken wäre!
fraktal, da gibt es keine Symmetrien, das zeigt auch deutlich die jetzige kuriose Ampel-Regierung. Marat und natürlich Robbespierre hielten sich für die Inkarnation der Revolution, die sie beständig gefährdet sahen. In seinen Reden sprach Robbespierre sogar von der Reinheit der Revolution und der Unreinheit der angeblichen Gegner der revolutionären Bewegung. Wenn sich Personen und Gruppen für die Inkarnation einer überwertigen Idee halten, dann kommt es zu destruktiven Entwicklungen oder Verwerfungen. Die Revolution widerlegte sich selbst und scheiterte an ihrem Terror, in anderen Fällen werden die Ideenführer schliesslich von der Realität gebeugt. Marats Stärke bestand darin, das einfache Volk durch demagogische Schriften ("L'ami du peuple") und Diskurse aufzustacheln, um seine Rolle als Inkarnation der Revolution weiterspielen zu können. Mehr hat er nicht er nicht geleistet.
... danke für diese Ergänzung. "Wenn sich Personen und Gruppen für die Inkarnation einer überwertigen Idee halten, dann kommt es zu destruktiven Entwicklungen oder Verwerfungen." Das ist des Pudels Kern, und das meinte ich mit "(... rein zufälligen ...) Parallelen zu heutigen Akteuren mancher Couleur".