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Auf Siegeszug: Die Grünen in NRW / dpa

NRW-Kommunalwahlen - Alles auf Grün!

Erstmals stellen die Grünen drei Oberbürgermeister in Großstädten in NRW. Doch auch auf dem Land konnten sie gestern punkten. Ihren bei der Kommunalwahl begonnenen Siegeszug konnte die Partei bei den Stichwahlen fortsetzen. Doch wird der Erfolg nachhaltig sein?

Stefan_Laurin

Autoreninfo

Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs Ruhrbarone. 2020 erschien sein Buch „Beten Sie für uns!: Der Untergang der SPD“.

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Es war ein erstes, noch leichtes Beben, aber es sorgte für Aufmerksamkeit und sollte der Beginn des Endes der Dominanz der SPD an Rhein und Ruhr sein, die Nordrhein-Westfalen über viele Jahre prägte: 1994 wurden in Marl, Gladbeck und Mülheim mit den Stimmen der Grünen CDU-Bürgermeister in ihre Ämter gewählt. Eine Direktwahl der Stadtspitze gab es damals noch nicht. Es war der Beginn einer Zusammenarbeit zwischen Grünen und CDU, die bis heute anhält.

Keine Frage: Die Grünen sind die Partei der Stunde. Nicht nur im Bund und in Ländern wie Baden-Württemberg, sondern auch in Nordrhein-Westfalen, dem einwohnerreichsten Bundesland der Republik. Wer Bundestagswahlen gewinnen will, muss in Nordrhein-Westfalen gut abschneiden. Und wer in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen gewinnen will, muss in den Städten, Kreisen und Gemeinden des Landes stark sein.

Erfolg auch wegen Kooperation mit Union

In Aachen und Bonn schlugen die Kandidatinnen der Grünen CDU-Wettbewerber. Die Bundestagsabgeordnete Katja Dörner (Grüne) in Bonn sogar den skandalfreien Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU). Auch in Kleinstädten wie Havixbeck, Emsdetten oder Kempen gewannen sie die Chefzimmer.

Doch in Wuppertal und Köln waren die Erfolge der Grünen auch Ergebnis der Zusammenarbeit mit der Union: Uwe Schneidewind (Grüne) war auch der Kandidat der Wuppertaler CDU, Kölns parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker wurde ebenfalls von Grünen und Union unterstützt.  Und in Dortmund schlug sich der CDU-OB-Kandidat Andreas Hollstein mit Hilfe der Grünen auch in der Stichwahl gut. Er unterlag nur knapp mit 48,03 Prozent dem zum neuen Oberbürgermeister gewählten Thomas Westphal (SPD), der 51,97 Prozent der Stimmen erhielt.

Partei der bürgerlichen Mitte

Die Grünen in Nordrhein-Westfalen, noch in den 90er Jahren eine Hochburg der Linken, in der Joschka Fischer als „Erzherzog Josef“ verspottet wurde, sind, wie fast überall, die Partei des Teils der bürgerlichen Mitte geworden, der von wirtschaftlichen Sorgen bislang verschont geblieben ist und zum Frühstück Moral statt Milch in den Kaffee gießt. Grüne wählen, das hat nicht nur etwas mit dem Programm der Partei zu tun. Wie auch bei anderen Parteien ist die Stimme für die Grünen Teil eines Lebensstils, ist eine persönliche Positionierung. 

Durch die über zwei Jahrzehnte andauernde Zusammenarbeit mit der Union taugen die Grünen auch in NRW schon lange nicht mehr als Bürgerschreck. Ihre Sorgen um Klima und Umwelt sind die Sorgen großer Teile des Bürgertums. Und wenn die Kinder und Enkel sich bei Fridays for Future engagieren, Kirchengemeinden in der Flüchtlingshilfe aktiv sind und Häuslebauer merken, dass das verhinderte Kraftwerk oder der schon in der Planung gestoppte Straßenbau den Wert der eigenen Immobilie steigert, stützt auch das die Grünen. 

Die grüne Klientel

Die Rathäuser eroberten die Grünen vor allem dort, wo es den Menschen gut geht. Wo neue Gewerbegebiete als Belastung empfunden werden, wo hohe Mieten dafür sorgen, wie die Soziologin Cornelia Koppetsch der taz sagte, dass sich „soziale Exklusivität wie von selbst einstellt“ und die Probleme der Einwanderungsgesellschaft weit weg und die Einkommen sicher sind. Diese Teile des Bürgertums sind für die SPD und die CDU immer schwerer zu erreichen. Weder Aufstiegs noch Klassenkampfparolen interessieren sie, Wirtschaftswachstum sehen sie eher als Bedrohung. Nötig haben sie es ohnehin oft nicht mehr. 

Der Traum von Schwarz-Grün

Schwarz-grüne Koalitionen auch auf Länderebene sind für sie attraktiv, zumal mit einer ohnehin weltoffenen und nicht allzu konservativen CDU wie in Nordrhein-Westfalen. Schon 2010 hatten die Grünen zur Landtagswahl eine Liste aufgestellt, deren Landtagsabgeordnete auch gut mit der CDU hätten zusammenarbeiten können. Rot-Grün unter Hannelore Kraft haben die Grünen gerne gemacht, aber Schwarz-Grün mit Jürgen Rüttgers wäre auch kein Problem gewesen. Sie waren darauf vorbereitet.

Ein Projekt, wie vielfach von beiden Parteien behauptet, war die Zusammenarbeit mit der SPD ohnehin nicht. Denn Projekte brauchen gemeinsame Ideen und Vorhaben. Es gab aber auf der Seite der SPD einfach kaum Inhalte außer Krafts Ministerpräsidentenposten, die den Roten wichtig waren. Verwundert berichteten Teilnehmer von Koalitionsrunden, wie einfach es war, grüne Inhalte umzusetzen.   

Zulauf für postmaterialistische Ideen

In der linken Mitte haben die Grünen die SPD als führende Kraft schon lange abgelöst. Kein Mensch unter 30 erinnert sich mehr daran, dass die SPD einmal eine starke Partei mit Gestaltungswillen und charismatischem Persönlichkeiten wie Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine war. Nun sind die Grünen dabei, zunehmend auch in den eher konservativen Milieus zuzulegen. Auch hier erreichen sie mit ihren scheinbar postmaterialistischen Ideen Zulauf, die bei näherer Betrachtung oft nicht mehr sind, als eine wohlklingende Form der Besitzstandswahrung. Wer beispielsweise, natürlich außerhalb Berlins, Immobilien besitzt und nicht neu bauen will, ist bei den Grünen gut aufgehoben und kann sich dabei auch noch als einer der Guten fühlen. Das ist auch für viele, die bislang ihr Kreuz bei der CDU gemacht haben, attraktiv. 

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gabriele bondzio | Mo., 28. September 2020 - 18:13

Aber nur auf das, was in meinen Garten wächst. Partei der Stunde, kenn man so sehen, wenn die Wähler dahintersteigen, was ihnen Grün so unterjubelt bzw. wie sie mit manchen Aussagen hinter die Fichte geführt werden. Der Tag wird kommen, unter Garantie!
Traum von schwarz-grün...mal abgesehen, dass die Schwarzen den Grünen immer häufiger in den Hintern kriechen, ist der Gegensatz kein heftigerer als diese Verbindung. Wenn man die Ideologie Beider vergleicht.
Aber in DE gilt eben, verter Herr Laurin, die Menschen werden nur aus Schaden klug.

Es ist nicht genug, daß man Talent habe. Es gehört mehr dazu, um gescheit zu werden. Man muß auch in großen Verhältnissen leben und Gelegenheit haben, den spielenden Figuren der Zeit in die Karten zu sehen und selber zu Gewinn und Verlust mitzuspielen. (Goethe)

Yvonne Stange | Mo., 28. September 2020 - 20:29

... auf die Wahlbeteiligung. Das ist nicht die Mehrheit, die Mehrheit haben die Nichtwähler! Der Großteil der Menschen hat bereits alternativlos abgeschaltet und aufgegeben. Jeder lebt sein Leben für sich, möglichst im Kleinen, solange es eben noch geht. Auf alles andere hat man sowieso keinen Einfluß oder die Wahl wird rückgängig gemacht. Trostlose Zeiten in diesem Land. Die Grünen gehen natürlich geschlossen zur Wahl, ab 16.... witzlos.

Enka Hein | Di., 29. September 2020 - 09:49

Antwort auf von Yvonne Stange

Werte Frau Stange. Bei Dokus über die DDR war der Tenor gleichfalls, das man sich zurückzog und sein im Kleinen irgendwie bewerkstelligte.
Weil man wusste das die echten Probleme die Nomenklatura nicht interessierte. Resultat war das die Wirtschaft immer mehr den Bach runter ging. Wie bei uns jetzt auch zu sehen. Geschichte wiederholt sich.
Ich persönlich werde mir keine 5 Füsse mehr ausreißen. Am Besten keinen Cent zahlen, sondern nur die Hand aufhalten.

Gerhard Lenz | Di., 29. September 2020 - 09:55

Antwort auf von Yvonne Stange

sagt eben auch etwas darüber aus, dass die AfD nicht die Akezptanz erfährt, die sie angeblich im Volke hat.
Wer entscheidet, nicht zu wählen, entscheidet eben auch, der AfD nicht die Stimme zu geben.
Die dann halt bei 6% landet. Was ihre Anhänger nicht davon abhalten wird, bei der nächsten Anti-Egalwas-Demo wieder ihr "wir sind das Volk" zu trällern.

Im Übrigen ist bekannt, dass die AfD mehr als jede andere Partei ihren Anhang zur Teilnahme an Wahlen mobilisieren kann - man will ja schliesslich ein Zeichen setzen.

Man darf also davon ausgehen, dass bei höherer Wahlbeteiligung das AfD-Ergebnis noch miserabler gewesen wäre.
Die Grünen haben zweifellos viele Stimmen ehemaliger Wähler von SPD, FDP aber auch CDU erhalten.

Die eben nicht bei der AfD gelandet sind.

Weil die AfD eben keine wählbare Alternative ist. Sondern nur eine rechtsextreme Partei, die unsere Demokratie gefährdet.

Was dem Wähler zunehmend bewusst ist.

Norbert Heyer | Mo., 28. September 2020 - 22:17

Man kann es nicht bestreiten: Die Grünen sind „in“. Es ist wie ein Modetrend, doch ein solcher geht folgenlos vorbei, die Grünen werden nachhaltig Deutschland „umbauen“. Zuerst ist es sehr beunruhigend, dass die Grünen in jeder politischen Koalition ihre Vorstellungen von Politik durchsetzen konnten. Die Fachkenntnisse seiner (ihrer) führenden Köpfe sind - sagen wir es mal nicht zu hart - arg beschränkt. Ob Kilometer-Pauschale oder Strom-Kobolde, wer solchen Blödsinn von sich gibt, müsste eigentlich von wirklichen Experten die entsprechende Reaktion erfahren. Aber es passiert nichts, die Medien tragen die Grünen auf einer Welle der bedingungslosen Zustimmung, völlig losgelöst von der Realität. Ein Volk, dass immer stärker eine Partei hofiert, die unseren Staat komplett in eine sozialistisch-rückständige multikulturelle Zukunft führen wird, hat es eben nicht anders verdient. Das die vielen Befürworter der Grünen dabei auch die größten Verlierer sein werden, ist nicht mehr als gerecht.

Stefan Müllert | Di., 29. September 2020 - 08:36

Man kann wohl eher sagen, die Linken setzen die Agenda bei den Bürgerlichen. Und die Beschreibung der grünen Wählerklientel macht einem mehr Angst als das sie Zuversicht verbreitet. Wo soll das gesellschaftlich hinführen, wenn Menschen jede Bodenhaftung verloren haben und sich für nichts mehr wirklich interessieren als sich selbst. Strom kommt aus der Steckdose und Geld aus dem Geldautomaten, das hat mit Vernunft und Logik und persönlicher Reifenur noch wenig zu tun. Das ist Dekadenz in Reinkultur.

Karl Kuhn | Di., 29. September 2020 - 08:51

Es gelingt den etablierten Parteien (ich verwende mal diesen schönen 80er-Jahre-Begriff, denn er passt nach wie vor) kaum noch, nicht-moralingetränkte Vorhaben und Programme zu formulieren und im Wahlkampf zu bewerben. In Bonn hat der nur der Bürgerbund Bonn, eine lokale Vereinigung von Hauptstadtnostalgikern, überhaupt lokale Themen auf den Wahlplakaten thematisiert. Die linken Parteien haben das komplett sein gelassen und fast nur Klimaschutz beworben, auch die SPD, als ob Bonn, eine Stauhauptstadt kurz vor der Pleite, keine anderen Probleme hätte. Von der CDU kam nur Gemerkel. Ashok Shridharan ist in seiner Amtszeit eben auch inhaltlich den Grünen hinterhergerannt, zumindest bei den Sachen, die man in der Zeitung lesen kann (Flüchtlinge aufnehmen etc.). Er ist das schönste Beispiel dafür, dass sich das nicht lohnt!

Reker (auch ein Produkt der Hinterher-Rennerei) ist in Köln bei 36% Wahlbeteiligung bestätigt worden. Der SPD-Mann, ehemaliger Polizist, hat sich wacker geschlagen.

Ernst-Günther Konrad | Di., 29. September 2020 - 10:30

Dass die SPD selbst in ihrem Stammland verlieren würde und teilweise dramatische Verluste einfährt, haben wir hier im Forum ohnehin mehrfach kommentiert und einige Artikel wiesen auch in ihren Analysen darauf hin. Das wird bei den kommenden BT-Wahlen nicht besser, sondern eher noch deutlicher. Insofern ist der weitere Abstieg der SPD nicht überraschend.
Dass die Grünen in den größeren Städten in NRW gewinnen ist absehbar gewesen, wenn auch nicht wünschenswert. 51,9 % Wahlbeteiligung. Was wollen die 48,1 % Nichtwähler?
Das ist das Manko in DE inzwischen. Viele Bürger haben kein Interesse, fühlen sich noch Wohl in ihrer Situation oder haben aufgegeben.
Jedenfalls müssen die Bürger in den jeweiligen Kommunen ihre gewählten Grünen aushalten. Und die CDU? Naja, die ist schon lange nicht mehr schwarz, sondern hat viele grüne Punkte und ordnet sich devot unter. Immerhin hat die AFD ihr Wahlergebnis verdoppelt und ist in 450 Gemeinde und Stadtparlamenten vertreten. Gut Ding will Weile haben.

Wolfgang Beck | Di., 29. September 2020 - 11:34

Das Kapitel "die grüne Klientel" hat`s in sich. "Weder Aufstiegs- noch Klassenkampfparolen interessieren sie, Wirtschaftswachstum sehen sie eher als Bedrohung. Nötig haben sie es ohnehin oft nicht mehr." 1. Eher eine Randbemerkung: Ihren Wohlstand werden sie wahrscheinlich nur durch weiteres Wirtschaftswachstum aufrecht erhalten können. 2. Offensichtlich handelt es sich hierbei um die Klientel, der jedes Solidaritätsgefühl mit Benachteiligten der Gesellschaft abhanden gekommen ist. Solidarität ist aber ein wesentliches Prinzip in einer Demokratie, die diesen Namen verdient. Richtig müßte demnach die Überschrift lauten: "Die undemokratisch-grüne Klientel".

Stefan Laurin | Di., 29. September 2020 - 15:51

Antwort auf von Wolfgang Beck

Hallo Herr Beck, schaut man sich die Wählerstruktur der Grünen an, so ist ein großer Teil im Öffentlichen-Dienst tätig und da eher im höheren Bereich. Wirtschaftswachstum spielt für diese Menschen tatsächlich keine große Rolle: Die Jobs und das Gehalt sind sicher. Andere Teile der Wählerschaft (Denken wir an die berühmte "Kreativwirtschaft" und die vielen Gründer, bei denen die Partei zurzeit angesagt ist, der Grünen werden schon bald erfahren, dass Thesen über die Postwachstumsökonomie auf DLF gut klingen, der Wohlstandsverlust allerdings unangenehm sein wird.

gabriele bondzio | Mi., 30. September 2020 - 08:03

Antwort auf von Stefan Laurin

Ganz so sehe ich es auch. Die weltweit verzahnte Wirtschaft ist im Grunde mit einfacher Mathematik zu erklären. Eine Kreditvergabe zum Zinssatz über null Prozent, führt irgendwann zu einem deflationären Zusammenbruch. Der Glaube (auf den die Kredreditvergabe beruht) auf "bussiness as usual" geht verloren. Risiken können nicht mehr eingeschätzt werden, in Zukunft finanzielle Vermögenswerte zu garantieren. Und darauf beruht auch das Wirtschaftswachstum (das mit Krediten einhergeht). Und das erforderlich ist um diesen Glauben aufrecht zu erhalten. Dazu kommt eine stetig wachsende Weltbevölkerung (siehe Afrika).