CDU-Chef Friedrich Merz beim Landesparteitag der NRW-CDU / dpa

Friedrich Merz und sein Weg ins Kanzleramt - Keine gemähte Wiese

In einem Jahr wollen CDU/CSU mit ihrem gemeinsamen Kandidaten Friedrich Merz den SPD-Kanzler Olaf Scholz und dessen unbeliebte Ampel-Regierung ablösen. Die Union gibt sich siegesgewiss. Wenn sie sich da mal nicht zu früh freut.

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Soweit läuft bisher alles nach Plan. Anders als vor der zurückliegenden Bundestagswahl konnten sich CDU und CSU weitgehend geräuschlos und ohne bemerkenswerte Schleifspuren auf einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten einigen. Friedrich Merz soll es machen, und als diese Kür kürzlich in der bayerischen Landesvertretung verkündet wurde – Nachfragen der anwesenden Journalisten waren nicht zugelassen –, ging der Termin auch ziemlich schnell über die Bühne. 

CSU-Chef Markus Söder, der es wohl auch gern selbst gemacht hätte, verkündete bei dieser Gelegenheit, er sei mit der Nominierung seines Vorsitzenden-Kollegen von den Christdemokraten „fein“. Es folgten noch die zu erwartenden Worte von wegen die CDU habe als größere der beiden Schwesterparteien nun einmal das Erstzugriffsrecht – und dass der Sauerländer sich auf die Unterstützung des bayerischen Ministerpräsidenten vollumfänglich verlassen könne. Ende der Vorstellung, schönen Tag noch.

Verbale Ausrutscher

Dass der Weg von Friedrich Merz ins Kanzleramt allerdings alles andere als eine gemähte Wiese ist, hatte sich schon vor dem 17. September immer wieder gezeigt. Und zwar nicht nur in Form gelegentlicher (bewusster oder unbewusster) verbaler Ausrutscher des 68-Jährigen – Stichworte „Zahnersatz“, „kleine Paschas“ etc. Solche Zuspitzungen sind in Zeiten, in denen auch die Parteien der Mitte nicht auf wohltemperierte Populismen verzichten können, durchaus opportun und von der eigenen Anhängerschaft möglicherweise erwünscht. Es sind vor allem politische Unüberlegtheiten, die dem Unionskandidaten immer wieder herausrutschen und die von einer mitunter mangelnden Trittsicherheit zeugen.

Im zurückliegenden ZDF-Sommerinterview etwa hatte Merz das neue „Bündnis Sahra Wagenknecht“ als gleichermaßen links- wie rechtsextrem tituliert und als Koalitionspartner grundsätzlich ausgeschlossen. Zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, als bereits absehbar war, dass man nach den Landtageswahlen in Thüringen und in Sachsen kaum um das BSW herumkommen würde, um eine Regierung unter CDU-Führung zusammenzuzimmern. 

Schnell wurde das Verdikt also wieder einkassiert mit der zweifelhaften Begründung, Merzens Aussage habe sich lediglich auf die Bundesebene bezogen. Auch seine einigermaßen paternalistische Würdigung der Ostdeutschen als faktisch noch nicht richtig integrierter Bevölkerungsteil war nicht unbedingt hilfreich. Bei der SPD registriert man solche Lapsus sehr genau; sie geben den Sozialdemokraten Grund zur Hoffnung, dass das Rennen trotz Ampel-Schwäche und eines durch die Medien angezählten Bundeskanzlers Scholz noch lange nicht gelaufen ist.

„Respekt für Besserverdienende“

Prompt haute Friedrich Merz soeben wieder ein Bonmot raus, das ihm als Forderung nach mehr „Respekt für Besserverdienende“ ausgelegt wurde. So hatte er es am Wochenende im Interview mit der Bild am Sonntag zwar nicht formuliert – seine präzise Wortwahl lautete vielmehr, er wolle „ein bisschen unsere Mentalität ändern“, denn „wirtschaftlicher Erfolg gehört dazu, den darf man auch – man muss nicht protzen – zeigen“. 

Aber die Breitenwirkung ging dennoch in die Richtung, da habe sich ein saturierter Millionär beschwert, dass seinesgleichen nicht die nötige gesellschaftliche Anerkennung erfahre. Was natürlich voll in die Erzählung der politischen Konkurrenz passt, wonach ein ruch- und empathieloser Black-Rock-Kapitalist sich anschicke, das Land zu regieren. Im Willy-Brandt-Haus werden solche Textpassagen verständlicherweise in die Wiedervorlagemappe gepackt, um sie dem Kandidaten im bevorstehenden Wahlkampf publikumswirksam um die Ohren zu hauen.

Es ist ja ohnehin nicht so, als könnte die Union einfach durchmarschieren, nur weil die amtierende Regierung bei den Deutschen so unbeliebt ist wie keine zuvor. Zwar titelt auch der aktuelle Stern mit einem Olaf Scholz auf der Sackkarre und der dazu passenden Frage: „Ist er Kanzler oder kann er weg?“ Aber es wäre mit Sicherheit ein Fehler, den „Scholzomaten“ – er wird seinem Ruf als eigenbrötlerischer Nicht-Kommunikator nach wie vor auf geradezu aufreizende Weise gerecht – frühzeitig abzuschreiben. 

Vielmehr sollten die Unionsparteien davon ausgehen, dass der Kanzler zu ungewohnter Kampfeslust findet, jetzt wo sein Gegner in Person von Friedrich Merz feststeht. Es ist ja nicht so, als wüsste der Amtsinhaber nicht um seine Defizite und wollte an seiner harzigen Performance nichts ändern. Während die meisten Medien also weiterhin relativ sinnbefreit darüber spekulieren, ob der nächste SPD-Kanzlerkandidat am Ende Boris Pistorius heißen wird, rüstet das Scholz-Lager zum Kampf. Und der könnte noch einige Überraschungen bereithalten – die Pistorius-Option gehört übrigens nicht dazu.

Kein echtes Patentrezept

Die größte Hypothek des Sozialdemokraten bei der aufkommenden Abwehrschlacht gegen Friedrich Merz ist zweifelsfrei die schlechte Wirtschaftslage im Land. Ob sich daran in den nächsten Monaten noch etwas ändern wird, muss zwar bezweifelt werden. Aber immerhin sinkt derzeit die Inflationsrate, und letztlich hat auch die Union kein echtes Patentrezept gegen die Dauer-Flaute auf Lager. Dass die Energiekrise und die vormalige Abhängigkeit von russischem Gas auf den maßgeblich von Unions-Politikern (und somit schließlich auch von Angela Merkel) betriebenen Ausstieg aus der Kernenergie zurückzuführen ist, dürfte auch noch dem einen oder anderen Wähler erinnerlich sein. Ob da die vielbeschworene Wirtschaftskompetenz von Merz wirklich zündet, ist noch nicht sicher. Zumal die SPD alles dafür tun wird, seine in der freien Wirtschaft verbrachte Auszeit von der Politik als Private-Equity-Stahlbad zu verunglimpfen.

Ein weiteres Politikfeld, das sich noch zugunsten von Scholz weiterentwickeln könnte – zwar mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber man weiß ja nie –, ist eine positive Entwicklung im Ukrainekrieg. Sollte sich wider Erwarten in den nächsten Monaten ein Ende der Kampfhandlungen andeuten, wird der Bundeskanzler dies selbstverständlich auf seine „besonnene Art“ zurückzuführen wissen und die Erzählung verbreiten, er selbst habe maßgeblichen Anteil an einem bevorstehenden Waffenstillstand. Die „Friedenskanzler“-Kampagne hat sich zwar im zurückliegenden Europa-Wahlkampf als Rohrkrepierer erwiesen, aber ein verändertes Umfeld im militärischen Konflikt zwischen Putin und seinen westlichen Nachbarn könnte eine neue Lage schaffen. 

In jedem Fall aber werden die Sozialdemokraten versuchen, ihren Kanzler als erfahrenen und inzwischen eben krisenerprobten Staatschef ins rechte Licht zu rücken. Dass sie in diesem Zusammenhang genüsslich auf die mangelnde Regierungserfahrung von Friedrich Merz verweisen werden, der noch nie an der Spitze eines Bundeslandes oder auch nur eines Ministeriums stand, versteht sich von selbst.

Ein kaum aufzulösender Konflikt

Nicht zuletzt liegen für die Unionsparteien bis zum Wahltag am 28. September nächsten Jahres noch ein paar Steine im Weg, die sie selbst dorthin gelegt haben. Da wären zum einen die schwierigen Koalitionsverhandlungen in Sachsen und in Thüringen, wo die CDU wohl irgendwie auf das BSW wird zugehen und die Wagenknecht-Leute womöglich sogar in Regierungsverantwortung wird einbinden müssen. Daraus könnte sich aber eine regelrechte Zerreißprobe entwickeln, weil etliche Christdemokraten besonders im Westen der Republik darin einen Verrat an den Werten ihrer Partei und einen Kotau vor „Putins fünfter Kolonne“ sähen. Bei der Ost-CDU wiederum dürften etliche Mitglieder die Frage stellen, warum Koalitionen mit der AfD tabu sind, während man mit den Gefolgsleuten der „Ex-Stalinistin“ Wagenknecht gemeinsame Sache macht. Ein Konflikt, der kaum aufzulösen ist.

Und dann droht auch noch Ungemach aus dem Freistaat Bayern, wo der CSU-Vorsitzende inzwischen beinahe im Wochentakt verkündet, mit seiner Partei sei eine schwarz-grüne Koalition nicht zu machen. Die einzige Antwort, die hochstehende CDU-Politiker bisher auf die Frage finden, warum man in der Münchener Staatskanzlei mehr oder weniger ohne Not die Bündnisoptionen derart auf die SPD verengt, lautet: Markus Söder ist eben eine Spielernatur, der meint das gar nicht so ernst! 

Nun mag Söder vielleicht sogar Recht damit haben, dass die Union nur dann in der Lage ist, bei der Bundestagswahl ein Ergebnis von um die 35 Prozent einzufahren, wenn man sich im Wahlkampf unmissverständlich gegen die in weiten Teilen des bürgerlichen Elektorats regelrecht verhassten Grünen positioniert. Aber CDU-Ministerpräsidenten wie Hendrik Wüst aus NRW oder Daniel Günther aus Schleswig-Holstein sehen das eben anders – und widersprechen Söder ganz ausdrücklich. 

Bei den Wählern bleibt folglich der Eindruck hängen: CDU und CSU ziehen wieder einmal nicht an einem Strang. Und was Uneinigkeit zwischen den beiden Schwesterparteien für Folgen haben kann, ist seit dem Machtverlust von vor drei Jahren hinlänglich bekannt. Kein Wunder, dass die Strategen um Olaf Scholz derzeit nichts sehnlicher erhoffen als weitere Querschläge des bayerischen „Quartalsirren“. Immerhin hat Markus Söder den Sozialdemokraten schon einmal ins Kanzleramt verholfen.

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