- Gedenket der Toten, Sozialdemokraten!
Die SPD-Regionalkonferenzen gehen in die letzte Runde. Mit einer ähnlichen Casting-Show bestimmte auch die französische „Parti Socialiste“ vor zwei Jahren ihren Kandidaten für das Präsidentenamt. Und richtete sich damit zugrunde. Die SPD sollte Lehren aus dem Desaster im Nachbarland ziehen
Solferino ist ein Dorf in Mantua, zehn Kilometer südlich des Gardasees. 1859 verlor Kaiser Franz Josef I. von Österreich hier die blutigste Schlacht seit Waterloo. Durch Österreichs Desaster wurde der Weg zur Einigung Italiens frei. Auch in Frankreich ist Solferino ein fester Begriff. Wer hier allerdings Solférino sagt, der meint die Parteizentrale der Sozialisten, oder genauer, die ehemalige Parteizentrale.
Denn im September 2017 war die PS gezwungen, den schönen Palast direkt neben dem Musée d'Orsay zu verkaufen, gut 1000 Angestellte zu entlassen. Die Erdrutsch-Wahlniederlage gegen Macron, das Debakel, in der Nationalversammlung auf 31 Sitze geschrumpft zu sein und knapp 250 Sitze verloren zu haben, war nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch der Ruin der Sozialisten. Der direkte Absturz aus der zweiten linken Präsidentschaft mit François Hollande an der Spitze in die Bedeutungslosigkeit von sieben Prozent der Stimmen. So tief kann man fallen.
Von der Parti Socialiste ist praktisch nichts mehr übrig
Damit nicht genug, das alles hält an. Bei keiner Wahl seither ist die PS über sechs Prozent hinausgekommen. Ein Viertel der Mitglieder ist zu Macrons „En Marche“-Bewegung gewechselt, ein Viertel folgt dem trotzkistischen Demagogen Mélenchon, die Jugendorganisation schloss sich der neuen Bewegung des gescheiterten Präsidentschaftsbewerbers Benoît Hamon an. Die verbleibende Restpartei kämpft unter dem unbekannten Olivier Faure gegen den ideologischen und finanziellen Ruin.
Mancher meint nun – ob als Warnung oder Drohung –, die deutsche Sozialdemokratie möge sich das Beispiel gut anschauen, denn eben dieses Schicksal blühe auch ihr. Im Ergebnis muss man das für möglich halten, allerdings, so viel sei vorweggenommen, aus etwas anderen Gründen.
Der Vorwurf an die deutsche SPD lautet ja gemeinhin, zugunsten einer vermeintlichen Staatsräson zu wenig links zu sein. In den sozialen Medien liest man, die SPD sei überflüssig, weil sie die Interessen der „kleinen Leute und der arbeitenden deutschen Bevölkerung verrate, um sich auf die Seite globalistischer Eliten und Migranten zu schlagen“. Mal ganz abgesehen von der Wortwahl lässt sich so kaum erklären, warum die CDU in Deutschland weiterhin gewählt wird, obwohl sie objektiv deutlich stärker sozialdemokratische Positionen übernommen hat, als das andersherum der Fall ist. Vor allem aber taugen die französischen Sozialisten und deren Niedergang dann nicht als Beispiel.
Der Untergang begann mit „Wackelpudding“ Hollande
Die waren traditionell linker positioniert als die SPD, dafür aber stärker fraktioniert. Es gab immer Spannungen zwischen dem prinzipiell antikapitalistischen Flügel der Partei und einem eher sozial-liberalen. Und das waren nie die einzigen Flügel. Das hat der Partei manchmal den Weg zur Präsidentschaft verstellt, sie aber keinesfalls zerrissen oder gar auf die heutigen sechs Prozent marginalisiert. Anders im Jahr 2017, nach nur einer Wahlperiode für Hollande. Der war angetreten für mehr soziale Gerechtigkeit und Umverteilung. Aber die angekündigte Erhöhung des Spitzensteuersatzes wurde ihm vom Verfassungsgericht untersagt, die Legalisierung der „Homo-Ehe“ durch Massenproteste auf der Straße verhagelt. Arbeitsmarktreformen à la Schröder zog er nie ernsthaft in Betracht. Auch deshalb stieg die Arbeitslosigkeit während seiner Präsidentschaft ebenso wie die Staatsschulden auf einen Höchstwert.
Doch nicht das hat ihm das Genick gebrochen. Er war der unbeliebteste Präsident, weil er sich nicht durchsetzen konnte. Nicht gegen die deutsche Spar- und Austeritätspolitik in Europa, nicht gegen gesellschaftliche Stimmungen in Frankreich, ja nicht einmal gegen die eigene Partei. „Wackelpudding“ nannten ihn deshalb die innerparteilichen Gegner.
Hollande änderte seine Positionen und konnte das der französischen Öffentlichkeit nicht erklären: Angetreten als Gegner militärischer Drohungen, forderte er als erster eine Militärintervention gegen das Assad-Regime in Syrien. Die Terroranschläge 2015 veranlassten ihn zu härterem Vorgehen gegen „home-grown-terrorists“ in den Pariser Banlieues, während der versprochene Ausbau von Schulen und Sozialeinrichtungen ausblieb. Die Arbeitslosigkeit, die zu bekämpfen er versprochen hatte, fiel nicht, sondern stieg. Den Front National konnte er nicht klein halten, und auch seine pro-europäische Haltung war in der eigenen Partei nicht unumstritten.
Eine Casting-Show sollte es richten
„Nicht durchsetzungsfähig“ war das vernichtende Urteil seiner Landsleute. Deshalb verzichtete Hollande auf die erneute Kandidatur. Obwohl amtierender Staatspräsident, wäre er nicht zwingend der Kandidat des PS geworden, sondern hätte zuvor eine interne Ausscheidung bestehen müssen. Hollandes Absage zerstörte bereits alle Wahlchancen der PS. Auch deshalb konnte Emmanuel Macron ihn geradezu hinwegfegen.
Die anschließende Casting-Show der PS ähnelte der heutigen Bewerbungstour der SPD: Sieben Kandidaten, die für unterschiedliche Strömungen und Positionen standen, bewarben sich. Vor allem aber: jeder zuerst für sich ganz allein. Als Favoriten traten an: Premier Manuel Valls vom sozial-liberalen Parteiflügel und damit so etwas wie der Olaf Scholz der PS, gegen den ultralinken Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, eher Oskar Lafontaine denn Kevin Kühnert – beides begabte Rhetoriker und bekannte Persönlichkeiten; dazu die radikale Linke Sylvia Pinel, die im ersten Wahlgang krachend scheiterte, um dann zur Wahl ihres „konservativsten“ Gegenkandidaten Valls aufzurufen; Vincent Peillon und die beiden Grünen Francois de Rugy und Jean-Luc Bennahmias.
Die Vorwahlen gewann schließlich der völlige Außenseiter Benôit Hamon, eben weil er Außenseiter war und damit unverdächtig, die Ära Hollande fortzusetzen. Anders als sein Hauptgegner Valls. Die Partei wusste, dass sie bei den Präsidentschaftswahlen nur mit Valls eine Chance haben würde. Und entschied sich dennoch für Hamon.
Die ehemaligen Bewerber - heute bedeutungslos
Das Präsidentenamt war unerreichbar, das war klar. Aber die Kandidatenkür sollte Anhängerschaft und Wähler eine diskutierende, lebendige Partei zeigen und mobilisieren. Der Plan schien zunächst sogar aufzugehen. Nach seiner Kür Ende Januar 2017 holte der unbekannte Hamon auf, schloss gar zu Macron, Le Pen und dem konservativen Kandidaten Fillon auf. Dann brannte das Strohfeuer nieder. Platz fünf bei den Wahlen im April – noch hinter dem Trotzkisten Mélenchon. Ein unfassbares Desaster. Hamon erreichte mit 6,36 Prozent das schlechteste Ergebnis eines PS-Kandidaten aller Zeiten. Bei den Wahlen zum Parlament zwei Monate später wurde es nicht besser.
Auch alle anderen Kandidaten der Casting-Show sind mehr oder weniger in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Bennahmias gründete eine eigene Kleinpartei, ebenso de Rugy, kurzzeitig Umweltminister unter Macron. Manuel Valls wurde als Parteiloser ins Parlament gewählt, scheiterte aber im Jahr darauf als Bürgermeisterkandidat in seiner zweiten Heimat Barcelona. Die Parti Socialiste ist innerhalb von zwei Jahren zur Splitterpartei implodiert. Der trotzkistische Sektierer Jean-Luc Mélenchon gockelt sich auf zum „Retter der Linken“.
Lehren für die SPD
Und damit zurück zur Warnung an die Adresse der SPD und zu möglichen Lehren aus dem Niedergang der PS. Was die Menschen erwarten, ist weder die Selbstzerfleischung über die Frage Groko ja oder nein, noch die Diskussion, ob die „schwarze Null“ nun der Anfang oder das Ende vernünftiger Politik sind. Debatten über Inhalte haben Parteien noch selten geschadet. Sie wirken im Gegenteil tatsächlich meist motivierend.
Schädlich ist aber der Eindruck, dass es den handelnden Personen in erster Linie nicht um Inhalte, sondern ausschließlich um die eigene Karriere geht. Was die Wähler erwarten, ist ein erstrebenswertes Ziel, die Ansage, wohin Politik führen soll und den ernsthaften Willen, das auch umzusetzen. Mehr Demokratie wagen, hieß das durchaus blumig bei Willy Brandt. Und funktionierte doch, weil es galt – von der Ostpolitik bis zur Öffnung der (Hoch-)Schulen.
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" Debatten über Inhalte haben Parteien noch selten geschadet. Sie wirken im Gegenteil tatsächlich meist motivierend.
Schädlich ist aber der Eindruck, dass es den handelnden Personen in erster Linie nicht um Inhalte, sondern ausschließlich um die eigene Karriere geht."
Das schreiben hier viele Kommentatoren schon seit Monaten. Weder Ihnen Herr Walter noch uns hört man zu.
Selbst die geflüchteten Wählerstimmen hört man nicht.
Also, geht es mit der SPD so, wie es beim Entrümpeln eben so ist. Altes kommt auf den Müll, damit Paltz für Neues ist.
Und Tschüss.
Eine sozialdemokratische Partei, welche sich nicht für das Wohl der kleinen Leute oder konkreter für das Wohl der kleinen Leute, welche nicht so gut und gerne wie Frau Merkel nebst Gefolge, jedoch schon länger hier leben, einsetzt, ist obsolet. Und man kann auch nur hoffen, dass ebenso die CDU das Schicksal der französischen UMP erleidet. Die hatten ihre vier Chancen. Ulf Müller
oder das Abgleiten ins Lächerliche.
Die Altparteien präsentieren sich doch nur noch wie ein aufgescheuchter Hühnerhof.
Mittels der NGO´s, die mit Steuergeldern gefördert werden und in denen die Parteien ihre Finger drin haben, lassen sie sich Themen inszenieren und medial hochfahren, um sie dann alternativlos in Gesetze zu formen.
Den einen geht die dann folgende Gesetzgebung nicht weit genug, den anderen geht es schon zu weit. Polittheater auf allen medialen Bühnen.
Keine Partei möchte verantwortlich gemacht werden, man kann halt nicht anders und außerdem müssen Steuern und Abgaben hochgefahren werden, um jedes Wehwehchen zu Pflastern.
Na, jedenfalls so ähnlich!
Diese Kandidaten Gala durch die Republik ist wahrlich eine Lachnummer in meinen Augen.
Diese Partei kann einem nicht einmal mehr Leid tun was sie in den letzten Jahren im Schatten der Frau Dr.Merkel alles mit getragen hat ohne ein eigenes Profil für die Arbeiter und kleinen Leute.
Die dänische SPD hat die Zeichen der Zeit erkannt und hat sich von unkontrollierten Zuwanderung von Asylbewerbern und Wirtschaftsflüchtlingen abgewannt und ist wieder dabei. Dieses Deutschland wird kaputt gemacht und die SPD ist mit dabei .
Um eine ähnliche Kehrtwende in der Migrationspolitik zu vollziehen, wie sie die
dänischen Sozialdemokraten hingelegt haben, müßte die deutsche SPD erst jede Menge Fehler zugeben und in den eigenen Reihen viele Leute loswerden, die in ihr
allein aufgrund ihres Migrationshintergrundes Karriere gemacht haben.
U n s e r e SPD ist jetzt bereits zur Hälfte eine Migrantenpartei, und ich prophezeie
ihr, daß sie schließlich g a n z dazu mutieren wird, wenn sie noch eine Rolle
"am Markt" spielen will.
Nein, es wird in der SPD kein Zurück zu einer Interessenspolitik für Deutschland geben.
Die ideologie des Internationalismus und des Globalismus, gepaart mit einer
gehörigen Portion Utopismus (= Träumerei, Dummheit, Abgehobenheit) beherrscht die überwiegende Mehrheit der Genossen in ihren gut dotierten Ämtern.
Es ist daher nur eine logische Folge, daß ihnen ihre ursprüngliche Wählerschaft völlig
abhanden kommt.
Wer sich die SPD-Kandidaten anschaut und deren Auftritte verfolgt, sollte an den Eingangstüren der Veranstaltungsorte der Regionalkonferenzen Eintritt verlangen und am Ende Schmerztabletten verteilen. Keine aussagekräftigen verbindlich und inhaltlich nachvollziehbaren Änderungen oder Visionen sind zu hören. Alle wollen irgendetwas, aber nichts genaues weis man nicht. Eigentlich raus aus der Groko, aber doch irgendwie nicht, weil man ja noch die Restzeit nutzen will zu "gestalten". Ich sage, sich zu verunstalten. Bin ich jetzt gehässig. Ja. Warum. Ich kann diese Postengeier nicht mehr sehen.
SPD Selbsterkenntnis? Null. Nein, die Kandidaten bleiben so unnatürlich blass in der Ausstrahlung und künstlich angemalt, wie die Plastiken bei Madame Tussaud. Der Unterschied besteht darin, bei Tussaud werden berühmte Menschen abgebildet. Bei der SPD ist es ein Gruselkabinett, um deren restliche Wähler mal kräftig zu erschrecken. Berühmt geht anders. Lest mal Brandt und Schmidt. Zu schwer?
Man will basisdemokratisch und gender-gerecht sein. Es ist schon schwierig genug ein Präsidium auf einen Kurs zu bringen und den auch kommunikativ durchzuhalten. Bei zwei Vorsitzenden , die immer das Gleiche sagen, ist einer überflüssig. Sollten sie sich unterschiedlich äußern, kommt sofort die Frage, „ was denn nun?“
Die SPD ist über Jahre aus mehrfachen Gründen ausgebrannt. Die Partei hat inzwischen das Loser-Image. Keiner traut ihr was zu. An der Spitze muss jemand mit Charisma stehen. Aber den jagd der Funktionärs-Mittelbau dann auch bald wieder weg, wenn die Wahlergebnisse ausbleiben. Im Gegensatz zur PS verfügt die SPD über ein sattes Parteivermögen. Die können sich das Willy-Brand-Haus noch eine Weile als zunehmend lehre Hülle leisten. Das wirkt bei Pressekonferenzen leicht surreal. In der Bonner Baracke waren sie stärker. Der Kipp-Punkt kommt, wenn die SPD bundesweit einstellig wird. Dann hilft nur noch die Vereinigung mit der LINKE. Perfekt für ein Politikseminar!