- Ist die Weltgeschichte einfach nur irre?
Wir haben ein tiefes Bedürfnis nach Kausalketten und glauben an die Macht der Ursachen. Das macht unsere Zeit auch so naiv. Denn das Absurde kommt unerwartet und versteckt sich oft im Banalen.
Neulich trottete ich so die Straße lang, morgens gegen acht, es regnete. Schräg neben mir ging eine junge Frau. Auf einmal kam von hinten ein Radfahrer angebrettert, zog eine scharfe Kurve vom Radweg auf den Bürgersteig, drehte sich dabei kurz um und spuckte ihr ins Gesicht. Dann raste er davon. Die junge Frau war außer sich. „Was ist das denn?“, schrie sie immer wieder, „ich bin doch hier einfach nur langgegangen!“
Trotzdem wollte sie den Mann nicht anzeigen. Sie war unter Zeitdruck, außerdem hatte sie nicht mal sein Gesicht erkannt, und auch ich hatte außer einer dunklen Jacke mit Kapuze nichts Genaues in Erinnerung. Seitdem geht mir der Radfahrer, der so raptorenartig aus dem Nichts erschienen und wieder verschwunden war, nicht aus dem Sinn. Nicht nur wegen der artistischen Brutalität seines Auftritts. Er kommt mir vor wie eine unerwartete Metapher für das, was die Philosophen eine Kontingenzerfahrung nennen. Das schwer Fassbare und oft Unerträgliche an dieser Art von Erfahrung ist weniger dem Ereignis an sich zuzuschreiben als der Tatsache, dass es genauso gut nicht hätte passieren können.
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Die Ursachen stehen meist nicht im Fokus, da man sonst oft Fehler einräumen müßte, die man lieber vermeidet. Wer sagt denn das der Radfahrer die Frau nicht kannte? Die unbefriedigende Situation in der wir uns befinden, hat ebenfalls Ursachen über die nicht gerne gesprochen wird. Statt Ursachen zu benennen sucht man einen Sündenbock. In dem geschilderten Fall den Radfahrer.