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Der irrsinn der Identitätspolitik - Das Recht der lautesten Empörung

Der Fall einer weißen New Yorkerin, die einen schwarzen Spaziergänger zu Unrecht als Angreifer denunziert hat, hat ein Licht auf den Rassismus geworfen. Der ist tief im liberalen Bürgertum verwurzelt. Und er hat dazu geführt, dass sich die Opfer verbünden und immer absurdere Forderungen stellen.

Bernd Stegemann

Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

So erreichen Sie Bernd Stegemann:

Wer sich noch immer fragt, was Rassismus ist und wie alltäglich er sich in unserer westlichen Gesellschaft zeigt, der schaue sich das kurze Video aus dem Central Park von Anfang Juni an, das im Internet millionenfach geklickt wurde.Das Video wurde von einem jungen Mann aufgenommen, der mit einer Frau in Streit geraten ist. Der filmende Mann ist selbst nicht zu sehen, sondern nur seine ruhige Stimme zu hören. Er bittet die Frau, nicht näher zu kommen und ihren Hund doch anzuleinen.

Die Frau regt sich darüber auf und droht dem Mann, die Polizei zu rufen. Der Mann fordert sie auf, das zu tun, denn er fühlt sich im Recht, da Hunde in diesem Teil des Central Parks angeleint werden müssen. Doch ungeachtet ihres Fehlers ruft die Frau die Polizei an. Und nun hört man die wenigen Sätze, die zu einem veritablen Skandal geführt haben: „Hier ist Amy Cooper. Ich gehe im Central Park spazieren und hier ist ein afroamerikanischer Mann, der mich filmt und belästigt. Er bedroht mich und meinen Hund.“ 

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Marianne Bernstein | Fr., 12. Juni 2020 - 13:02

Oder fehlt der Schluss, weil die "rassistische" Polizei nicht rassistisch gehandelt hat und vielleicht sogar ein schwarzer Polizist (ja, so etwas gibt es in den USA!) erschienen ist.

Amy Cooper hat wohl eingesehen dass sie den Vogelbeobachter (der zufällig auch Cooper heißt ) zu Unrecht beschuldigt hat, und dass dieser mit der freundlichen Aufforderung den Hund anzuleinen sehr wohl im Recht war. Sie hat sich entschuldigt und diese wurde auch angenommen. Das Video soll bei you-tube sein. Amy Cooper hat wegen ihres unbestreitbaren " white-supremacist-reflex" ihre Anstellung verloren. Nach meinem Informationsstand wurde die Ordnungswidrigkeit beerdigt.

Den Ausgang der Geschichtekann man auch anders erzählen indem man andere Schwerpunkte setzt.
Zuerst mal jedoch etwas mehr Vorgeschichte. Laut eigenem Protokoll des Herrn Cooper hat er (u.a.) vor dem Starten der Videoaufnahme gesagt:”You are not going to like what I am going to do’, kann man durchaus als Drohung deuten, durchaus verstärkt durch die Umstände (Mann, Frau, einsam, Central Park).
Laut NYT kam dann die Polizei und das einzige Resultat war dass festgehalten wurde, dass es einen verbalen Disput zwischen den beiden Menschen gab. War also nix mit der rassistischen Polizei in diesem Fall (was die Medien nicht davon abgehalten hat diesen Fall im Zusammenhang mit u.a. Polizeirassismus zu „nutzen“). Als Folge dessen (also dem Medienskandal) verlor die Frau ihren Arbeitsplatz.
Zusammengefasst (nach identitäts und Opfertheorie):
Opfer 1 (Frau) trifft Opfer 2 (afroamerikanisch, homosexuell). Opfer 2 hat ein As im Ärmel (Geroge Floyd) und sticht Opfer 1 die ihren Job verliert.....

Michaela 29 Diederichs | Fr., 12. Juni 2020 - 13:35

Erstklassiger Beitrag. Dank an Autor und Redaktion!

Was gefällt Ihnen an diesem Beitrag? Nach den ersten Absätzen, in denen der Autor ein typisches Beispiel von Alltagsrassismus skizziert, war ich gespannt, wie Stegemann die Kurve kriegen würde. Und natürlich bedient er sich der sog. "Identitätspolitik", die angeblich ursächlich für die massiv zunehmende Diskriminierung von Minderheiten ist, nicht selten mit Todesfolge.
Die Argumentation geht so: Schon wer sich "empört" und gewaltlos gegen rassistische Diskriminierung vorgeht, bedient sich eines "moralischen Druckmittels", fordert dadurch die Mehrheitsgesellschaft heraus und forciert mithin die gesellschaftliche Spaltung. Folgt man dieser Logik der Täter-Opfer-Umkehr, so impliziert Stegemann: "Liebe Afro-Amerikaner, verhaltet euch ruhig, verzichtet auf weltfremde Parolen wie "Black Lives Matter" und geht zurück in eure Ghettos! Der Tag wird kommen, an dem man euch als gleichwertige Amerikaner behandelt."
Also ich kann mit sowas wenig anfangen...

Um etwas damit anfangen zu können, bedarf es sicherlich auch eines Mindestmaßes an Vorinformationen und Kenntnissen sozialpsychologischer Zusammenhänge sowie der Fähigkeit, kompletten längeren Texten in ihrer Aussagenlogik folgen zu können.
Ich halte den Beitrag für den besten der letzten Zeit zu den Themen Rassismus und Identitätspolitik, dafür habe ich mein Abo auch gern bezahlt.

Was die Fähigkeit anbelangt, längeren Texten zu folgen und sie zu verstehen, so sind Sie offenbar bereits mit den weniger als 1000 Zeichen überfordert, die mein Beitrag umfasst, oder gibt es einen anderen Grund, warum Sie nicht auf die darin enthaltene Kritik eingehen? Vielleicht deute ich Stegemanns Analyse ja zu Unrecht als Relativierung rassistischer Diskriminierung.
Im Übrigen bedarf es m. E. keiner Kenntnisse über sozialpsychologische Zusammenhänge, um eine Meinung von einem Argument abzugrenzen, aber das nur nebenbei.

Markus Michaelis | Fr., 12. Juni 2020 - 14:15

Die Idee der universellen Werte wird auch überreizt. Demokratie lebt davon, dass prinzipiell auch der "Gegner" gewinnen kann - Wahlen und Diskussionen. Und das unabhängig davon, ob er Recht hat oder nicht - weil "Recht haben" eben sehr subjektiv ist (meistens).

Wir haben aber (scheint mir) eine immer schnellere Abfolge von universell-absoluten Themen (Flüchtlinge, Europa, Metoo, Klima, Rassismus), die keine Parteien mehr kennen, sondern nur noch den Kampf für die "Wahrheit". Ob das gut geht?

Sie treffen den Kern des Problems, lieber Herr Michaelis.
Der Absolutheitsanspruch einseitiger Antworten bei Themen, die Sie nennen (z. B. Rassismus, Klima, Migration) ist derart erdrückend, daß er Gegenreaktionen geradezu herausfordert.
Dies alles resultiert aus einer unzulässigen Vermischung von staatlicher Macht (Recht, Gesetze u. Gewaltmonopol) und persönlicher Moral.
Wenn der Staat den Individuen mehr Freiheit im Denken und Reden ließe, könnte er bei T a t e n gegen die Gesetze, die er begrüßenswerterweise zum Schutz von Minderheiten erlassen hat, viel wirkungsvoller vorgehen. Die bewußt hervorgerufene Überempfindlichkeit von Minderheiten, die sich zu Pressure-Groups zusammenschließen, um sich moralisch zu überhöhen, verursachen die Probleme. Wenn der Staat sich diesem Druck beugt, verliert er seine Neutralität, die einzig dem Buchstaben des Gesetzes verpflichtet sein darf (= gleiches Recht für alle) und nicht einer ominösen "höheren" Moral (= gleiche Weltanschauung für alle).

Meine Hoffnung ist, dass durch die schnelle Abfolge der absoluten Themen ein Lerneffekt eintritt: Flüchtlinge wurde vom Klima verdrängt, weil das die gesamte Welt gefährdet. Auch das Klima kämpft gegen andere Prios, die nicht verhandelbar sind, Corona und im Moment Rassismus. Man denkt sich das dann gerne so, dass sich die "guten" Themen alle ergänzen, aber da hoffe ich auch auf einen Lerneffekt. Zum einen hat eine Gesellschaft nur endlich viel Kraft und Aufmerksamkeit. Man kann nicht alles machen. Zum anderen ergeben sich auch viele Widersprüche, dann muss ich Prios setzen.

Auch geht man bei radikalen Forderungen oft davon aus, dass die Gesellschaft bleibt, wie sie ist, nur "mein Punkt" bekommt mehr Aufmerksamkeit. Die schnellen Abfolgen lassen vielleicht mehr erahnen, dass alles auch die Statik der Gesellschaft insgesamt verändert, mit vielen nicht kalkulierbaren Seiteneffekten, die mir dann nicht alle gefallen. Vielleicht wird dann irgendwann wieder mehr diskutiert.

dieter schimanek | Fr., 12. Juni 2020 - 14:23

Jetzt weiß ich, das sich das alles in den USA abgespielt hat. Auf Grund der Demos war ich der Ansicht, das hätte sich bei uns ereignet. Ich war der festen Überzeugung ein deutscher Polizist hätte einen schwarzen Mitbürger erwürgt. Latent wie Frau Esken sagt, bedeutet doch der Rassismus ist bei allen Polizisten unterschwellig vorhanden. Die Würger sind also unter uns, dann sind die Demos im Land natürlich verständlich.

Stefan Forbrig | Fr., 12. Juni 2020 - 17:25

Antwort auf von dieter schimanek

Je niedrigere Grenzwerte man festlegt und je genauer man misst, desto schlimmer wird es, auch wenn die gemessenen Werte ständig sinken. Wenn der Rassismus nur noch in homöopathischen Dosen feststellbar ist, wird wohl die Klage über Rassismus einen unerträglichen Lautstärkepegel erreichen.

Rainer Mrochen | Fr., 12. Juni 2020 - 14:53

...diesen Beitrag werden die Angesprochenen keinesfalls hören wollen.
Sobald sie sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen müssen, bricht ihr Weltbild zusammen.
Der Autor weist daraufhin: Wo soll das enden? Im Bürgerkrieg?

Carola Schommer | Fr., 12. Juni 2020 - 22:37

ein unglaublich klarer, durchdachter und weitergedachter Kommentar, vielen Dank !

Sebastian Bauer | Fr., 12. Juni 2020 - 23:31

Zitat:”Afroamerikanisch.... Dieses Merkmal reicht aus, damit die junge weiße Frau ihn bei der Polizei anschuldigen kann”
Da fehlt noch was. Nämlich die Tatsche, dass der angebliche Täter ein Mann ist. Hätte sie gesagt es ist eine Frau, oder (eigentlich das ganz korrekte) ”ein Mensch” hätte ihre Behauptung wahracheinlich auch weniger Gewicht gehabt.
Somgesehen war ihre Aussage genauso sexistisxh, wie sie rassistisch war.
Sieht nur keiner so weil wir es so gewohnt sind, dass Männer immer als potentielle Täter angesehen werden. Verdächtig per Definition, weil falsches Geschlecht. Siehe auch der Begriff ”alter weisser MANN.
Ausserdem hat man ALLE Männer als Machthaber definiert und ihnen damit das Recht auf Diskriminierbarkeit genommen.

Heidemarie Heim | Sa., 13. Juni 2020 - 01:42

Universelle Rechte adieu! Wer soll sie denn auch noch durchsetzen?
Anhand des Beispiels dieses abgründigen Videos (mir ist übrigens bis heute schlecht und bin fremd beschämt wie sich diese hysterische Geschlechtsgenossin geoutet hat!), ist Ihnen eine selten gute Analyse bzw. Beschreibung der uns scheinbar nun regelmäßig zuteilwerdenden, sich überschlagenden Empörungs-Phänomene geglückt! Bei der Passage mit der unterirdischen, sich selbst entlarvenden Antwort dieser sogenannten Stadträtin durch die geistesgegenwärtige Provokateurin;) der CNN, "wen man nach dem Abschaffen der Polizei dann anrufen sollte", musste ich fast schon wieder schmunzeln. Jedoch fiel mir sogleich die arme, völlig geschockte und verzweifelte Geschäftsinhaberin eines langjährig ansässigen, im Viertel bekannten und beliebten Tattoo-Schmuck-Studios ein, deren Laden man im Zuge und Schutz der Demos völlig ausräumte und zerstörte. Ihr Ende, da sie davor investierte und die V.-Police Vandalismus nicht abdeckt!FG

Lutz Gerke | Sa., 13. Juni 2020 - 08:53

Cicero sollte seine Klischeebilder überprüfen. So wird das nichts.
Vielleicht geht's der Redaktion wie der Falun Gong, die grundsätzlich das richtige will, aber so durchtränkt ist mit der Propaganda, daß sie deren Ausdrücke benutzt und sich damit selber im Wege steht?

Ernst-Günther Konrad | Sa., 13. Juni 2020 - 13:06

mit das Beste, was ich in den letzten Jahren gelesen habe. Die meisten Kommentare hierzu bestätigen Ihre Sichtweise Herr Stegemann, so wie ich das auch tue. Natürlich gibt es welche im Forum, die können oder wollen diese Sichtweise nicht mal überdenken, geschweige ihre eigene überprüfen. Das sind die, die dann Fragen an Kommentatoren stellen, weil sie den Text nicht verstehen oder verstehen wollen. Ich habe viele Menschen erlebt, gegen die schlimmste Vorwürfe erhoben wurden und darunter gelitten haben. Ob es die falsche Bezichtung eines Diebstahls war oder gar ein Sexualverbrechen. Ich habe Frauen erlebt die glaubhaft und überzeugend eine Vergewaltigung anzeigten, die gelogen war und andere Frauen, deren Geschichte erst sehr seltsam klang, sich dann aber als wahr herausstellte. Am Ende verlieren alle Beteiligte. Lügenden Frauen will man nicht mehr glauben, überzeugend falsch beschuldigten Tätern ebenso wenig, könnte ja doch was dran sein. Am Ende verliert vor allem die Glaubwürdigkeit