Ein Mann in einem Tigerkostüm spricht mit Wählern vor einem russischen Wahllokal
Mit Luftballons und Menschen in Tigerkostümen warben die Behörden um Wähler / Simone Brunner

Wahlen in Russland - Schmackhaft gemacht

Wie erwartet, hat Wladimir Putin die Präsidentschaftswahlen in Russland klar gewonnen. Die größte Sorge der Regierung war deswegen eine niedrige Wahlbeteiligung. Um die in die Höhe zu treiben, ließen sich die Behörden einiges einfallen. Nicht alle Maßnahmen waren dabei offensichtlich

Autoreninfo

Simone Brunner lebt und arbeitet als freie Journalistin in Wien. Sie hat in Sankt Petersburg und in Wien Slawistik und Germanistik studiert und arbeitet seit 2009 als Journalistin mit Fokus auf Osteuropa-Themen.

So erreichen Sie Simone Brunner:

Vor dem Wahllokal 78 im Moskauer Bezirk Presnenski herrscht Stimmung wie auf dem Jahrmarkt. Junge Männer und Frauen in bunten Tierkostümen verteilen Luftballons, Flugzettel und Anstecker. „Ich habe den Präsidenten Russlands gewählt“, steht auf den Buttons, die sich die Passanten anstecken können, während auf den Flugzetteln für Tanz- und Yoga-Kurse geworben wird. Der Eingang zum Wahllokal ist mit Luftballons in weiß-blau-rot, der russischen Trikolore, geschmückt. „Du sprudelndes, mächtiges, durch nichts zu besiegendes Land – meine Stadt, mein Moskau!“, schmettert eine sowjetische Schmonzette es aus den Lautsprecherboxen. 

Die russischen Behörden haben sich einiges einfallen lassen, um die Moskauer an diesem sonnigen, aber bitterkalten Wahlsonntag zu den Wahlurnen zu locken. Neben dem Eingang zum Wahllokal in der Moskauer Innenstadt sind kleine, hölzerne Verkaufsbuden aufgebaut. Dort gibt es preiswerte gegrillte Fleischspieße für 180 Rubel (umgerechnet 2,50 Euro), Tee, Zwiebeln, Gemüse und verpackte Würste. „Schmecke den Geschmack der Wahlen!“ steht auf einer Broschüre, die ein junger Mann verteilt. Für die Kinder gibt es Spielstätten wie eine kleine Kletterwand oder ein Hockey-Spielfeld. 

Alles für eine höhere Wahlbeteiligung

Wladimir Putin hat die russischen Präsidentschaftswahlen mit knapp 77 Prozent klar gewonnen. An zweiter Stelle kommt Pawel Grudinin (11,8 Prozent), der Kandidat der Kommunisten, vor dem Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski (5,7 Prozent) und der liberalen Kandidatin Ksenia Sobtschak (1,6 Prozent). Dass Putin zum vierten Mal zum Präsidenten gewählt wird, war zuvor freilich von niemandem angezweifelt worden. Vielmehr hatte sich in Russland zuletzt alles um die Frage gedreht, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfallen werde. 

So hatte die Zentrale Wahlkommission in den letzten Tagen vor den Wahlen auf allen Kanälen für die Wahl geworben – in Fernsehspots, auf Plakaten, in der Moskauer Metro, per SMS, per Postwurf oder sogar mit Hausbesuchen. Im Staatsfernsehen wurde am Wahltag von Minute zu Minute über die gestiegene Wahlbeteiligung berichtet. Zwar genießt Putin in Umfragen einen hohen Rückhalt in der Bevölkerung – was auch daran liegt, dass Putin in seiner 18-jährigen Ära keine politische Konkurrenz zugelassen hat und alle wichtigen Medien kontrolliert – doch zugleich gelten die Russen auch als apathisch und wahlmüde. 

Auch in der städtischen Gogol-Bibliothek wurde am Sonntag gewählt. Um 14 Uhr Moskauer Ortszeit hatte hier jeder vierte Wahlberechtigte seine Stimme abgegeben, erzählt der stellvertretende Leiter des Wahllokals, Walerij Sarubin. „Der Andrang ist viel größer, als bei anderen Wahlen“, versichert er. „Die Leute messen den Präsidentschaftswahlen einfach viel mehr Bedeutung bei als den anderen Wahlen“, sagt er. Doch während die Wahlbeteiligung in Russland insgesamt nach dem Schließen der letzten Wahllokale noch bei niedrigen 59,9 Prozent lag, kletterte sie über Nacht auf wundersame Weise auf 67 Prozent und näherte sich somit dem von der Kreml-Administration ausgegebenen Ziel von 70/70 an: 70 Prozent Wahlbeteiligung, 70 Prozent Zustimmung für Putin.

Weniger Verstöße gegen die Wahlordnung

Derweil haben Wahlbeobachter im ganzen Land von Wahlfälschungen berichtet. Aus vielen russischen Städten, von Kaliningrad über Nowosibirsk bis Grosny, kursieren Videoaufnahmen, die zeigen, wie ganze Packen an Wahlzetteln in die Urne gestopft werden.

Zu einer der häufigsten Verstöße gehörte die erzwungene Stimmabgabe in staatlichen oder staatsnahen Strukturen, berichtete Grigorij Melkonjanez, der Vorsitzende der unabhängigen Wahlbeobachtungs-NGO „Golos“ (zu deutsch: Stimme). In sechs Dörfern in Tschukotka, im äußersten Nordosten Russland, wurde sogar eine 100-prozentige Wahlbeteiligung verzeichnet. Auf der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim sollen 92 Prozent der Bewohner für Putin gestimmt haben. Trotz der vielen dokumentierten Vorfälle gab die Zentrale Wahlkommission am Montag bekannt, dass es diesmal nur halb so viele Verstöße gegen die Wahlordnung gegeben habe, wie noch bei den Präsidentschaftswahlen 2012.

Sehnsucht nach und Verdruss über Stabilität 

Zur Wahl ist auch Anatolij Iwanowitsch, ein Pensionär mit Schiebermütze, gekommen. „Wir haben für Putin gestimmt – ist doch klar!“, sagt er. Seine Frau ist untergehakt. „Er ist einfach der solideste, würdigste und vernünftigste Kandidat von allen“, sagt sie. Auch Grigorij und Jekaterina, ein junges Paar Mitte 20, sieht es ähnlich. „Putin hat viel Gutes für das Land gemacht“, sagt Grigorij, der als Ingenieur arbeitet. „Wir haben für unseren Präsidenten Putin gestimmt!“, sagt auch Alexander Akimowitsch, ein weiterer Pensionär. „Ich erinnere mich noch gut daran, was für ein Chaos geherrscht hat, als Putin das Land Ende der neunziger Jahre übernommen hat“, sagt er. „Seither hat er bewiesen, dass er in der Lage ist, unser Land zu führen.“ Die meisten Menschen, die das Wahllokal verlassen, wenden sich von Reporterfragen ab: „Kein Interesse.“

Doch längst nicht alle sind mit der Politik des Präsidenten Putin einverstanden. „Ich bin gegen das herrschende Regime“, sagt Igor, ein 35-jähriger Pianist aus Moskau, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Er hat für den kommunistischen Kandidaten Pawel Grudinin gestimmt – aber nicht, weil er die Kommunisten unterstützen würde, sondern weil er der einzige Kandidat gewesen wäre, der Putin zumindest in eine Stichwahl hätte zwingen können. Igor sagt dazu: „Wenn wir immer nur die gleichen Leute im Kreml haben, werden wir uns doch nie weiterentwickeln.“

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Heinrich Jäger | Mo., 19. März 2018 - 20:20

mit deutlicher Mehrheit ihm käme es nie in den Sinn die Grenzen zu öffnen für kultufremde Glücksritter zum Nachteil der Russen das unterscheidet ihn von Merkel die meint die Deutschen hätten dieses auszuhalten.

Wilhelm Maier | Di., 20. März 2018 - 14:08

"Igor sagt dazu: „Wenn wir immer nur die gleichen Leute im Kreml haben, werden wir uns doch nie weiterentwickeln.“"
Da hatte er verdammt Recht. Mit "immer nur"
Aber lieber noch x-mal Putin, als 1- mal Wladimir Schirinowski.

Hans Rudolf Knecht | Di., 20. März 2018 - 16:14

Ich erinnere mich, in den 1970iger Jahren wurde jede/r stimmberechtigte Bürgerin/Bürger im Kanton Schaffhausen (CH) die/der nicht wählen ging mit 5 SFr Busse bestraft. Man kann sich jetzt überlegen welcher Weg, Belohnung oder Strafe, die bessere ist.
(Übrigens, die Strafe ist mittlerweile in allen Kantonen in der Schweiz abgeschafft.)