Recht auf analoges Leben / Illustration: Daniel Stolle

Gibt es ein Recht auf analoges Leben? - Ich bin dann mal off!

Wie keine Kulturtechnik zuvor verändert die Digitalisierung die menschliche Kultur und Existenz. Umso wichtiger wäre ein Grundrecht auf ein analoges Leben, argumentiert der Philosoph Alexander Grau.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Die Digitalisierung scheint alternativlos zu sein. Und wahrscheinlich ist sie das auch. Zumindest lässt sich selbst mit der blühendsten Fantasie nicht vorstellen, wie die digitale Transformation der menschlichen Gesellschaften noch aufgehalten werden soll – eine Katastrophe monströsen Ausmaßes vielleicht ausgenommen. Aber die will letztlich niemand.

Hinzu kommt, dass die Digitalisierung der Menschheit in den letzten Jahrzehnten unglaubliche Dienste erwiesen hat. Informationen, von denen man vor wenigen Jahrzehnten nicht einmal wusste, ob oder wo sie existieren, hat man in Sekunden auf dem Bildschirm. Viele Bereiche moderner Forschung und Medizin werden durch Computer überhaupt erst ermöglicht. Gleiches gilt für die komplexe Infrastruktur.

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar

Mehr lesen über

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Ernst-Günther Konrad | So., 23. Juni 2024 - 10:50

Ich gebe zu, ich habe mir über dieses Thema noch keine allumfassenden Gedanken gemacht. Wohin uns das alles noch bringt, kann ich nicht überblicken. Doch zwei Dinge drängen sich mir sofort auf. Was macht die Menschheit ohne Digitalität? Ich schrieb schon öfters, wenn mal der Strom weg ist werden wir erst so richtig merken, was wir alles nicht mehr haben/nicht mehr können. Und der zweite Gedanke ist. Was machen wir, ob Analogie im GG steht oder nicht, wenn ein autoritäres System Digitalität und KI gegen das Volk einsetzen? Schon jetzt merken wir doch, wie teils abhängig wir sind und wie gelenkt wir werden. Wie kann man eine digitale Welt aufbauen/leben und zeitgleich der Analogie ihren Raum lassen? Zumal wir diese brauchen, wenn das andere nicht/nicht mehr geht. Wird die Gesellschaft eine freie, offene, neutrale Diskussion/Entscheidung zulassen? Und Herr Grau, was macht Digitalität/KI aus der Menschheit schlechthin? Verlieren wir Teile unseres Menschseins, wie z.B. unsere Emotionen?

Peter Sommerhalder | So., 23. Juni 2024 - 11:30

Finde die Digitalisierung eigentlich eine tolle Sache. Jedenfalls solange man es nicht übertreibt und dadurch das „richtige“ Leben nicht vernachlässigt.

Nur schon z.B. das Cicero-Forum wäre ja ohne Digitalisierung nicht möglich...

Aber die eigentliche Gefahr der Digitalisierung ist natürlich, dass dadurch die Überwachung der Bürger als wie leichter wird.

Fehlt eigentlich nur noch das lästige Bargeld endlich abzuschaffen. Da bin allerdings ziemlich zuversichtlich, dies nicht mehr erleben zu müssen...

Ingofrank | So., 23. Juni 2024 - 11:59

„Gläserne Mensch“
In dem Moment, wo die Menschen ihren eigenen Kopf nicht mehr gebrauchen müssen und sich der digitalen Welt hingeben wird die Macht
In ganz ganz wenige Hände gelegt.

Volker Huber | So., 23. Juni 2024 - 14:01

eine Kulturtechnik ist, die sich mit weitreichenden Konsequenzen durchsetzt, wie Alexander Grau dies zu Recht feststellt, so kann es kaum überzeugend sein, ein Grundrecht zu postulieren, davon verschont zu werden – selbst wenn es nachvollziehbare Vorbehalte affektiver und substanzieller Art geben mag. Es gibt auch kein Grundrecht auf Illiteralität. Auch die Alphabetisierung hatte und hat neben kulturellen und zivilisatorischen Qualitäten Exklusionserfahrungen im Gepäck, die es zu überwinden gilt. Zu diesem Schluss kann man auch bei der Digitalisierung gelangen. Ich denke, in in dieser Hinsicht fortgeschritteneren Ländern wie etwa Südkorea würde ein Grundrechtspostulat auf eine analoge Existenz auf völliges Unverständnis stoßen. Dort wird es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet, Alterskohorten, die nicht mit Computer und Smartphone groß geworden sind, für die neue Kulturtechnik zu ertüchtigen. Und das mit einigem Erfolg.

Bernd Windisch | So., 23. Juni 2024 - 14:05

Ich schätze die Beiträge von Herrn Grau im Allgemeinen sehr. Heute hat er sich ein wenig vergaloppiert.
Auf Kulturtechniken zu verzichten war schon immer möglich aber mit großen Nachteilen verbunden. Lesen und Schreiben zum Beispiel.
Auch sonst mag ich heute dem Autor nicht folgen. Der größte Kulturbruch der Deutschen, nämlich die NAZI - Barbarei, wäre wohl heute so nicht mehr möglich.
Siehe auch die aktuell veröffentliche Meinung und das tatsächliche Wahlverhalten der Menschen in Deutschland und anderswo. Ja, die Digitalisierung hat die Deutungshoheit der herkömmlichen Presse gebrochen und den Menschen neue Freiheiten gebracht. Gut so!
Ich halte täglichen Kontakt zu Familienmitgliedern, die sonst kaum sehen würde. Ich kann auf einem nicht gekannten Niveau reisen. Nichts war früher besser!
Ich brauche den Staat lediglich als Ordnungsmacht und als Bereitsteller für die Bedingungen der Daseinsfürsorge. Eventuell noch als Sozialstaat. Im Übrigen soll er sich raushalten. Hau ab Staat!

Albert Schultheis | So., 23. Juni 2024 - 20:04

Ich bin sogar der Meinung, dass die einzigen Zeitgenossen, die noch halbwegs unbeschadet den Ansturm des fundamentalen digitalen Paradigmenwechsels im Alltag überleben werden, diejenigen sind, deren grundlegendes mentales Koordinatensystem sich noch in einer zumindest teilweisen analogen Welt herausbilden konnte. Denn sie erlebten noch die Digitalisierung als Anreicherung der analogen Welt, die Gadgets waren zu Beginn ja noch Werkzeuge zur besseren Bewältigung von Aufgaben. Aber so wie sich die digitalisierte Welt allmählich in das Leben der Menschen, in ihren Alltag und sogar ihre Freizeit hineinfraß, so sehr wurde das Analoge in die Defensive gedrängt und schließlich überwuchert. - Aber das Analoge IST das Menschliche, das Leben an sich! Es besteht die Gefahr, dass die Generationen, denen man das Analoge vorenthalten hat, sich gänzlich in den Algorithmen verlieren - und damit einem Schein von Leben aufsitzen, und nie erfahren, was Leben eigentlich bedeutet.

Gerhard Hellriegel | Mo., 24. Juni 2024 - 09:58

Sehr einig. Nur das "Recht auf ein analoges Leben" geht mE zu weit.
Auch der Buchdruck beeinflusste unser Denken ganz erheblich. Sollte es also ein "Recht auf bücherfreies Leben" geben? Oder gar ein "Recht auf Analphabetismus"?
Worauf kann man also verzichten und worauf wohl nicht? Ich z.B. nehme an den "sozialen Medien" nicht teil und vermisse nichts. Andere schon.
Ein Handy zu besitzen zwingt niemanden, ständig darauf herum zu daddeln.
Auch Radio und Fernsehen haben (hatten?) Suchtpotential.
Warten wir also ab, ob sich nicht doch noch Spreu und Weizen trennen.

Walter Bühler | Mo., 24. Juni 2024 - 10:01

... für einen seriösen Kommentar.

Ich spüre im Text eine gewisse Technikfremdheit, ja Technikangst. Das kenne ich von
vielen guten Freunden, die sich aber gleichzeitig zu 100% auf die Technik verlassen (Internet, Glasfaser, Handy, Medizin, Wasserwerke, Lebensmittelindustrie, ...).

Viele Technikskeptiker sind ausgebildete Geisteswissenschaftler und träumen einen sympathischen Traum von einem märchenhaften vortechnischen Paradies, von einem autarken Selbstversorger-Leben im eigenen Garten.
---
Es ist von großem Vorteil, wenn naturwissenschaftlich Ausgebildete ihren Horizont durch den Einblick in geisteswissenschaftliche Bereiche erweitern.

Wäre es da nicht gut, wenn auch umgekehrt Geisteswissenschaftler sich selbst ein wenig in den Naturwissenschaften und in der Mathematik umsehen würden, bevor sie selbst über Technik schreiben?

Kalauer: Meta-Physik kann Physik und Mathematik doch nicht völlig ersetzen.

Das ist, wie gesagt, nur so ein Gefühl.

Nix für ungut, Herr Grau.

S. Kaiser | Mo., 24. Juni 2024 - 10:10

Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt, den Alltag, die Informationsbeschaffung und die Kommunikation revolutioniert. Sie hat die Welt „geöffnet“ und allen zugänglich gemacht. Die Gatekeeper der Medien, Plattenfirmen und Verlage sind nicht mehr die, die entscheiden, was das Publikum zu hören und zu lesen bekommt. Crowdfunding ermöglicht kulturellen Nischen eine Existenz und Zugang zu ihrem Publikum. Die Gatekeeper kämpfen dh immer aggressiver darum, die Deutungshoheit zu behalten. Das alles ist zunächst eine gute Entwicklung, weil es den Diskurs demokratisiert und jedem den Zugang zur Öffentlichkeit ermöglicht. Warum sie ideologisch sein sollte, erschließt sich mir dh nicht. Nachteilig ist das Tracking des Einzelnen und die Manipulation der Massen (zB durch Verbreitung von Fehlinformation). Aber das ist ein Subthema der Digitalisierung, verschärft durch Algorithmen und wird mit KI noch weiter zunehmen. Diktaturen kapern die Technologie, während Demokratien sich dh schwer damit tun.