- Der Gegenwarts-Jude
Historiker, Schriftsteller, Publizist – vor allem aber großer Menschenfreund: Rafael Seligmann, dessen Streitbarkeit auch der schützende Panzer eines Sensiblen ist, wird an diesem Donnerstag 75 Jahre alt. Der Cicero-Autor ist ein Querkopf aus Leidenschaft, der immer wieder seine Stimme gegen den Antisemitismus erhebt, ohne dabei Juden allein als Opfer- und Mahngemeinschaft wahrzunehmen. Eine Würdigung.
Er ist Historiker und Politologe, bekannter Schriftsteller und streitbarer Publizist. Und Rafael Seligmann, der heute 75 Jahre alt wird, ist deutscher Jude. Immer wieder kommentiert er das wechselvolle und oftmals missverständliche Miteinander von Juden und Nichtjuden. Sein großes Anliegen aber ist, die Lebendigkeit und Prägekraft des Judentums in Vergangenheit und Gegenwart sichtbar zu machen.
Eigentlich muss man nur seine Bücher lesen, um zu verstehen, was den Schriftsteller und Publizisten Rafael Seligmann antreibt, beflügelt, bedrückt. Vor allem sein jüngstes Werk, „Rafi Judenbub“, das in diesem Frühjahr erschienen ist und den Abschluss einer Romantrilogie über die Geschichte seiner Familie bildet. Von der Flucht seines Vaters vor den Nationalsozialisten nach Palästina. Dem gescheiterten Versuch der Eltern, sich in der rauen Pioniergesellschaft Israels eine Existenz aufzubauen. Und dann im dritten Band, 1957 die Rückkehr der Familie mit dem zehnjährigen Sohn Rafael nach Deutschland.
Rückkehr nach Deutschland
Es ist eine Rückkehr in ein Land, in dem man von den Verbrechen nichts mehr wissen will. In dem sich die alten Nazis zu Widerständlern erklären. In dem die Leute fordern, „den alten Schmarrn“ doch endlich ruhen zu lassen. Das sei alles vergeben und vergessen. Und in dem ein Kind wie Rafael, das doch nur dazugehören möchte, für die anderen, für die Kinder und Lehrer, doch immer der „Judenbub“, der Außenseiter bleibt. Seligmanns Buch zeichnet ein beklemmendes Porträt der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
Aber es ist eben auch eine Geschichte der Befreiung, einer Selbstermächtigung. Von einem, der die Rettung im Schreiben findet. Und so eine Laufbahn einschlägt, die für ihn eigentlich nicht vorgesehen ist. Denn Rafael Seligmann war, das bekennt er freimütig, ein schlechter Schüler. Bockig, widerspenstig, ein Junge, der sich in Tagträume flüchtete. „Ich würde sagen, damals begann ich, Schriftsteller zu werden“, hat Seligmann im Cicero-Podcast Literaturen gesagt. „Ich habe mich in die Welt der Fantasie geflüchtet.“
In der Ausbildung zum Fernsehtechniker fühlte er sich fehl am Platz. Also macht er Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, findet Halt im Studium der Geschichte und Politik. Und in der Sprache, in der Erfahrung, sich auch durch Schreiben behaupten zu können. Als Autor von Sachbüchern und zahlreichen Romanen. Und als Zeitungsmacher. Er hat 1985 die Jüdische Zeitung gegründet und war zwei Jahre lang deren Chefredakteur. Von 2004 bis 2009 war er Chefredakteur der in Deutschland und in den USA erscheinenden Monatszeitung The Atlantic Times. Und gab von 2004 bis 2019 die englischsprachige Zeitschrift Jewish Voice from Germany heraus.
„Es ist Zeit, das Alibi der Geschichte zu verlassen“
Vor allem aber mischt sich Seligmann als streitbarer Publizist immer wieder ein, erhebt die Stimme, um die Zeitläufte zu kommentieren. Als Außenpolitiker. Als Israelkenner. Und als Beobachter und Kommentator des wechselvollen und oftmals quälend missverständlichen Miteinanders von Juden und Nichtjuden in Deutschland. Oft schreibt er dann für Cicero, dem Magazin ist er seit dessen Gründung eng verbunden. So hat er zuletzt über das Urteil zu der als „Judensau“ bezeichneten Schmähplastik an der Stadtkirche von Wittenberg geschrieben. „Die Judensau gehört weg!“, hat er unmissverständlich gefordert. „Es ist Zeit, das Alibi der Geschichte zu verlassen und Hetzmonumente, wie die Judensauen in Wittenberg und anderswo ins Museum zu verbannen. Sie sollen als Zeugen dienen aber keinen allgemeinen Schaden mehr anrichten.“
Beiträge von Rafael Seligmann:
- Israels Präsident in Deutschland - Isaac Herzog: Eine klare Botschaft für Deutschland
- Documenta - Antisemitismus ist kein Gottesurteil
- Bevorstehendes Urteil des Bundesgerichtshofs - Die Judensau gehört weg!
- Historische Absurdität - Israel bietet Deutschland effiziente Verteidigungswaffen an
- Bennetts Reise zu Putin und Scholz - Die Hoffnung stirbt zuletzt
Oder er äußerte sich zu den Antisemitismusvorwürfen auf der Documenta. „Das deutsche Kultur-Establishment mochte sich nach ,bewährtem‘ Muster wieder einmal besonders tolerant und weltoffen geben. Es opferte dabei sehenden Auges die Integrität von Juden und Israelis, als deren Beschützer man sich seit Aufdeckung der Naziverbrechen geriert“, schrieb Seligmann. Dabei verwahrt er sich stets dagegen, sich instrumentalisieren zu lassen. Der Jude, der auf Bestellung seine Empörung zu jedem antisemitischen Vorfall kundtut, will er nicht sein
So wichtig es ihm ist, immer wieder auf die lange Geschichte des Antisemitismus hinzuweisen, historische Kontinuitäten und das Fortwirken antijüdischer Klischees aufzudecken, so sehr warnt er aber auch davor, Juden allein als Opfer- und Mahngemeinschaft wahrzunehmen. Und dabei die Lebendigkeit und Prägekraft des Judentums aus dem Blick zu verlieren: seine ethischen Werte, seine kulturelle und intellektuelle Macht und seine geschichtliche Ungebrochenheit. Die Klarheit des jüdischen Religionsgesetzes, die Forderung nach Nächstenliebe. Und den großen Anteil, den Juden an der Mitgestaltung von Wirtschaft, Sprache, Kultur, Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft in der deutschen Vergangenheit und Gegenwart haben. Das ist Seligmanns großes Anliegen.
„Der Musterjude“
Es waren gerade die ohnmächtige Verzagtheit und das Verstummen der kleinen jüdischen Gemeinschaft der Nachkriegszeit, das Leben in latenter Angst davor, aufzufallen, aber auch der fortlebende Antisemitismus, die Seligmann dazu bewogen, seinen ersten Roman „Rubinsteins Versteigerung“ zu schreiben. Das Buch trug ihm innerhalb der Gemeinschaft den Ruf als „Nestbeschmutzer“ ein, weil sie befürchtete, er werde den Deutschen mit seinem Werk nur Anlass zu neuem Judenhass geben. Aber Seligmann hat mit diesem Buch begründet, was es damals noch nicht gab: den jüdischen Gegenwartsroman.
Es folgten viele weitere Bücher, etwa „Der Musterjude“, in dem er den atemberaubenden Aufstieg des jüdischen Jeansverkäufers Moische Bernstein zum Starjournalisten als rasende Berg- und Talfahrt schildert. Oder „Deutsch Meschugge“, ein zwischen Satire und Politkrimi angesiedelter Roman über einen jüdischen Filou, der es bis zum Kanzler einer rechtspopulistischen Regierung bringt. Den Roman „Der Milchmann“ über den Auschwitz-Überlebenden Jakob Weinberg, hat der Verlag Langen Müller aus Anlass von Seligmanns 75. Geburtstag gerade neu aufgelegt.
Streitbar ist Seligmann, manchmal provozierend, ohne Scheu davor, Debatten anzustoßen oder sich unbeliebt zu machen. Ein Querkopf aus Leidenschaft. „Ich bin genauso ängstlich wie alle anderen“, sagt Seligmann im Gespräch. „Aber ich weiche keinem Konflikt aus.“ Dass hinter seinem Schreiben aber auch der Wunsch nach Anerkennung und eine Portion Eitelkeit steht, bekennt er durchaus: „Ich schreibe, weil ich wie jeder Künstler süchtig nach Beifall bin.“
Aber Rafael Seligmann ist eben auch ein großer Menschenfreund. Ein fein- und mitfühlender, warmherziger Mann. Dessen Streitbarkeit eben auch der schützende Panzer eines Sensiblen ist. Dabei blitzgescheit, manchmal schelmisch. Und zutiefst liebenswürdig.
Seligmann arbeitet bereits an seinem nächsten Buch. Ein Hund wird darin vorkommen. Dass dabei aber nicht wie bei so vielen anderen prominenten Hundebesitzern ein launiges Tierbuch herauskommen wird, sondern eine schonungslose Analyse der Gegenwart, darf gewiss sein.
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zu einem alles in Allem "reichen Leben", das die Deutschen und sicher viele mehr bereicherte um das, was besonders die Deutschen fast ausgerottet hätten, jüdisches Mittun allüberall.
Ich gebe zu, das Grauen des 1. und 2. Weltkrieges habe ich kaum verkraften können, obwohl mir doch nur in der Retrospektive verfügbar, aber den Holocaust werde ich nie bewältigen.
Das Beste scheint mir dennoch, sich immer wieder bekannt zu machen, in der Hoffnung, dass man Bekanntes nicht so schnell erschlägt.
Vielleicht war der Beginn der Massengesellschaft, deren anfängliche Entwurzelung und "Entmächtigung" der Angstboden, auf dem der Antisemitismus geradezu gewuchert haben muss.
Man muss nicht die ganze Welt lieben, aber ich hoffe, dass die moderne Globalisierung auch dazu geführt hat, dass sich die meisten in der Welt zuhause fühlen, allen nahe, die Nähe dulden.
Ich meine immer, dies hat weniger mit einem Sollen als mit einem Wollen zutun, WOHLWOLLEN
Man kann es doch immer wieder spüren und zeigen.
Benannt nach dem Erzengel Raphael im jüdischen "Gott heilt". Ein schöner wie kämpferischer Name, denn die kriegerischen Erzengel waren wohl wie man glaubt auch keine allzu zartbesaiteten Boten im Auftrag Gottes;)
Lieber Herr Seligmann! Ihnen noch ein langes und gesundes wie weiterhin glückliches Leben!
Die besten Wünsche, begleitet mit der Hoffnung auf weitere Beiträge hier im Cicero;)
Und geehrte Frau Moser! Sie haben meine Einschätzung bzw. den Grund meiner Sympathie für Herrn Seligmann ziemlich genau getroffen. Er bleibt authentisch und lässt sich von nichts und niemand instrumentalisieren. Ein selten gewordener Wesenszug, der wie ich meine, eine große innere Kraft erfordert. Shalom!
A priest, a minister, and a rabbit walk into a blood bank to donate blood. The nurse asks the rabbit: What's your blood type?
I think I might be a type-O, the rabbit answers with great sadness.
"Ich bin genauso ängstlich wie alle anderen."
- "Genauso" füllt der feine Unterschied ganze Milchstraßen voller leuchtend Sterne.