Syrische Frauen tragen Essenspakete nahe der türkischen Stadt Kilis. Bild: picture alliance

Flüchtlingsdeal - Vergesst die Türkei!

Kolumne Grauzone: Sollte der Flüchtlingsdeal scheitern, wäre es nicht schade drum. Die Türkei ist unter Erdogan kein zuverlässiger Partner. Der nutzt das Abkommen für eigene Interessen, indem er sich unerwünschter Kurden entledigt und linientreue Anhänger als zusätzliche Machthebel in die EU schleust

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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Nein, es steht nicht gut um das so genannte EU-Türkei-Abkommen, dem wichtigsten – wenn nicht sogar einzigen – Baustein der Merkelschen Strategie zur Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Die ebenso unfein wie treffend „Flüchtlingsdeal“ genannte Vereinbarung hatte von vornherein so grundlegende Konstruktionsfehler, dass ihre Halbwertszeit ohnehin begrenzt erschien. Doch gut zwei Monate nach seinem Abschluss ist fraglich, ob der „Deal“ auch nur die nächsten Wochen überlebt – zum Glück, wie man ergänzen muss.

Erdogan vertreibt Kurden aus der Türkei
 

Sollbruchstelle des gesamten Arrangements ist, wie nicht anders zu erwarten, die in Aussicht gestellte Liberalisierung des Visarechts, mit der sich die EU die zumindest oberflächliche Kooperation Ankaras in der Flüchtlingskrise erkaufte. Denn im Zweifelsfall ersetzt sie nur die Nationalität der Migranten, und anstelle von Afghanen und Syrern kommen türkische Staatsbürger – nur eben sehr viel umkomplizierter und legal.

Langsam dämmert es auch der blauäugigen deutschen Politik, dass genau das eines der Ziele Erdogans sein könnte. Etwa, indem er in den kurdischen Siedlungsgebieten einen Massenexodus provoziert, um deren Osmanisierung voranzutreiben. Allein seit Februar sind über 200.000 Menschen aus den kurdischen Gebieten der Türkei geflohen.

Für einen kurzfristigen Vorteil – wenn überhaupt – hat sich Brüssel langfristig von Ankara abhängig macht, das nun qua Visafreiheit ein wunderbares Instrument der Migrationssteuerung in Händen hält. Umso ängstlicher klammert man sich an die inzwischen berühmte Auflage 65 des Abkommens, in der die EU von der Türkei eine Neudefinition des Terrorbegriffs fordert.

Es wird kein Entgegenkommen von türkischer Seite geben
 

Doch man darf sich nichts vormachen: Solange Recep Erdogan und seine AKP etwas in der Türkei zu sagen haben – also auf unbestimmte Zeit –, wird es de facto keine entsprechenden Reformen geben. Die Aufhebung der Immunität von einem Viertel der türkischen Abgeordneten in der vergangenen Woche spricht Bände. Was mit Blick auf die EU oder die Bundesregierung natürlich nichts bedeuten muss, denn hier gibt man sich erfahrungsgemäß auch mit halbgaren Versprechungen zufrieden.

Wie im Kern verfehlt die auf deutschen Druck betriebene Türkei-Politik der EU ist, zeigt ein nicht unerhebliches, aber in der Öffentlichkeit kaum beachtetes Detail: die Auswahl der Flüchtlinge, die die Türkei in die EU schickt.

Da sich die EU verpflichtet hat, für jeden in die Türkei abgeschobenen Migranten einen syrischen Flüchtling aufzunehmen, kommt der türkischen Regierung bei deren Auswahl die Schlüsselrolle zu. Erdogan freut’s.

Eine fundamentalistische Gruppe entscheidet, wer ausreisen darf
 

Und tatsächlich: Wie verschiedene EU-Länder nach einigen Wochen feststellten, schickt die Türkei nicht etwa Ärzte, Anwälte und Ingenieure, sondern vor allem Ungebildete und medizinische Härtefälle, und hindert hochqualifizierte Flüchtlinge daran, auszureisen.

Ein Grund dafür ist: Die EU hat der Türkei bei der Auswahl der Flüchtlinge international unübliche Sonderrechte eingeräumt. Besonders nachdenklich stimmt, dass die türkische Regierung mit der Betreuung der Flüchtlinge ausgerechnet die IHH beauftragt hat. Diese fundamentalistische, der Muslimbruderschaft und der Hamas nahestehende, sich als humanitäre Hilfsorganisation gebärdende Gruppe hatte 2010 die berüchtigte Gaza-Flotille mitinszeniert. Und sie unterstützt islamistische Milizen, wie das Danish Institute for International Studies schon vor 10 Jahren feststellte. Nun auch aus EU-Milliarden.

Es bedarf nur eines Hauches an Realitätssinn, um sich auszumalen, wie die Auswahl der von der IHH in die EU geschickten syrischen Flüchtlinge aussehen wird: Ganz oben auf der Liste werden nicht nur die schlecht Ausgebildeten und Schwerkranken stehen, sondern auch die ideologisch Genehmen. Jene besuchen eifrig die von der IHH eingerichteten Moscheen, werden fundamentalistisch indoktriniert und bekommen die Kontaktadressen der DITIP-Gemeinden in Deutschland mit auf den Weg. Liberale, säkulare Syrer, die vor Assad ebenso geflohen sind wie vor den IHH-Freunden, den islamistischen Milizen, haben hier selbstredend keine Chance. Dass diese Farce von der EU finanziert wird, ist beschämend.

Erst Berlin wertet Ankara auf
 

Die deutsche Außenpolitik sollte sich schnell von dem unsinnigen Axiom verabschieden, der Türkei käme bei der Lösung der Flüchtlingsfrage oder der Syrienkrise eine Schlüsselrolle zu. Das ist nicht der Fall. Erst Berlin wertet Ankara auf, macht sich damit erpressbar und ermöglicht Erdogan so sein doppelzüngiges Spiel.

Mit Realpolitik, wie mitunter kolportiert, hat das deutsche Vorgehen wenig zu tun. Realpolitik, die ihren Namen verdient, geht von der Realität aus. Und die lautet, dass die AKP eine fundamentalistische, nationalistische Partei ist, die militante Islamisten unterstützt, Konflikte in der Region schürt, um sich unentbehrlich zu machen und linientreue Anhänger als zusätzliche Machthebel in die EU schleust. Es wird Zeit, diesem Spiel ein Ende zu setzen.

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